Die Befehlsstelle der Großbatterie Vill (1 von 3)
Diesmal können wir Ihnen einen Gastbeitrag (in drei wöchentlichen Folgen) von Barbara Pöll und Pascale Brandstätter präsentieren, der wisschaftlich-präzise eines der Rätsel der Innsbrucker Zeitgeschichte klärt. Mag.a Barbara Pöll, Firma Monumentgut, erforscht seit Jahren unter anderem „zeitgeschichtliche Relikte“. Für die Stadt Innsbruck war sie kürzlich bei der Klärung offener Fragen im Lager Reichenau erfolgreich tätig. Ich bedanke mich bei den Forscherinnen für ihre Bereitschaft, ihre Ergebnisse (hier in einer kürzeren Fassung) mit uns zu teilen. Ein umfangreicherer Grabungsbericht erscheint in unserer nächsten Ausgabe von Zeit-Raum-Innsbruck. L.M.
Am 29. März 2023 wurde die Befehlsstelle der Großbatterie Vill untersucht, da die Grundeigentümerin eine Gefährdung für Leib und Leben durch Kampfmittel vermutete. Nach der Öffnung des Eingangsbereichs und der Belüftung des Bunkers wurde festgestellt, dass sich im Inneren keine Kampfmittel befinden. Im Anschluss folgte eine archäologische Dokumentation durch das Bundesdenkmalamt und die Firma EOD Munitionsbergung GmbH sowie eine Vermessung des Bauwerkes durch das Büro Kofler ZT GmbH.
Luftangriffe und Aufbau einer Luftabwehr in Innsbruck
Ab Sommer 1943 wurden in Tirol die ersten Flakbatterien aufgestellt. Der Untergruppe Innsbruck Nord war die schwere Flakabteilung 577 mit den drei Großbatterien in Vill, Rum und Tiergarten (heute Flughafen Innsbruck) zugeordnet. Zunächst wurden die 1. und 2. Batterie der schweren Flakabteilung 577 (1./577 = RAD 6./330 und 2./577) in Vill stationiert. Nach den Dezemberangriffen auf Innsbruck wurde zur Verstärkung die 3. Batterie (3./577) nach Vill verlegt. Sie war am 24. Dezember 1943 feuerbereit. Es folgten weitere Stellungswechsel und Umgruppierungen von Einheiten. Am 8. Jänner 1944 übernahm Kommandeur Major Arlt, sein Gefechtsstand befand sich in der Pension Walther in Igls (Schloss Igls Hotel gesucht – Innsbruck erinnert sich), die taktische Führung der Flakuntergruppe Süd. Dieser waren nun die Großbatterie Vill mit der 1./577 (RAD 6/330), 2. und 3./577, die Großbatterie Natters mit der 1., 2. und 4./506, die Großbatterie Lans mit der 2./506 und 1./384 (RAD 5/302) unterstellt.
Im Dezember 1943 fanden zwei verheerende Luftangriffe von B-17 „Flying Fortress“ und B-24 „Liberator“-Bombern der 15th USAAF (15. US-Luftflotte) auf Innsbruck statt, die auch die Flakabteilungen in und um Innsbruck forderten. Stellungnahmen, Zeugenberichte sowie Abschussmeldungen und Gefechtsberichte der beteiligten Flakbatterien liegen zum Abschuss einer B-24 „Liberator“ am 19.12.1943 um 11.57 Uhr mit Absturzort Largotz bei Volders sowie einer weiteren Maschine um 12.03 Uhr mit Absturzort am Rauchkofel in den Zillertaler Alpen vor. Eine B-17 wurde von der Batterie Tiergarten getroffen und stürzte bei Ancona ins Meer. Am 20.6.1944 erfolgte die offizielle Anerkennung der Abschüsse für die Großbatterie Tiergarten (4./577 u. schw. Hei. 210/VII), die Großbatterie Rum (5./577 (RAD 2/332) und schw. Hei. 211/VII) sowie die Großbatterie Vill (1./577 (RAD 6./330) und 2./577) durch den Reichsminister der Luftfahrt und der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring.

