skip to Main Content
#bilderschauen --- #geschichtenlesen --- #gernauchwiederimarchiv
Archivding Der Woche

Archivding der Woche

Mit dem Hofkanzleidekret vom 30. März 1770 wurde in den Hauptstädten der österreichischen Erbländer die Totenbeschau eingeführt, um „von den den eigentlichen Krankheits- oder sonstigen Umständen, welchen den Tod eines Verstorbenen [sic] verursacht haben, zuverläßich unterrichtet zu seyen, und dadurch die Verbreitung der epidemischen Krankheiten hintanzuhalten, auch von den gewaltigen [sic] Todesfällen die Nachrichten einzuziehen […].“

In weiterer Folge wurden auch Instruktionen für die Totenbeschauer herausgegeben und eine davon wollen wir Ihnen heute vorstellen. Vor knapp 200 Jahren erschien der oben abgebildete, zweisprachige Leitfaden in Innsbruck. Er gibt nicht nur Aufschluss über die Totenbeschau, sondern auch über den Stand der Medizin und den Umgang mit dem Tod im Tirol des Vormärz. Er ist somit eine außergewöhnliche medizin- und kulturgeschichtliche Quelle.

In der Instruktion für die Todten-Beschauer lesen wir u.a.:

§1
Der Endzweck der Todtenbeschau ist dreyfach:
1. Sich zu überzeugen, daß der Tod eines Menschen wirklich erfolgt sey, damit nicht etwa ein in tiefer Ohnmacht, oder im Scheintod Liegender lebendig begraben werde, welcher [sic] Unglück sich sonst nicht selten ereignen.
2. Darauf zu sehen, ob der Verstorbene nicht etwa durch Gift oder irgend eine angebrachte Gewalt getödtet worden sey.
3. Zu untersuchen, ob die Krankheit des Verstorbenen ansteckend, oder überhaupt von einer solchen Art gewesen sey, daß es besondere Vorsichtsanstalten, vorzüglich in Rücksicht auf dessen Bett, Kleidung u. s. w. bedürfe, um einer Ansteckung vorzubeugen.

§4
So oft dem Todtenbeschauer angedeutet wird, daß in seinem Bezirke jemand gestorben sey, hat er sich alsogleich, besonders bey heißer Jahreszeit, in das Haus des Verstorbenen zu begeben, und jene Personen, die während der Krankheit gegenwärtig waren, zu befragen, wie lange die Krankheit gedauert, über welche Zufälle der Kranke am meisten geklagt, und was sie besonders beobachtet haben. […]

§5
Nach dieser Ausforschung hat er den todten Körper mit Anstand zu entbklößen, und ganz genau zu untersuchen, ob gar kein Lebenszeichen vorhanden sey. Für Zeichen des Todes hält man gewöhnlich folgende: Aufhören des Herz- und Aderschlages, (es fließt kein Blut aus der geöffneten Ader), des Athmes, des Gefühles, der äußeren Bewegungen, Kälte und Steifheit des Körpers, gebrochene Augen, Erschlaffung aller Muskeln, anfangende Fäulinß. – Aber der Aderschlag [? Textverlust] hört oft bey Ohnmachten auf und der Herzschlag wird in Ohnmachten beynahe unmerklich, oder steht still.
Eben so kann das Athemholen längere Zeit aussetzen, ohne daß wirklicher Tod zugegen ist […].
Die Empfindung hört auf: bey den vom Schlage Getroffenen, bey Fallsüchtigen, Erstickten, Ertrunkenen, so daß das Brennen, Kneipen u. s. w. keine Empfindung verursacht. Eben so ist das Aufhören aller Bewegung kein gewisses Todeszeichen. Scheintodte, Ertrunkene, suind bisweilen ganz kalt, und werden doch wieder in’s Leben zurückgerufen. Erfrorene, Ertrunkene, Scheintodte sind bisweilen steif wie Holz, vom Blitz getroffene dagegen schlaff.
Das Nachlassen der Muskeln ist auch häufig ohne wahren Tod zugegen, das Stillstehen des Blutes, das Brechen der Augen, die ungleiche Augensterne, und der aashafte Geruch sind auch keine zuverlässigen Todeszeichen, nicht einmal Fäulniß an einer Stelle, sondern nur die sich ausbreitende Fäulniß, blaugrüne Farbe des Unterleibes, und Ablösung der Oberhaut sichere Todeszeichen.

