Ein neues Maß – Teil II
Im ersten Teil dieses Beitrags wurde die Einführung der neuen Maß- und Gewichtsordnung vor 150 Jahren vorgestellt. In diesem Beitrag soll nun ein kurzer Blick auf die Umsetzung dieses Gesetzes in Tirol und Innsbruck geworfen werden.
Zunächst muss betont werden, dass das Meter als Maßeinheit in Tirol nicht vollkommen neu war. Zumal das Meter und die abgeleiteten Einheiten Kilogramm und Liter bereits mehr als ein halbes Jahrhundert existierten, war die Einheit zum Beispiel in der Wissenschaft schon einigermaßen verbreitet. Auch hatte in Teilen Tirols das Meter als Einheit kurzzeitig bereits offizielle Geltung gehabt: nachdem die südlichen Kreise Tirols während der Napoleonischen Kriege dem Königreich Italien zugeschlagen worden waren, galten hier auch die neuen französischen Maße. Dies war aber nur ein kurzes Intermezzo und nach dem Wiener Kongress 1814/15 galten wie auch im Rest der Monarchie wieder die traditionellen Maßeinheiten – mit zahleichen lokalen Eigen- und Besonderheiten.
Schon während der Debatte des Gesetzes im Reichsrat gab es in der Öffentlichkeit eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Gesetzes, wobei der Tenor im Allgemeinen für die Einführung des Meters war. So etwa auch im Innsbrucker Tagblatt, das sich bereits im April 1871 für die Einführung des Meters aussprach. Dort war man sich jedoch sicher, dass es eine Weile dauern werde, bis die neuen Maßeinheiten „das unpraktische aber durch die Macht der Gewohnheit geheiligte alte Maß und Gewicht verdrängen und belebend auf Handel, Industrie, Kunst und Wissenschaft einwirken“ werden. Bis zu einem gewissen Grad sollte die Zeitung damit recht behalten, denn tatsächlich nützten die meisten Händler aber auch öffentliche Stellen die fast fünfjährige Übergangsfrist der neuen Maßordnung voll aus und hielten so lange wie möglich an den traditionellen Einheiten, wie Klafter, Fuß oder Elle fest.
Zwar hatte das Handelsministerium und untergeordnete Stellen sowie Privatpersonen Umrechnungstabellen, Mess- und Rechenstäbe mit alten und neuen Maßeinheiten herausgebracht, allerdings scheuten vor allem kleinere Händler die Investition in neue Waagen und Gewichte. Auch in den Ratsprotokollen des Gemeinderats der Stadt Innsbruck findet sich im Übrigen noch bis weit in das Jahr 1876 die Verwendung des Klafters bzw. Quadratklafters anstelle des Metermaßes.
Überdies waren in Tirol die Landesstellen säumig, die entsprechenden Gewichte zur Eichung der Waagen bereitzustellen. Auch die geplante Einrichtung eines Eichamtes in Innsbruck verzögerte sich, da der Gemeinderat sich weigerte ein Haupteichamt in Innsbruck auf Kosten der Gemeinde einzurichten, das für die nördlichen Teile des Kronlands zuständig sein sollte. Erst Ende Dezember 1875 und damit wenige Tage vor dem Inkrafttreten der neuen Maß- und Gewichtsordnung wurde schließlich ein „Aichamt“, zunächst in der Herzog-Friedrich-Straße 21, geschaffen, wo Gewichte, Waagen und andere Messinstrumente geeicht werden konnten. Später übersiedelte des k. k. Aichamt dann an den Innrain 30. Die verspätete Einrichtung des Aichamtes und das Festhalten an den gewohnten Maßen führten in der Folge dazu, dass noch im Juli 1876 das Innsbrucker Tagblatt feststellen musste, dass Tirol bei der Umsetzung „noch weit“ zurückliege:
„Einzelne Geschäftsleute hatten aus Liebe zum Fortschritt, aus Gehorsam gegen das Gesetz oder weil sie einen materiellen Vortheil zu erzielen wußten, aus eigenem Antrieb in ihren Lokalen nach neuem Maß und Gewicht zu kaufen und zu verkaufen begonnen. Doch als sie sahen, daß das Publikum sich nur schwer vom Altgewohnten trenne; als auf ihre Konkurrenten hingewiesen wurde, welche die Leute nicht mit diesem ‚neuen Zuig’ belästigten und verwirren; als ihnen mit der Kündigung der Kundschaft gedroht und die Drohung in manchen Fällen zur Thatsache gemacht wurde; als es sich namentlich zeigte, wie schwer mit den Landleuten nach neuem Maß und Gewicht zu verkehren sei, solange dasselbe nicht allseitig strikte und mit eiserner Strenge durchgeführt ist, da sahen sich die meisten, welche aus freien Stücken das Gesetz befolgt hatten, genöthigt, um der Konkurrenz nicht zu unterliegen, die neuen Maße und Gewichte wieder zu beseitigen und zu den alten zurückzugreifen.“
Erst als die Behörden in Innsbruck streng gegen die Nichteinhaltung vorgingen und alte Waagen beschlagnahmten setzten sich die neuen Maßeinheiten allmählich durch. Nicht zuletzt, da auch in den Schulen das neue System gelehrt wurde.
