Ein Rätsel in Weiß
Ich kann es kaum glauben, dass diese Ansichtskarte noch nicht auf „Innsbruck erinnert sich“ gezeigt worden ist. Vielleicht wird mich eine/r der Leser:innen eines Besseren belehren.
Die Karte stammt vom Karl Dornach, der sein Fotoatelier in der Salurner Straße 7-9 hatte.
Auf dieser Aufnahme ist der Winter in Innsbruck eingekehrt. Schneemassen liegen in der Maria-Theresien-Straße. Sie reichen bis zur Hüfte. Die Straßenbahnschienen sind freigeschaufelt. Über der Straße sind zwei Transparente gespannt, die auf den ersten Blick nur bruchstückhaft lesbar sind. Die Annasäule verdeckt einige Buchstaben, ein Banner ist seitenverkehrt.
Sollten Sie einige Minuten der Muße in den kommenden Tagen haben, können Sie den Werbetext vollständig entziffern.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Sammlung Walter Kreutz)
Nun, ich nehme an, daß Innsbruck vor genau 100 Jahren so ausgesehen hat. Aus den Erzählungen meiner Mutter ist mir erinnerlich, daß sie acht Jahre alt war, als sie an der Hand meiner Großmutter nicht über die Schneeberge am Gehsteigrand auf die andere Straßenseite hnübersehen konnte. Mama war Jahrgang 1916.
Einen weiteren starken Schneefall muß es auch einmal in den 30-er Jahren gegeben haben. Da hat es viele Schifahrer-
fotos gegeben – eine Hütte im Tiefschnee fast begraben – und fröhliche Schifahrer (und natürlich -innen) sitzen fröhlich am schneebedeckten Dach in der Sonne.
Es könnte auch der Winter 1928/29 sein. Am Transparent wird ein Wett- und Sprunglauf beworben, also die nordische Kombination, die irgendwann in den 1920 ´er Jahren olympiatauglich wurde.
Wobei es das Atelier Dornach lt TIGA-Homepage von 1902 bis 1958 gab.
Das Wetterhäuschen wurde 1924 auf den Boznerplatz übersiedelt: Es kann also spätestens in diesem Jahr gewesen sein: Die 100 Jahre könnten genau passen!
Ich denke, das ist der dazupassende Gegenschuss:
https://postimg.cc/crTZ7FL7
Bearbeitete Querformat-Ausschnittsvergrößerung:
https://postimg.cc/nMPjv8Hx
Diese Karte, Nr. 257 in meiner Sammlung, ist ungelaufen und beinhaltet auf der Rückseite keinerlei Verlagsinformationen; Frau Ursprunger, ist das bei der AK des Titelbildes auch so? Die Machart scheint die gleiche zu sein (Echtfoto, sepia, Format, Rand).
Am selben Tag aufgenommen wurden sie allerdings nicht, weil das untere Transparent einen anderen Text enthält. Aber das Transparent war jedenfalls touristische Werbung für Igls und vielleicht auch für die Igler Bahn und ich glaube, dass es nicht lange existierte, weil ich es sonst bisher auf keinem Bild gesehen habe (und von der Maria-Theresien-Straße gibt es gefühlt eine Million Fotos); daraus wiederum könnte man m.E. schließen, dass die beiden Fotos zumindest im selben Winter entstanden sind. Vielleicht wurde der untere Teil des Transparents wöchentlich oder sogar täglich mittels Seilzugsystem ausgwechselt, ein Vorläufer der heute allgegenwärtigen Werbe-LED-Screens?
Der Lyrabügel, die Ausführung des Liniensignals der Bahn der Linie 1 im Hintergrund und die Linksverkehr schränken den Zeitraum grob auf ca. 1915 bis 1939 ein. Die Machart der Karte, Echtfoto statt Kupferdruck, spricht eher für 1920 und darüber. Mit dem Hinweis von Herrn Engelbrecht wären wir damit bei „ca. 1920-24“.
Lieber Herr Schneiderbauer, vielen Dank für Ihre Kommentare, die sehr hilfreich bei der besseren Datierung der Ansichtskarte waren. Auch bei unserem Exemplar befindet sich auf der Rückseite keine Verlagsinformation. Es sind nur Zahlen zu finden, die jedoch schwer zu entziffern sind.
Das erste internationale Pferdeschlittenrennen in Igls fand am 20. und 21. Jänner 1923 im Rahmen einer Wintersportwoche statt (ATA, 20. Jän. 1923, S. 11), das zweite am 5. und 6. Jänner 1924 (IN, 4. Jän. 1924, S. 5).
Mit der am Titelbild noch „anwesenden“ Wetterstation könnte es sich bei dem Transparent sowohl um eine Bewerbung der Veranstaltung von 1923 als auch jener von 1924 handeln.