§6
[…] Kommt aber ein Körper zur Beschau vor, bey welchem der Todtenbeschauer weder aus den vorhergegangenen Zufällen, noch aus der körperlichen Untersuchung ganz zuverlässig wahrnehmen kann, daß der Mensch vollkommen todt ist; so muß er denselben als scheintodt betrachten, und die Rettungsmittel versuchen.Bleiben letztere fruchtlos, so muß er die Begräbnis so lange verschieben, bis sich solche Kennzeichen äußern, daß der Körper wirklich zu faulen anfange, (§5) und folglich ganz todt sey.
Bis dahin ist eine Leiche mit erhabenem Kopfe auf dem Bette zu lassen. Man ziehe ihr nicht das Kissen unter dem Kopfe weg; man nehme diselbe nicht sogleich aus dem Bette, um sie etwa auf einen Strohsack, ein Leichenbrett, oder den bloßen Fußboden, oder an einen anderen kalten Ort zu legen, man drücke ihr den Mund und die Augen nicht mit Gewalt zu, man verbinde ihr auch nicht den Mund, auch bedecke man nicht das Geschicht mit dicken, oder feuchten Tüchern. […]
Der Todtenbeschauer soll die Anweisung zum Rettungsverfahren bey Scheintodten, und in plötzlichen Lebensgefahren fleißig durchlesen, und die darin enthaltenen Vorschriften seinem Gedächtnisse gut einzuprägen, damit er die nötigen Rettungsversuche gehörig anzustellen wisse.

§10
In solchen Fällen, wo eine gerichtliche Leichenschau statt finden muß, ist es weder dem Arzte, noch Wundarzte, welche den Verstorbenen in seinen letzten Lebenstagen behandelten, noch sonst jemand Anderem unter der strengsten Ahndung erlaubt, irgend eine anatomische oder andere Untersuchung, wodurch die späterhin eintretende gerichtliche Leichenschau etweder ganz, oder nur zum Theile vereitelt, oder wenigstens doch unzuverlässig gemacht werden könnte, vorzunehmen; sondern sind sie verbunden, so viel es von ihnen abhängt, dafür zu sorgen, daß der Leichnam als Gegenstand der Untersuchung so unberührt und unverändert, als es nur immer möglich ist, gelassen, und wenn es anders seyn kann, sogar nicht von der Stelle, und aus der Lage, in der der Mensch verschied, oder in welcher er todt gefunden wurde, gebracht, oder übertragen werde.
[…]

§12
Findet der Todtenbeschauer am dem todten Körper nichts Besonderes, oder Verdächtiges, und ist er durch die vorhergegangene Krankheit sowohl als durch seine genaue Untersuchung versichert, daß der Körper wirklich entseelt ist, so hat er den Beschauzettel, und zwar jedesmal doppelt, einen für den Seelsorger, und einen für den Gemeindevorsteher, nach der folgenden Formel auszustellen.

§13
Entdeckt der Todtenbeschauer aber etwas Verdächtiges, d. i. entweder Umstände und Spuren von Vergiftung, oder von erlittener Gewalt; so hat er dieses auf dem Beschauzettel anzugeben, und auf eine gerichtliche Untersuchung zu dringen […].

§14
Wenn der Verstorbene mit Skorbut, venerischer Krankheit, sonstiger Verderbniß der Säfte, Lungensucht, bösartigen äußerlichen oder innerlichen Geschwüren behaftet war; wenn an dem Leichnam Petechien, Friesel, Blattern oder sonst ein Auschlag bemerkt wird, so kann dessen Kleidung, Bett, und Leinenzeug von einigem Werthe nur nach mehrmals wiederholtem Waschen, Reinigen, und Auslüften, der Ueberlebende zu gebrauchen erlaubt.
Schlechtes Bett- und Leinenzeug aber ist aus Vorsicht besser zu verbrennen.
[…]

§19
Außer den Frauenklöstern sind alle übrigen Klöster, Spitäler, Militär-Versorgungs- und dergl. Stiftungshäuser, überhaupt alle Kommunitäten ohne Ausnahme der Leichenbeschau zu unterziehen; die Medici ordinarii sollen in Frauenklöstern diese Beschau vornehmen, und nach dem Ableben einer Klosterfrau oder sonstigen Personen aus der Kommunität eine kurze erschöpfende Beschreibung der gehabten Krankheit dem Todtenbeschauer einschicken, auch in epidemischen Fällen die gesetzlichen Vorkehrungen treffen.

