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Kletterei Hoch über Innsbruck

Kletterei hoch über Innsbruck

Heute nehmen wir Sie mit auf eine klassische, landschaftlich äußerst reizvolle Tour, die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg großer Beliebtheit bei den InnsbruckerInnen erfreute – wir steigten von der Innbrücke hinauf zum Brandjoch im Nordwesten der Landeshauptstadt. Natürlich wählen wir den Weg über „den Südgrat mit seiner schönen Aussicht nach beiden Seiten hin und seiner abwechslungsreichen Kletterei […]. Hauptsächlich im Frühjahr gestaltet sich diese Bergfahrt wegen des steten Wechsels von Schneegraten und Felspärtien zu einer sehr schönen. Wir wählten also den Braudjoch-Südgrat mit Abstieg ins Schneekar, zum Ziele einer unserer ersten Frühjahrstouren.
An der Innbrücke erwartete ich W. und dann eilten wir mit langen Schritten dem Höttingerbild zu, um bald von der Stadt wegzukommen. Halb zehn Uhr wars, als wir unsere Rucksäcke auf die Bank neben der Bildkapelle niederlegten. Schnell packten wir unsere Röcke ein, da wir sehr heiß bekommen hatten, und ein kühler Trunk Wasser frischte uns wieder auf. Der Weg leitet zuerst sehr steil in den Wald hinauf, bis man oben auf einen ganz neu angelegten Jägdsteig trifft, den man eigentlich verfolgen sollte. Wir aber taten dies leider nicht, erstens weil uns die Gegend unbekannt war und wir falsch zu gehen befürchteten, und zweitens, weil wir ihn stark in Verdacht hatten, zum Klammeck zu führen. Also stampften wir mißmutig pfadlos und kerzengerade durch den Wald empor. ‚Einmal werden wir schon wohin kommen‘ meinte ich geistreich.
Über weichen, laubüberdeckten Waldboden gings hinein unter das schützende Dach unzähliger Buchen, deren Blättermeer von hellstem, frischestem Grün wechselnd zu tiefblauem Schatten nur selten einen goldigen Sonnenstrahl in das andächtige Halbdunkel dringen ließ. Weit nach Westen zogen sich die Serpentinen hin unter die Felsen des Achselkopfes, bis der Pfad am Fuße einer kleinen Wand urplötzlich wie spurlos aufhörte. Auf diesen Mißstand aber waren wir bereits von einem Herrn, der uns begegnet war, vorbereitet worden und so kraxelten wir auf seinen Rat (es blieb uns auch nichts anderes übrig) schnurgerade durch Zunderngestrüpp aufwärts. Nach nicht zu langer Zeit machte die ersehnte Signalstange der Schinderei ein Ende. Wir hielten uns erst gar nicht auf, sondern wanderten gleich über die Waldblößen des Achselbodens der Nairzhütte zu. Diese ist ein mehr als einfaches Schäferhäuschen; ihre Wände, aus groben Blöcken notdürftig aufgerichtet, sind mit Moos und Heu halbwegs luftdicht gemacht, angrenzend ist ein Schafstall, der übrigens nicht viel schlechte das ‚Wohnhaus‘ ist.
Sonst wäre eigentlich nicht viel über sie zu sagen, nur ihre hervorragend schöne Lage muß ich erwähnen. Frei öffnet sich der Ausblick nach drei Seiten; in weiter Kette ragt die Zackenmauer der Kalkkögel jenseits des Inn, einzelne Eisgipfel blinken herüber, die kühne Reckengestalt des Habicht und die stolze Serles reihen sich an. Eine tiefe Schlucht, das Sillbett, scheidet die Berge des Stubai von den Urfelsriesen des Zillertales, die zunächst das ungeheure, öde Gebiet des Glungezer und Hahneburger einleitet. Im Osten sinds die stolzen Gestalten der Kaminspitzen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dunst verloren ruhen sie, über ihnen leuchtendes Blau und einzeln ziehende Wolkenbänke.
Nach kurzem Verweilen wandten wir uns zu den anfangs rasigen, später schneendurchsetzten Hängen nördlich und etwa 2/4 Stunden später konnten wir uns beim Steinmann am Brandjochkreuz lagern. Hier eröffnet sich einem zum ersten Male ein guter Überblick des ganzen Grates; etliche Felsnasen, unterbrochen von Firnschneiden und Schneewächten, zogen sich hinauf zum imposanten ‚großen Turm‘.“

Blick vom Brandjoch Südgrat auf Innsbruck.

