Richard Steidle (VII.)
Wie im Aufruf vom 3. Mai bereits hervorgehoben wurde, sah sich der Ordnungs-Block bzw. die Heimatwehr als Schutz vor dem „Bolschewismus“. Die kurzlebige bayerische Räterepublik, die ein Jahr zuvor nach kaum einem Monat ihr gewaltsames Ende gefunden hatte, spielte daher eine große Rolle im Denken der Gründer. Steidle legte bereits früh besonderen Wert auf die Vernetzung der zahlreichen regionalen Äquivalente der Heimatwehren, auch über die Staatsgrenze hinweg nach Bayern. Schon einen Tag nach der Gründung der Tiroler Heimatwehr fand in Kufstein eine Besprechung mit Vertretern der bayerischen „Einwohnerwehren“ statt, um die künftige Zusammenarbeit zu regeln. Drei Tage darauf veröffentlichte Steidle seinen ersten Aufruf als Landesführer der Heimatwehren Tirols:
„In Mitteldeutschland, in Oberitalien erobert sich der Bolschewismus immer mehr Boden, bedroht immer offener Ordnung und Ruhe. In Linz – am Fuße der Alpen – wagte der Bolschewismus bereits eine Kraftprobe. […] Dies muss unserem […] Heimatlande erspart bleiben! Vertrauensmänner aus […] allen Teilen Tirols beschlossen die Bildung von Heimatwehren zur Unterstützung der schwachen Sicherheitsorganisationen. ‚Auf deutschvölkisch-tirolischer Grundlage für Ordnung und Ruhe, zum Schutze der verfassungsmäßigen Regierung, des öffentlichen und privaten Eigentums und gegen jeden Putsch!‘ Dies ist die Losung der Heimatwehren, gleichgeartet der Organisation unserer Stammesbrüder in Deutschland, mit denen wir bald im gemeinsamen Reiche vereint zu sein hoffen. Die gewählten Führer der Heimatwehren Tirols fordern alle ordnungsliebenden Landsleute auf, in die Wehren einzutreten. Es ist Ehrenpflicht denselben anzugehören!“
Durch seine neue Rolle als Landesführer der Heimatwehr wurde Steidle zu einer bedeutenden Persönlichkeit der politischen Szene in Tirol. Somit begann sich auch der Pressekrieg mit der sozialdemokratischen Volks-Zeitung zu verschärfen. Diese hatte ihn bereits 1919 aufgrund seiner Rolle bei der Organisation zahlreicher örtlicher Bürgerwehren als „‘Generalissimus‘ der Landesregierung“ betitelt. Im September des Jahres waren im Landhaus Waffen und Munition eingelagert worden; dahinter vermutete die Volks-Zeitung Vorbereitungen der Landesregierung, mögliche Demonstrationen in Innsbruck gewaltsam niederschlagen zu lassen. Dahinter stecke der „Mephisto und ‚militärische Berater‘“ der Regierung, Richard Steidle. Die Zeitung forderte, dass das Verteidigungsministerium (bzw. damals das „Staatsamt für Heereswesen“) die „Garde des Herrn Dr. Steidle“ entwaffnen solle, da damit offensichtlich das staatliche Gewaltmonopol untergraben werde. Die Volks-Zeitung kritisierte ihn auch für seine antisemitische Polemik. Im November des Jahres hatte ihn ein Artikel des Blattes als „ein[en] Mann, der von Verdauungsstörungen befallen wird, wenn er sich nicht wenigstens die Woche einmal gründlichst über Wien und über die ‚Judenregierung‘ […] ausschleimen kann […]“ beschrieben.
Die Christlichsozialen und die Sozialdemokraten warfen sich damals gegenseitig vor, den Anschluss verhindert zu haben. Von Steidle haben wir ja bereits gehört, wie er den Sozialdemokraten vorwarf, durch ihr zu rasches Bekenntnis zum Anschluss habe man ihn unmöglich gemacht, diese argumentierten ihrerseits, die halbherzige Unterstützung, bzw. sogar Feindseligkeit gegen diese Option von Christlichsozialer Seite habe dazu geführt, dass die Gelegenheit verstrich.
(Mitgliedsausweis der Heimatwehr Tirol, Signatur Div-708)