Sommer 1914 (VI)
In den Innsbrucker Kinos war Mitte August 1914 noch nicht viel vom Krieg zu sehen. Im Triumphkino lief ein „Wildwest-Drama“, das Theater-Kino im Hotel Grauer Bär zeigte das „große Sensations-Drama Liebesintrigen“ und im Triumph-Kino war der Streifen „Wenn die Erde erbebt!“ (O-Ton: „Kolossal spannend“) zu sehen. Letzteren Film sahen sich auch die Zepharovichs am Nachmittag des 10. August 1914 an. Margarethe notiere anschließend in ihrem Tagebuch: „[…] um 5 alle 4 in das Cinéma, das wieder sehr hübsch war, besonders ein Stück, bei dem das große Erdbeben von San Franzisko [sic] schauerlich schön dargestellt war.“
„Abends bald ins Bett, noch lange gelesen. – Es ist so schrecklich zu denken, daß während wir ruhig hier leben, so viel unser[er] Lieben in Gefahr sind u. so viele Landsleute vielleicht schon tot oder verwundet liegen. Herr, steh allen bei, daß wenigstens keine seelisch verloren gehen!“ (Eintrag 10.8.1914)
In den folgenden Tagen drehten sich Margarethes Gedanken um ihren Sohn Alexander, der sich eine Erkältung zugezogen hatte, den Heiratsantrag, den sie vor einigen Tagen erhalten hatte und den Haushalt. Erst am 14. August nimmt sie wieder Bezug auf den Krieg, wobei ihre Erbitterung über die Ermordung von Franz Ferdinand und Sophie immer noch stark durchscheint:
[…] dann las ich Zeitung, was immer riesig interessant ist. Die Deutschen haben die Franzosen schon 2mal geschlagen. Die Russen weichen zurück, geben Polen preis, das sich begeistert unseren Truppen anschließt, als Befreier vom russischen Bedrücker. Vom Süden hört man fast nichts, es wird alles sehr geheim gehalten, man scheint Serbien einschließen u. aushungern zu wollen, um nicht so viele Leute für dieses Räuberpack zu opfern. TB Margarethe von Zepharovich, 14.08.1914
Am nächsten Tag standen Zepharovichs erst spät auf und da ein heftiges Gewitter den Besuch der „11 Uhrmesse“ verhinderte, las Margarethe „den Kindern die hl. Messe vor. Dann las ich wieder Zeitungen.“ Immer noch kursierten Gerüchte. So notierte sie in ihrem Tagebuch: „Es heißt hier, daß die Italiener so viel Militär an unseren Grenzen versammeln, was sehr verdächtig ist, Gott stehe uns bei. Hilf uns zum Siege!“
Am 16. August spielte das Wetter wieder mit und so besuchte Margarethe mit ihren Söhnen die hl. Messe. Im Anschluss kaufte sie Lebensmittel und Zeitungen ein („Daheim gelesen, aber nichts Neues.“). Nachmittags spielte sie Klavier, „um meine Nerven zu beruhigen, man wird schon ganz nervös, nichts wie Kriegserklärungen u. noch keine definitiven Nachrichten, es ist ja freilich noch zu früh für irgend eine Entscheidung, aber doch schwer zu ertragen, diese Ungewissheit.“
Der 17. August 1914 brachte die Nachricht von einem militärischen Erfolg der k.u.k. Armee an der serbischen Grenze („wir haben glänzend gewonnen, doch auch viele Verluste gehabt,“ notierte Margarethe) und Gerüchte über Aufstände im Kaukasus und der zaristischen Flotte.
Tags darauf wurde in der Monarchie der Geburtstag des Kaisers gefeiert. Margarethe stellte ihrem Tagebucheintrag dieses Ereignis voran: „Kaisers 84. Geburtstag“ und notierte dann:
Bei Regen feiern wir heute den lieben Tag, der sonst fast immer Kaiserwetter brachte. Aber unser aller geliebter Landesvater, der so den Frieden liebte, wird auch traurig sein, an seinem Ehrentag noch das erleben zu müssen, daß so viele seiner geliebten Kinder gegen den Feind stehen u. ihr Leben opfern müssen. Und doch muß er sich auch freuen, alle so treu um seine Fahnen zu sehen, Gut u. Blut für unsern Kaiser rufend [?] u. schlagend: „Gottes Sonne …[?] Frieden [?] auf ein glücklich Österreich.“ [Margarethe bezieht sich hier auf den Text der 2. & 3. Strophe der Volkshymne]. NM. im Kino, wo Bilder des Kaisers waren u. Kaiser Wilhelms, wobei … [?] Werke gespielt wurden: „Ich hatt einen Kameraden“, etc.
TB Margarethe von Zepharovich, 18.08.1914
(Titelfoto: Ein Zug des k.u.k. Infanterie-Regiments „Hoch- und Deutschmeister“ Nr. 4, aufgenommen Anfang August 1914 im Prater, vor dem Ausmarsch an die Front. Ph-A-24709-56)