8 Monate anno 1902 (5)
Heute begleiten wir Marie auf einen Ausflug zum Kalvarienberg nach Arzl und beim Blick hinunter quellen aus ihren Worten die Ergriffenheit und Heimatliebe nur so heraus. Ihre Beschreibung des Panoramas hätte ich gerne entsprechend illustriert, doch wie es scheint, finden sich in unserer Datenbank keine Bilder, die als „Blick vom Kalvarienberg“ beschrieben sind. Dem wird an anderer Stelle wohl auch noch einmal genauer nachzugehen sein…
1. März 1902, Samstag. Josephs-Monat, / Zeit der Veilchen, / Frühling wird‘ es / Nach kurz‘ Weilchen!
Fürwahr es schien, als wollte schon heute der Junge Lenz bei uns einziehen. Ein mächtiger Föhn hat während der letzten Tage die Hänge vom winterlichen Schnee gesäubert, u. an den rieselnden Bächlein schimmert’s bereits nach frischem Grün.
2. März, III. Fastensonntag. Als ich vom frühen Kirchengang heimkam, fand ich leider die liebe Tante Anna nicht wohl auf; ein kleines gastrisches Fieber dürfte es sein. Doch als ich wieder von der academischen Predigt zurückkehrte, war auch l. Tante Anna nicht mehr zuhause, sondern zur 10 Uhr Messe gegangen. Zum Gabefrühstück erschien Herr Dr. Waldner. – Sonst nichts Besonderes.
3. März, Montag. Heute geht es der lieben Tante Anna wieder gut, so daß wir uns nachmittags an einen Ausflug wagten. Gegen ½ 2 Uhr verließen wir drei mit Margreth das Haus u. schritten Arzl zu. Das Wetter war herrlich, so warm, so hell. In Arzl angekommen erstiegen wir gleich den Calvarienberg; oben angekommen war ich fast überwältigt vom herrlichen Panorama. Schaute man nach rechts, so lag die stolze Landeshauptstadt unter einem, umgeben von den mannigfachsten Bergriesen; jene gegen Norden gekehrten waren noch übergossen von Eis u. funkelten im Sonnenschein. An den Hügeln erhoben sich deutlich die schöne Weiherburg, u. das majestätische Schloss Ambras. Welche Uberraschung, den als Gras- u. Eisplatz nur bekannten, Amraser See heute mit Wasser gefüllt zu sehen. Idyllisch stimmte das helle Blau des den Himmel spiegelnden Sees zum dunklen Baumhintergrund, von dem sich wieder die gelben Schlossmauern deutlich abhoben. Sein Glitzern wetteiferte mit dem des Innes u. der Sill, welche die Stadt gleich dem Festungsgraben einer Burg umziehen. Nach dem Unterinnthal schauend, fiel natürlich Hall am meisten auf. Von dieser Seite nimmt sich die alte Stadt besonders gut aus; wie ein übriggebliebenes Stücklein des 16 Jahrhunderts liegt sie unten, sich an die sonnigen Wellen des Hügellands lehnend; wie ein Märchen des idyllischen Mittelalters, wie eine sagenumsponnene Ruine der römischen Zeiten! Wie viel Freude, wie viel[?] Schmerz, o Hall!!! – Bevor wir in das Kirchlein traten, rasteten wir aus u. erquickten uns an einer Flasche mitgebrachten Caffé‘s u. einer Schnitte Roggenbrot. Dann traten wir in den Vorraum, der eine große „Fastenkrippe“ birgt, besichtigten selbe u. traten dann in den Kuppelbau des eigentlichen Kirchleins ein. Selbes ist im Jahre 1664 erbaut, 1777 u. 1887 renoviert worden. Die Fresken sind ganz deutlich erhalten und weisen eine riesig zarte Stimmung der Farben auf. Als Thema gilt für dieselben „Christus, der mystische Rebstock“. Den Hochaltar bildet ein vom Strahlenkranz umflossenes Kreuz mit der schmerzhaften Muttergottes darunter. Rechts ist eine Statue des Ecce Homo, links wieder eine Mater Dolorosa. Die hohen Stühle waren mit Andächtigen gut besetzt u. auch das brennende „ewige Licht“ zeigt den eifrigen Besuch dieses einsamen Heiligthums. Wir verweilten einige Zeit drinnen u. begannen den Abstieg. Ohne irgendwo Rast zu machen, giengen wir über den gleichen Weg nach Hause u. langten dort wohlbehalten um ½ 5 Uhr Abend an.
Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1; Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-9898. Zur Kalvarienbergkirche siehe auch diesen Beitrag auf unserer Seite.
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So eine schöne Beschreibung des Ausblickes vom Kalvarienberg.