(Abb 2) Kartierung der Flakstellungen in und um Innsbruck. Die Großbatterie Vill lag unmittelbar nördlich des Ortskerns.
Die Großbatterie Vill
Die als Bunker unter der Oberfläche gelegene Befehlsstelle der Großbatterie Vill liegt zwischen der 1. Batterie der schweren Flak-Abteilung 577 (RAD 6./330) im Norden und der 2./577 im Süden. Beim Unterstand handelt es sich um einen kleinen Feld-Befehlsbunker in kompakter Form. Der Bau ist Nordwest-Südost ausgerichtet und verfügt über zwei Eingänge an den Längsseiten. Die Luftbilder vom 12. März 1945 und 25. April 1945 zeigen ihn von fünf Begleitobjekten umgeben, bei denen es sich um die Stände für die Funkmessgeräte und Kommandogeräte handelt.

(Abb 3) Kartierung der Befehlsstelle und der drei Batterien der Großbatterie Vill nördlich des Dorfzentrums auf einem aktuellen Orthofoto (Datengrundlage: Luftbilder vom 12. März 1945 und 25. April 1945). Das Wissen um die Standorte der einzelnen Flakbatterien beruht auf den Erinnerungen von Oberst a. D. Walter Doblander (Brief von Walter Doblander an Harwick W. Arch. Mein Dank gilt Harald Stadler für die Überlassung der Kartierung). Grafik: monumentGUT | Barbara Pöll.
Autorinnen: Barbara Pöll und Pascale Brandstätter
Quellennachweis:
BArch RL 5/283 (Schwere Flak-Abteilung 577 (o) / Flak-Untergruppe Innsbruck-Nord 1943; Dez.1943, Juni 1944–Juli 1944).
BArch RL 19-7/18 (Luftgaukommando VII, Kriegstagebuch Nr. 9; 1. Aug.–31. Dez. 1943).
BArch RL 19-7/19 (Luftgaukommando VII, Kriegstagebuch Nr. 10: 1. Jan.–31. Juli 1944).
Luftbilddatenbank Dr. Carls, Wien. Quellarchiv: Historic Environment Scotland (HES) Edinburgh, Flugdatum: 12.03.1945, Flugnummer: 32-0866, Bildnummer: 4125.
Luftbilddatenbank Dr. Carls, Wien. Quellarchiv: Historic Environment Scotland (HES) Edinburgh, Flugdatum: 25.04.1945, Flugnummer: 682-1124, Bildnummer: 4011.
Thomas Albrich, Luftkrieg über der Alpenfestung 1943–1945. Der Gau Tirol-Vorarlberg und die Operationszone Alpenvorland, Innsbruck 2014.
Thomas Albrich, Die amerikanischen Bomberverluste über dem Gau Tirol-Vorarlberg und der Operationszone Alpenvorland 1943–1945. Eine Bilanz, in: Tiroler Heimatblätter 79, 2015, 249–293.
Thomas Albrich/Arno Gisinger, Im Bombenkrieg, Tirol und Vorarlberg 1943–1945 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 8) Innsbruck 1992.
Maritta Horwath/Horst Schreiber, Von der Schulbank ans Geschütz. Die Luftwaffenhelfer in Tirol und Vorarlberg 1943–1945, Innsbruck 1996.
Horst Schreiber, Innsbruck im Bombenkrieg. Der historische Hintergrund des Stollenbaues, in: Konrad Arnold (Hrsg), Luftschutzstollen aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Beispiel Innsbruck. Von der Geschichte zur rechtlichen und technischen Problemlösung in der Gegenwart, Innsbruck 2002, 15–98.
Michael Svehla, Als in Innsbruck die Sirenen heulten. Luftangriffe 1943–1945, Innsbruck 2018.
(1) Titelbild: EOD Munitionsbergung GmbH, Asten.
(2–3) Orthofoto Basemap, Kartierungen: monumentGUT | Barbara Pöll aus Basis historischer Luftbilder von 1945.