§20
Die Totenbeschaugebühr besteht im Wohnorte des Todtenbeschauers, er sey Arzt oder Wundarzt, ohne Unterschied des Alters, des Vermögensstandes, und der Begräbnißklasse in 10 kr. W. W. C. M. oder 12 kr. R. W.
Bey ganz armen Leuten hat die Beschaukosten jene Kasse zu bezahlen, der die Beerdigungskosten zur Last fallen […].

§22
Renitenten, welche sich der Todtenbeschau erweislich widersetzen, sind von den Todtenbeschauern dem Landgerichte, diejenigen aber, welche den Todesfall nicht anzeigen, von der Geistlichkeit dem Gerichte namhaft zu machen.

StAI, B-12271

PS: Wenn Sie jetzt neugierg geworden sind, was sonst noch in dieser Instruktion steht, kommen Sie doch in unseren Lesesaal in der Badgasse. Dort können Sie die Instruktion in Ruhe ganz studieren 🙂

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
    1. Lt. Wikipedia sind das „eine Vielzahl stecknadelkopfgroßer Blutungen aus den Kapillaren in die Haut oder Schleimhäute, die auf eine Störung der Blutstillung hinweisen. Oft treten als erstes Symptom kleinste Blutpünktchen an den Knöcheln und Unterschenkeln auf. […] Rechtsmedizinisch können Petechien am Kopf, oft im Bereich der Augen oder Lider, auf eine venöse Stauung bei Strangulationen hinweisen. Dazu kommt es, wenn durch Gegenwehr des Opfers zwar die Halsvenen, nicht aber die Schlagadern obstruiert wurden.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Petechie)

  1. Trotzdem hört man auch heute noch von Fällen wo’s nicht klappte, wie es z.B. auch in den Innsbrucker Nachrichten vom 26.10. 1868 zu lesen war:
    …. Beim Aufbahren hob er den Kopf und beschwerte sich „das ist wohl hart“….

    https://diglib.uibk.ac.at/obvuibz/periodical/pageview/4041742?query=%22zweimal%20gestorben%22

    Und hier geht’s weiter:

    https://diglib.uibk.ac.at/obvuibz/periodical/pageview/4041743?query=%22zweimal%20gestorben%22

  2. Der Beitrag hält mehrere interessante Zusatzinformationen bereit.

    Es hat damals eine panische Angst vor dem Scheintod und dem in diesem Zustand Begrabenwerden geherrscht. Nachgegoogelt habe ich diesen Artikel gefunden mit teilweise rührend hilflosen Gegenmaßnahmen (Axt im Sarg z.B.) https://www.stilvolle-grabsteine.de/ratgeber/taphephobie-angst-lebendig-begraben-werden/ . An eine Abbildung der Winkflagge am Grab in einem Buch kann ich mich erinnern, ein kompliziertes Hebelwerk mit zusätzlichem mechanischem Marker, der anzeigte, ob etwa in der Nacht gewunken wurde. Makaber und auch unfreiwillig komisch. Mit welcher Beklemmung man wohl das Grab besuchte, hat die Leiche doch noch gewunken?

    Weiters interessant die anscheinend selbstverständliche Zweisprachigkeit weit nördlich der „natürlichen“ Sprachgrenze, von der heute meistens seitens von Gestrigen gleichsam als Gottes Wille die Rede ist.

    Skorbut und Krebs wurden als ansteckend vermutet, aber man wußte um die aseptische Wirkung des heißen Auswaschens.

    Man wußte Bescheid über Wiederbelebungsmaßnahmen, wenn ein Scheintod vermutet wurde, konnte man sie anwenden. DAS wäre für mich z.B. einmal ein Grund, die vom Archiv angebotene Nachlese dortselbst zu nutzen.

    Danke für das Ausgraben des Archivdinges.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top
×Close search
Suche