Der Kalender vom letzten Jahr
ist schnell ein wenig so verstaubt wie die Zeitung von gestern oder die Wettervorhersage von letzter Woche.
Der einzige Monat des Jahres, in dem relevante Mengen an Kalendern verkauft werden, war und bleibt der Dezember; immer wieder vergessen Konsument:innen, dass es ökonomisch klug wäre, auf den Februar zu warten in dem die nun nur mehr 11 Monate voraussehenden Druckwerke zu Schleuderpreisen über den Bücherladentisch gehen. Weil man aber für Onkel Otto und Tante Trude noch kein anderes Weihnachtsgeschenk hat, greift man doch wieder zum Taschenplaner oder Prachtschlösser an der Loire-Kalender.
Anders verhält es sich mit selbst gestalteten Bildkalendern. Sei es nun innerhalb der Familie, in der man mit dem Jahreskreis der Enkerl, Nichten und Neffen bedacht wird: Hier ist der Alterungsprozess schon eingepreist und bei sorgsamer Archivierung kann später die Entwicklung der lieben Verwandten vom Einzeller zur Medizinstudentin bildlich nachgezeichnet werden. Da moderne Eltern von ihrem Nachwuchs derzeit im Schnitt fünf bis fünfhundert Fotos pro Tag schießen, ist die Auswahl für den Kalender mit seinen 12 Monatstafeln die größte Herausforderung für Kalender-Autor:innen. Oft müssen daher Collagen vom Badeurlaub in Sharm-el-Sheik (Sonnenuntergang, Willkommenscocktail, Kamelreiten) oder dem Städtetrip nach St. Radegund (Sonnenaufgang, Schnitzelteller, müde vom Bergsteigen) angefertigt werden. Den Rest inklusve Zustellung per Schneckenpost erledigt Fotokalender.de.
Trotz unzähliger Internetseiten mit alten Fotos hält sich auch das Format des historischen Dorfkalenders wacker; der Feuerwehrclub, der Pensionistenverband, der Sozialsprengel: Alle geben als Dank für kleine Spenden gerne einen Jahreskalender zurück. Ein wenig ins Hintertreffen geraten sind die vormals in jeder Werkstatt hängenden Kalender mit spärlich bekleideten Damen (bis in die 1970er) oder Jungbauern (seit den 1990ern). Das Format hat sich überholt, wie auch der Maserati-, Ferrari- oder Lamborghini-Kalender (meist auch noch mit einer Blondine als Garnierung des Boliden; bei Pirelli ist man wegen der mittleren Attraktivität von Reifen als Bildmotiv dann überhaupt zum künstlerischen Softporno gewechselt).
Seltener, aber umso interessanter sind die Autoren- und Konzeptkalender. Dabei gibt es die konservativ-erzählerischen Hauskalender wie den nicht umzubringenden Reimmichlkalender bis zu den gesellschaftskritischen Konzepten wie dem Gaismairkalender. Beim Studium der älteren Ausgaben des letzteren wundert man sich gelegentlich, wie wenig weit die darin kritisierte Gesellschaft seit den 1970er Jahren vom Fleck gekommen ist oder sich gefühlt eher Richtung 1525 entwickelt.
Irgendwann im Jahr 2001, kurz nach der unspektakulären Jahrtausendwende, die wir trotz aller Befürchtungen ohne implodierende Atomkraftwerke, einstürzende Neubauten oder andere Folgen der von Kassandra und Kronenzeitung vorhergesagten Datumsprobleme überstanden haben und kurz vor der Einführung des Euro, der jedenfalls das Maut zahlen in Europa vereinfacht hat, begab sich nun Folgendes: Ein in dieser Konstellation einzigartiges Konsortium aus Kreativen beschloss, im Auftrag der Altstadtkaufleute einen Altstadtkalender zu machen. Das Thema: Menschen, die schon einige Berufsjahre in bekannten Geschäften hinter sich gebracht haben und so zur Altstadt, wie man sie damals kannte, einfach dazugehörten, zu porträtieren. Der Kalender hatte etwas ungewohnte 13 Blatt und startete schon im Dezember 2001, was im Impressum mit der zum Jahreswechsel anstehenden Pensionierung des Hrn. Willi Weisböck (1946-2017) vom Titelbild dieses Beitrags begründet wurde.
(Foto: Gerhard Berger)