Studentenalltag um 1900
Vor kurzem sind mir die Erinnerungen des Biologen Vincenz Brehm untergekommen. Brehm wurde 1879 in Duppau/Doupov in Böhmen geboren, wo sein Vater als Notar arbeitete. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Eger/Cheb zog Vincenz Brehm dann für sein Studium nach Innsbruck, das er bereits von Sommerfrischeaufenthalten mit seiner Familie kannte und daher bewusst als Studienort ausgewählt hatte. In seinen Erinnerungen finden sich zahlreiche Erinnerungen an die Universität, das Studium, das Leben in der Stadt und dessen Bewohner und Bewohnerinnen.
In seinem ersten Studienjahr wohnte er am Innrain 25, wo seine Mutter für ihn ein Zimmer angemietet hatte, dabei erbte er die Einrichtung von Hermann Anschütz-Kaempfe, den Erfinder des Kreiselkompasses (und faszinierende Persönlichkeit), der zuvor in diesem Zimmer logiert hatte. Während er somit in recht „feudalen“ Umständen lebte, wie er selbst schreibt, war die Wohnsituation von anderen Kommilitonen durchaus weniger angenehm: unbeheizbare, kahle und feuchte Zimmer waren keine Seltenheit. Später zog Brehm, gemeinsam mit seiner Vermieterin Marie Micheluzzi mehrfach innerhalb von Wilten um (Adamgasse 3 später 5 und schließlich in die Speckbacherstraße). Die Adamgasse sagte ihm dabei am weniger zu. Das Haus lag zwar „romantisch“ am Sillkanal und einem Mühlrad, allerdings auch neben der Feigenkaffeefabrik, was eine ständige Geruchsbelästigung bedeutete.
„Aber auch an diesem romantischen Plätzchen, das so sehr an die ‚Mühle in einem kühlen Grunde‘ erinnerte, war keines Bleibens: Wieder ein Jahr später fand ich mich in die Speckbacherstraße versetzt, auch diese Unterkunft hatte ihre schönen Seiten: in der Früh ertönte aus dem Garten der Gesang der Amseln, und der melodische Doppelschlag der Uhr der Herz-Jesu-Kirche klang mir anheimelnd ins Ohr, wenn ich abends auf der Veranda mir ein Glas Zipfer genehmigte und in das Grün des Gartens hinausblickte.“
Ausführlich beschreibt er dann auch das Kneipwesen und den Alkoholkonsum der studentischen Verbindungen, dem in der kleinen Stadt nur schwer zu entkommen war und das sehr viele Opfer forderte und auch immer wieder Anzeigen und Gerichtsverfahren zur Folge hatte.
Interessanter finde ich hingegen seine Schilderungen des übrigen studentischen Alltags. Seinen Mittagstisch nahm er beispielsweise, auf Empfehlung seiner Vermieterin, im Gasthaus der Monika Flunger ein, wo er sich einer Gruppe von Studierenden aus Oberösterreich anschloss (Linzer Tafelrunde).
„Für 42 kr bekamen wir bei der Flunger ein wirklich reichliches und gut zubereitetes Essen, bestehend aus Suppe, Rindfleisch mit Beilagen und Mehlspeise; zweimal die Woche gab es statt des Rindfleisches Braten; Die Suppen gehörten noch der guten alten Zeit an, d.h. sie bestanden nicht wie heute aus warmen Wasser, sondern wiesen sehr konkreten Inhalt auf, etwa zwei Tiroler Knödel oder, wenn es sich um Erbsensuppe handelte, eine Einlage von einem Paar Frankfurter, etc. Die Stammgäste konnten also wirklich zufrieden sein. […] In puncto Alkohol war nun die Linzer Tafelrunde harmlos und bescheiden. Abends fand man sich nur gelegentlich zusammen, und zwar beim Bierwastl, dessen am Inn gelegener Gastgarten im Sommer ebenso sympathisch war wie im Winter die Gastzimmer im Hause. Der Wechsel vom Sommer ins Winterquartier war auch für die Flunger typisch. Wenn ich zu Beginn des Wintersemesters, so um den 10. Oktober, in Innsbruck einzog, wurden die Mahlzeiten noch im Freien eingenommen; aber die oft spürbar auf die Essenden fallenden Kastanien mahnten schon, daß bald der Umzug in die Gaststube fällig werden würde. Um Allerheiligen hielten wir dann meist den Einzug in das auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegene Lokal. Hier mußten die Tische etwas enger zusammengerückt werden. Unser Stammtisch befand sich zwischen der Tafelrunde der Burschenschaft ‚Pappenheimer‘ und dem Tisch der kroatischen Landsmannschaft ‚Velebit‘. Im Nebenraum hatte sich eine Bergsteigervereinigung ‚Die Wilde Bande‘ niedergelassen. Das alles hauste ganz friedlich neben und miteinander, bis die ersten Plantenigel (primula minima) aus der Thaurer Klamm den Frühlings-Einzug kündeten. Da gings wieder hinaus ins Grüne. Unter den gleich Christbäumen blütenkerzengeschmückten Kastanien wurde manches Viertel Spezial oder Teroldego geleert: Ringsum waren dann auch bald Bauern mit dem Heuen beschäftigt und man hätte meinen mögen, in einer ländlichen entlegenen Sommerfrische zu weilen.“
Neben diesen (vor allem) kulinarischen Eindrücken, werde ich Ihnen in einem folgenden Beitrag dann weitere Einblicke in das Studentenleben von Brehm zu Gemüte führen. Im Titelbild sehen Sie im Übrigen einen Ausschnitt eines Entwurfs für eine Speisekarte der Restauration der Monika Flunger bei der Triumphpforte, links das Gasthaus und der anderen Straßenseite der Gastgarten. Um 1900 war dieses äußerst beliebt, vor allem hielten dort viele Vereine ihre Stammtische und Treffen ab.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Bi-k-975 – Ausschnitt – Entwurf von Karl Redlich; Zitate aus: Vincenz Brehm, Aus meinem Leben. Autobiographie)