(Titelbild: Kikeriki, 6. Jänner 1876, S. 3)
(Christof Aichner)
Am Rande bemerkt:
Eine weitere Maßkatastrophe waren die beiden Währungsänderungen in der Monarchie des 19. Jhdts. Zuerst 1858 die Aufhebung des Reichstalers und Umwandlung zum dezimalen Gulden, sowie dann noch einmal 1892 die Abschaffung des Gulden und Ersatz durch die Krone. Besonders schwer traf die Hausfrauen der Wechsel von Talern mit seinen, der früheren englischen Währung ähnlichen, vertrackten Aufteilungen der Kleinmünzen auf den Gulden. Meine Brixner Großmutter, die weder eu noch ü kannte, berichtete vom Gejammer ihrer Großmutter „mitterlicherseits“, daß ihr Kochbuch „iber Nacht ungiltig“ geworden wäre. Was ist passiert? Rezepte lauteten z.B. „für 3 1/2 Kreuzer Mehl“. Und Ururoma war wie viele andere Frauen plötzlich einer unpraktischen Kopfrechnerei ausgesetzt. So schlimm wirds aber auch nicht gewesen, aus eigener Erfahrung weiß ich, daß man die Mengenangaben der gängigsten Rezepte sowieso im Gefihl hat. Äh, Gefühl.
Die Guldeneinführung war der Vereinheitlichung der Währung im ganzen Reichsgebiet geschuldet, also eine Art Monarchie-Euro, und die Umstellung auf Kronen verabschiedete die Silberbasis des Gulden zugunsten der Goldbasis. (Da schwimme ich aber ein bissel und verweise auf Wikipedia). Jedenfalls hat man Gulden und Krone wesentlich länger parallel laufen lassen (8 Jahre) als den Umstieg auf den Euro.
Die Mengenangabe in „Kreizern“ war übrigens sehr praktisch. Sie ersparte die Anschaffung einer Küchenwaage für jeden Haushalt. Wahrscheinlich wäre auch die Massenfabrikation geeichter Spiralfederwaagen damals noch garnicht möglich gewesen. Und wie kaufen, ohne Amazon?
Herr Hirsch, das ist äußerst interessant. Hat man die Kochrezepte damals dann wertsichern können? Oder war Inflation von Vornherein verboten, weil sonst die ganzen Kochbücher überarbeitet hätte werden müssen? Spätestens durch den Ersten Weltkrieg wäre das System dann aber ein Problem geworden. Den nicht-dezimalen Währungen hätte man ja nicht einmal schnell 3 Nullen hinten anhängen können…
Die Währung war offensichtlich lange Zeit sehr stabil, Kochbücher waren eine Anschaffung fürs Leben.
Die Mengenangabe in „Kreizern“ war übrigens sehr praktisch. Sie ersparte die Anschaffung einer Küchenwaage für jeden Haushalt. Wahrscheinlich wäre auch die Massenfabrikation geeichter Spiralfederwaagen damals noch garnicht möglich gewesen. Und wie kaufen, ohne Amazon?