8 Monate anno 1902 (25)
Die heutigen Passagen vom Andlklaus-Aufenthalt sind etwas für wahre Hall-und-Umgebung-Kenner. Marie war in „Blumenstein“, ging „über den ‚Saurücken‘ zum Mühlinger„, Tante Anna und Onkel Nikolaus spazierten „gegen das ‚gute Wasserle'“. Ob es sich dabei um tatsächliche topgrafische Namen oder eher um Familiensprech handelt, ist mir nicht ganz klar. In einer damit verwandten Detailfrage kann ich hingegen eine Lösung anbieten: die kürzlich erwähnte „Wetterburg“ wurde auch „Poschhütte“ genannt und 1894/95 von Nikolaus Posch auf 1650m am Tulferberg errichtet. Ob sie noch steht, immer noch so heißt oder inzwischen unter anderem Namen bekannt ist, wäre noch zu klären….
30. Mai, Freitag Schönes Wetter; ich wäre gerne nach Hall meine Antrittsbesuche machen, aber ich hatte ein „Augenwarl“. Nachmittags kam der Steuertreiber von Tulfes.
31. Mai, Samstag. Fest U. l. Frau u. hlgst. Herzen. Schönes Wetter, sehr warm aber windig. Nachmittags kam Herr Wollek; wir waren gerade in Blumenstein.
1. Juni, 1902, Sonntag.
Ich gieng mit Margreth zur 6 Uhr Messe nach Hall, wo ich mich dem Tisch des Herrn nahte. Bei Madeleine frühstückte ich u. wohnte dann in der Pfarrkirche den letzten Evangelien, u. dem Gottesdienst bei. Nacher traf ich Marie u. Anna Offer, welche uns bis zur Brücke begleiteten. – Nachmittag schrieb ich ins Tagebuch.
2. Juni, Montag. Schönes Wetter. Um 8 Uhr verließ ich ganz allein Andlklaus u. wanderte nach Hall. Zuerst suchte ich Madeleine auf, um die Thaurerschloß-Parthie anzuregen, traf sie jedoch nicht, dafür begegnete sie mir am Wege in Gesellschaft ihrer Nichte und Schwester; wir machten aber nichts Bestimmtes aus. Ich plauderte eine Weile so mit ihr und Anna u. gieng dann ins Salvatorkirchlein, wo um 9 Uhr eine Segenmesse war; dort sah ich Anna Wiedmann. Durch die obere Fassergasse bog ich nun ins Bechtoldviertel ein u. begrüßte die alte u. junge Frau und Martha. Über den Pfaffenbühel gieng’s nun zu den l. Großtanten, welchen ich ebenfalls die Antrittsvisite machte u. sie wohlauf traf. Bei ziemlicher Hitze langte ich wieder im Volderwalde an. Ich hatte das weiße Piquékleid angezogen mit dem „Rabenhaupt“.
3. Juni, Dienstag. Wieder schönes Wetter. Ich besuchte nachmittags Elise Ausserer.
4.VI.1902. Ebenfalls schön. Vormittags giengen wir über den „Saurücken“ zum Mühlinger „Grüß Gott“ sagen, wo uns die Bäurin von der Krankheit u. dem Tod des im Februar d. J. verstorbenen „Burgele“ erzählte. R. i. P.
Nachmittags kam Madeleine mit Babi u. Anna herüber; in Blumenstein photografierte ich sie, wobei ich leider 2 Films verpatzte infolge meiner Zerstreutheit. Wir setzten uns dann auf die neue Bank am neuen Weg und plauderten, während ich nebenbei Madeleines Hut anders aufputzte. Schließlich setzten wir den Gästen Vanilleliqueur u. Biscuit vor. Nach Tisch verabschiedeten sie sich, l. Tante Anna u. Onkel Nicolaus spazierten gegen das „gute Wasserle“, während ich zuhause mit photografischen Präparaten hantierte. Dann giengen Margreth und ich in den tiefsten Keller, u. zum erstenmale bearbeitete ich meine Films von a bis z selbst. Es gieng bis auf einige Kritze u. Wolken ganz gut u. ich hatte riesige Freude damit. Am Brunnen wusch ich sie dann, u. sperrlte sie in der Veranda auf.
Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)
Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-A-24407-18: Drei Kinder auf den Feldern hinter der Burgruine Thaur, zu der Marie am 2. Juni gerne hinaufgewandert wäre. Fotografie ca. von 1905-1910.
Hier geht es: Zum nächsten Eintrag (falls schon vorhanden), zum vorhergehenden Eintrag und zurück an den Beginn des Tagebuchs.
Ein kurzer Blick auf die Karte zeigt; Zum Sauruggen, wie es heute heißt, geht es kurz nach der Borgiaskapelle links hinunter.