„Das Stück hinter dem Turm konnten wir nicht sehen, wohl aber wieder den Gipfel. Schön weist sich die hohe Warte, die mit von glitzernden Schneebändern durchsetzten Steilwänden zum Schneekar abbricht. Auch vom Solsteinmassiv war noch ein Teil zu sehen.
Ich brauche wohl kaum erst zu sagen, daß wir uns jetzt eifrigst mit allem Eßbaren beschäftigten. Tiefe Trauer aber schlich sich in mein Herz, als ich die zu Brei zerquetschten Reste von drei harten Eiern unter dem erdrückenden Gewichte der Trockenplatten hervorzog. – Später kamen auch zwei Damen herauf, die wir weiter unten rasten gesehen hatten. Ich habe bei meinen verschiedenen Bergfahrten, überhaupt auf den leichteren Gipfeln, oft auch die weibliche Welt vertreten gefunden, sogar Alleingängerinnen die ganz flott mit dem Pickel ausgerüstet waren.
Nachdem wir uns genügend gestärkt glaubten, machten wir uns wieder auf die Beine, querten mehrere Schneehänge und betraten endlich die letzte Erhebung vor dem Turm. Hier konnten wir, was uns sehr willkommen war, unsere Flaschen mit Schneewasser füllen, denn bei unserer letzten Rast waren unsere Trinkvorräte zur Neige gegangen.
Ein schneeerfüllter Riß, den wir hinunterrutschten, brachte uns in dis Scharte vor dem Turm, wir querten einen Geröllsattel und verfolgten dann ein breites Band, das an die Ostseite hinauslief, ein kurzes Stück, bis sich ober uns ein feuchtes, dunkles Loch auftat – der Anstiegskamin auf den Turm. Den Grund des Schlufes füllte beinhartes Eis, links und rechts wölbten brüchige Wände sich auswärts und überall sickerte das Wasser in schmutzig gelben Tropfen herab. Nach etlichen 15 Metern wurde es etwas besser, der Riß dafür aber so eng, daß ich es vorzog, den Rucksack abzulegen. Ich nahm also das Seil zwischen die Zähne und schob Mich an der linksseitigen Wand empor, setzte mich oben gesichert nieder und seilte Pickel und Schnerfer auf; bald erschien auch Fr. W.’s freundlich grinsendes Gesicht aus der Oberfläche und nun bekrittelten wir unsere durch Lehm und Schneewasser eben nicht besser gewordene Toilette. Wir quetschten uns zum großen Gaudium zweier Herren, die schon am Gipfel waren und uns zuschauten, gegenseitig gründlich aus und schauten uns dann, wesentlich leichter, um den Weiterweg um.“