Um Weihnachten 1923 gab es in ganz Mitteleuropa heftige Schneefälle, so auch in Innsbruck. Es schneite hier vom 23. bis 27. Dezember mehr oder weniger ununterbrochen und am 3. Jänner 1924 ging’s weiter. Ein Titelbild vom Winter 1923/1924 ginge sich inkl. Wetterhäuschen demnach aus.
Wenn mit dem Transparent das Schlittenrennen vom Jänner 1923 beworben wurde, muss es auch im Winter 1922/23 sehr viel Schnee gegeben haben. Tatsächlich begann es damals bereits im November zu schneien und am 11. Dez. 1922 heißt es im ATA, S. 2: „Es schneit weiter. Innsbruck bietet das Bild tiefster Winterlandschaft. Der Schneefall dauert, von einigen Unterbrechungen abgesehen, ununterbrochen fort. Die Schneehöhe beträgt derzeit etwa 75 Zentimeter.“ Am 17. Jänner 1923 gab es noch einmal eine kräftige Ladung, die u. a. zu Verkehrsstörungen an der Arlberg- u. Mittenwaldbahn führte, Telefonleitungen lahm legte und auch noch die Milchversorgung der Stadt beeinträchtigte, weil täglich bis zu 1500 Liter weniger Milch angeliefert werden konnten. (ATA, 18. Jän. 1923, S. 4)
Ich teile die Vermutung von Herrn Schneiderbauer, dass mit dem großen Transparent der Fremdenverkehrsort Igls beworben wurde (siehe auch den Hinweis auf 4 x tägliche Busverbindungen, die Igler fuhr lt. Zeitungsmeldungen ebenfalls mit Sonderzügen) und man das untere Band je nach Veranstaltung auswechselte.
Die Ankündigung im ATA vom 20. Jän. 1923 (s. o.) stimmt aber mehr oder weniger sowohl mit dem Titelbild als auch mit der von Herrn Schneiderbauer geposteten Aufnahme überein, auch wenn man (ich) aufgrund der etwas eigenartigen Interpunktion den Wettlauf und das Schispringen auf den ersten Blick in Berchtesgaden vermuten könnte: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tan&datum=19230120&query=%22Pferdeschlittenrennen%22+%22Igls%22&ref=anno-search&seite=11
Ich glaube deshalb, dass beide Aufnahmen im Zeitraum Dez. 1922 – Jän. 1923 entstanden sind, je nachdem, wann man mit der Werbung für die Veranstaltungen vom 20. u. 21. Jänner 1923 begonnen hat.
Ich darf ergänzen: nicht Bus- sondern Zugsverbindungen, ich lese „TÄGLICH 4MALIGER ZUGSVERKEHR“. Walter Kreutz vermerkt für 25. Jänner 1923 die (Wieder-)Einführung von „Winterzügen“ auf der Mittelgebirgsbahn, mit Anschlusszügen der Tram ab Südbahnhof und Maria-Theresien-Straße, was sehr gut zu den Werbetransparenten an diesem Ort passen würde, und angesichts der Tatsache, dass die IMB in dieser Zeit personell sehr dünn besetzt war, passen nur vier Fahrten pro Tag auch gut ins Bild.
Diese Anschlusszüge der Tram besaßen keine Liniennummer und bestanden aus Personen- und Güterwagen, die von einem elektrischen Triebwagen zum Bergiselbahnhof gebracht und dort von einer IMB-Dampflok übernommen wurden, sie waren also der Vorläufer der in die Innenstadt durchgebundenen Linie 6, die wir, um auch deine Verbindung zur heutigen Zeit herzustellen, kommenden April endlich (wieder) bekommen werden.
Ja, diesen Hinweis auf Personen- und Güterbeförderung habe ich bei meiner Sucherei auch gefunden: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tan&datum=19230119&query=%22Pferde%22+%22Igls%22&ref=anno-search&seite=3
Lustig finde ich, dass die Einheimischen-Vergünstigung während dieser Veranstaltungen nicht gegolten hat. Dabei wurde die Bevölkerung an anderer Stelle ganz servieceorientiert daran erinnert, sich rechtzeitig eine aktuelle zu besorgen (ATA, 27. Dez. 1922, S. 6):
„Lokalbahn- Legitimationen besorgen! Die einheimische Bevölkerung wird aufmerksam gemacht, daß die Legitimationen für Einheimische vom Jahre 1922 am 31. Dezember mit Schluß des normalen Betriebes ihre Gültigkeit verlieren. Eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer dieser Legitimationen findet nicht statt. Es wird deshalb der einheimischen Bevölkerung nahe gelegt, sich die Einheimischenlegitimationen nach den Feiertagen zu besorgen. […]“
Ich kenn dieses Schneemassenmotiv aus der Maria Theresien Straße von mehreren Ansichtskarten, allerdings mit Blick auf die Nordkette. Datiert waren sie immer mit 1924.
Auf den Transparenten les ich in etwa
(Wint)ersportplatz Igls
zweite Zeile schon kryptischer: mehr???)maliger Bahnverkehr
Seitenverkehrt Ski: Wett u.Sprunglauf