Ein Blick auf die Heilig-Jahr-Siedlung
Mit diesem Foto begeben wir uns zurück ins Jahr 1952. Wir stehen am Grauer-Stein-Weg und blicken gegen Süden. Zu unseren Füßen sehen wir den Obstgarten eines Bauernhofes (Daum vulgo Fischerhäusl Bauer) und die Kranebitter Allee mit ihren Reihenhäusern. Viel Verkehr herrscht nicht – wir können gerade einmal einen Bus und einen Radfahrer ausmachen.
Südlich davon sehen wir im Zwickel von Ursulinenweg und Fischerhäuslweg (die damals freilich noch keinen Namen hatten) die sogenannte Heilig-Jahr-Siedlung in ihrer ganzen Ausdehnung. Errichtet wurde sie auf Initiative von Bischof Dr. Paul Rusch von der Gemeinnützigen Bau-, Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft zur Linderung der Wohnungsnot. Für die 41 Siedlungshäuser gab es deutlich mehr als 500 Bewerberinnen und Bewerber. Nach einer Bauzeit von rund eineinhalb Jahren konnten im Herbst 1951 schließlich 41 Familien ihre neuen Eigenheime am Stadtrand beziehen.
Erwähnenswert erscheinen auch die großen, damals noch unverbauten Flächen westlich des Fischerhäuslwegs und nördlich des Fürstenwegs.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Sammlung Gottfried Newesely)
Das Schöne an dieser Siedlung (dem Flachbauteil im Hintergrund) ist, dass man trotz einer recht hohen Bevölkerungsdichte ein gute Druchgrünung erreichte. Selbst heute, nachdem viele dieser Häuser aufgestockt oder erweitert wurden, sieht man noch die gute Qualität dieses Grundkonzepts.
Ich habe es mal durchgerechnet, würde man entlang der Regionalbahntrasse deren volle Länge in einer Tiefe von beiderseits je ca. 300m derart bebauen (als autofreies Wohnen, also mit den derzeit existenten sehr schmalen Wegen), brächte man auf die gesamte Trassenlänge gleich viele Menschen unter, wie derzeit in gesamt Innsbruck leben. Natürlich in der Gesamtschau etwas eintönig, für die Einzelwohnung jedochsehr angenehm, an die Studien von Ludwig Hilbersheimer erinnernd, als Gedankenexperiment erhellend.
Beim Anblick der Häuser auf diesem alten Photo hat man den Eindruck, dass „gestern“ eine wesentlich überzeugender Vorstellung von Zukunft existierte, als das heute der Fall ist. Die Biographie des Architekten, Emil Tranquillini, ist hier kurz beschrieben: http://www.architektenlexikon.at/de/iso/725.htm
Auch die ganze Entstehungsgeschichte dieser Siedlung ist es wert, wieder hervorgeholt zu werden.
Ich habe ebem gerade im Netz weiter Informationen dazu gesucht. Offenbar trug ein Haus dort die Aufschrift „Wohnbau ist Dombau“. Es passt ganz gut, dass in diesem Bereich nur auch das „Haus im Leben“ steht.
In der katholischen Kirche wird seit Jahrhunderten alle 25 Jahre (früher 50 Jahre) ein „Heiliges Jahr“ oder „Jubeljahr“ ausgerufen. In einem solchen Jahr können Gläubige durch eine Rom-Wallfahrt und/oder die Verrichtung bestimmter Gebete und Kirchenbesuche einen vollkommenen Ablass, d. h. die Erlassung aller Sündenstrafen erlangen. Der ursprüngliche Gedanke hinter einem solchen „Jubeljahr“ war allerdings ein sozialer: Das Alte Testament schreibt den Israeliten alle 50 Jahre ein „Jobeljahr“ vor, in dem alle Schulden erlassen, Pfandsachen zurückgegeben und Sklaven befreit werden.
Der Innsbrucker Bischof Paulus Rusch wollte zum Heiligen Jahr 1950 einen sozialen Schwerpunkt setzen und angesichts der damaligen Wohnungsnot erschwinglichen Wohnraum für bedürftige Familien schaffen: die Heilig-Jahr-Siedlung im Westen von Innsbruck. Dafür wurden Kirchengründe zur Verfügung gestellt, Vorfinanzierungsmodelle ausgearbeitet und Freiwillige für den Einsatz als Bauhelfer mobilisiert. Bei Tiroler Industriellen soll Bischof Rusch für die Gewährung von zinslosen Darlehen mit kirchlicher Bürgschaft an die wenig betuchten Wohnungswerber mit folgenden Worten geworben haben: „Hier schaffen Sie etwas Bleibendes. Immer wenn der Schaffner im Bus die „Station Heilig-Jahr-Siedlung“ ausruft, wird man sich noch nach Jahren an Ihre Großherzigkeit erinnern.“
Gibt es diese Siedlung noch oder wurde sie abgerissen? Diese doch irgendwie seltsamen Häuser ohne Stockwerk wären mir doch sicher mal aufgefallen. Lese gerade das Buch „Ein Innsbrucker Western“ über die Höttinger Au von Wilhelm Giuliani, darin wird die Geschichte dieser Siedlung ja auch beschrieben.