Eine schöne Kletterei …

„Zunächst stellten sich uns einige scharfe Felsköpfe entgegen, eine tief eingerissene Scharte, die wir mit einem weiten Spreizschritte überwanden, dann waren wir unter dem höchsten Punkt des zweiten Turmes. Zuerst stiegen wir über Rasenpolster nördlich ein Stück hinaus und erkletterten dann links über griffarme Platten den Scheitel des Gratzackens. Dicht vor uns drohte nun das ‚Brett‘, eine teilweise überhängende, beinahe glatte Felswand; nur eine scharfe Firnschneide trennte uns noch von ihr. Doch wir gehorchten diesmal unserer Faulheit lieber als unserer Kletterlust, und da ich sowieso das Hintere Brandjoch noch „knipsen“ wollte, so wichen wir diesem dräuenden Hindernisse aus und stiegen dann links über ein paar Felsmannln auf einen schmalen Zacken, von dem aus ich dann das Bild eroberte. Die Situation war allerdings etwas ungemütlich; der Raum war nämlich so klein, kaum einen Quadratmeter, sodaß sich W. auf den Rücken legen mußte, die Beine herabbaumelnd. Auf ihn legte ich die Platten und alles, was ich zur Handreichung brauchte, stellte das Stativ über ihm auf und ich selbst stand zwischen seinen Extremitäten, beiderseits die doch immerhin an die 20 Meter senkrechte Wand; eine etwas kitzlige Stellung. Nachdem aber auch diese Aufgabe glücklich vollendet war, überstiegen wir noch das nächste Türmchen, stapften dann, hie und da bis zur Brust in den weichen Schnee einsinkend, den rechtsseitigen Hang hinan und verfolgten den überwächteten Grat zum Gipfel.“

Blick zurück über den Südgrat auf die Stadt.

„Bleigraue, purpurumränderte Wolkenballen lagern über dem Karwendel; Schatten deckt die Inntalkette, nur einzelne Sonnenblitze spielen um die Zacken der Sattelspitzen und huschen über die ungeheuren Plattenschüsse des Kumpfkarstockes. Doch dahinter erhebt sichs vielgestaltig, ein flammensprühendes Farbenmeer. Wie vom Sturm gepeitscht, bäumen sich die Felswände auf zu wildem Zacksngraten und stürzen in steilen Fluchten ab zu den Wellentälern der Kare. Goldumflutet, blitzenden Wogenkämmen gleich, taucht der Fels in weißleuchtende Schneefelder – tief unten aber im Tal wirds schon Abend. Still und unaufhaltsam schleicht das Dunkel an den Berglehnen hinauf, immer höher; blutigrot bebt noch ein letzter Schimmer auf den höchsten Zinnen, dann schwebt die Dämmerung aus allen Schluchten und umwebt Höh‘ und Tiefe mit ihren grauen Schleiern.
Dann, wenn die sinkende Sonne unsagbar schöne Farben zaubert über Gewitterwolken, Wände und Kare, wenn alle Spitzen flammen und totes Gestein Leben gewinnt in lohender Glut, dann muß man das Karwendel gesehen haben und man wird es lieben. Schwer nur konnte ich mich abwenden von dem herrlichen Anblick und der Vernunft gehorchen, die mir gebieterisch einen Imbiß empfahl.“

Gipfelrast am Brandjoch (Vordere Brandjochspitze)

„Als wir unsere Rucksäcke möglichst erleichtert hatten, begannen wir den Abstieg, nicht ins Schneekar, wie wir vorgehabt hatten, sondern, da beim ersteren fortwährend kleine Lawinen abgingen, über den Ostgrat zur sagenberühmten Frau Hitt; er bereitete uns eigentlich weniger Schwierigkeiten, als wir erwartet hatten, denn da nur mehr ziemlich wenig Schnee war, schauten die Drahtseile stellenweise heraus und so ging es ziemlich rasch abwärts.
Sausend gings dann über steilen Firn vom Sattel hinab bis ober die Höttinger Alpe und von da nach Gramart und Hötting.“

Auf der Höttinger Alm angelangt …

Ich hoffe, unsere Tour hat Ihnen gefallen und vielleicht haben Sie ja jetzt Lust bekommen, selbst (wieder einmal) auf’s Brandjoch zu steigen 😉

(Text: G. v. R., Aufs Brandjoch, in: Innsbrucker Nachrichten vom 16.5.1908, 1-3 / Fotos: StAI, Ph-G-26861-2 & 26862)

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  1. Die Rast am Höttingerbild erinnert noch einmal an den Gebrauch des Begriffes „Rock“ für ein Sakko. Auch wenn das Wort heute noch gültig ist, benutzt das noch jemand im Zusammenhang mit Herrenmode?

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