Jö, bei diesem Beitrag sehnt man sich schon wieder richtig nach dem Sommer und bekommt Lust auf einem Ausflug zur schönen Burgruine Thaur….
Im Tiroler Anzeiger von 1918 findet sich auch die Lösung zum Namen Mühlinger, es ist der Mühlinger-Hof in Volderwald:
„Am 24. August starb in V o l-
d e r w a l d die Mühlinger- Bäuerin, Maria
Witwe W o p f n e r, geb. Mangott, im Alter
von 67 Jahren. Durch Fleiß und Ordnungs-
liebe, sowie durch kernhafte Frömmigkeit und
unermüdliches Wohltun war sie ein Vorbild
einer braven Hausmutter.“
Auch die Identität vom Burgele konnte ich lüften:
Es handelt sich um die Bauerntochter Nothburga Wopfner aus Volderwald, geboren 1886 und gestorben am 5. Feber 1902! Wahrscheinlich die Tochter der Mühlinger-Bäuerin.
Hier ist das Sterbebildchen vom Burgele:
http://sterbebilder.schwemberger.at/picture.php?/170939/search/93116
Von der Wetterburg gibt es interessanterweise sogar ein Gästebuch aus der Zeit von 1906 bis 1945!
Das Gästebuch der Poschhütte (Wetterburg) in Tulfein 1906–1945 mit 104 Seiten befindet sich als Geschenk des löblichen Stadtarchivs Innsbruck (Dezember 2010) in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Die Signatur lautet FB 32482.
Das Gästebuch der Familie Posch aus der Wetterburg ist in der Bibliotheksdatenbank wie folgt beschlagwortet:
In diesem Werk behandelte Themen
Alpinismus Schutzhütten Poschhütte ***
Attlmayr Ernst : Ingenieur *** S. 99
Cornet Albert *** S. 23
Grass Familie ***
Grass Franz ***
Grass Nikolaus ***
Kulturgeschichte Gästebücher ***
Leyrer Albert : Städtischer Bauingenieur in Innsbruck *** S. 42
Muigg Josef : Politiker * 20.08.1894 in Kössen + 01.08.1976 ***
Plank Hans *** S. 66 – 68
Posch Familie ***
Der renommierte Historiker Nikolaus Grass schreibt in seiner lesenwerten Cusanus-Gedächtnisschrift, dass er seine Forschungen entweder in seiner Wohnung oder –
„um den ihn in seiner geistigen Konzentration störenden Föhneinflüssen in Innsbruck zu entgehen“ –
in seinem Landhäuschen im Volderwald in Hall oder in der Poschhütte am Tulferberg betreibt.
Bei diesem Landhäuschen handelt es sich um das 1895 von Nikolaus Posch gekaufte und im Volderwald nächst Hall gelegene „Hackbrettlgütl“, welches Onkel Posch als die Villa Andlklaus zu einem Sommersitz und familiären Feriendomizil ausgebaut hat.
Anno 1905 kam es sogar zu einem Einbruch in die Villa Andlklaus, wie die damaligen Zeitungen berichten:
„Eine aus zwei Mann bestehende Gendarmerie-
patrouille des Postens Hall machte einen guten Fang.
Als nämlich die Patrouille heute früh am rech-
ten Jnnufer in die Nähe des Aschbachergutes
kam, bemerkte sie einen Mann , welcher ihr aus-
zuweichen suchte. Hiedurch stutzig gemacht, setz-
ten die Gendarmen demselben nach und forderten
ihn auf, sich auszuweisen. Der Mann trug einen
guten Anzug und hatte einen fast neuen braunen
Rucksack am Rücken. Wegen seiner Ausflüchte
wurde er aufgefordert, mit auf den Posten Hall
zu kommen. Auf dem Wege dahin machte er
einen Fluchtversuch- wurde aber gleich wieder
eingeholt und geschlossen nach Hall gebracht.
Hier stellte es sich heraus, daß er Adolf Schmid
heiße, 23 Jahre alt, lediger Kommis und in
Ruhpolding, Bezirk Traunstein in Bayern, ge-
boren sei. Bei seiner Durchsuchung wurden zahl-
reicheGegenstände gefunden, über deren Her-
kunft er angab, daß er sie bei einer Lizi-
tation in München gekauft habe. Da dies un-
wahrscheinlich schien, wurde er dem k. k. Be-
zirksgerichte Hall eingeliefert und eifrigst nach
dem rechtmäßigenEigentümer geforscht. Unter
den Vorgefundenen Sachen befanden sich 15 Reh-
krückeln, darunter einige schöne auf
neuen Schildlen, 6 Gemskrückeln, ein Hirschge-
weih- 6 neue Pfeifen, Fischangeln, Krügen, Man-
schetten, Strümpfe, Schuhe, Hemden, drei kom-
plette Anzüge und der schon erwähnte fast neue
braune Rucksack, in welchem ein Teil dieser Sa-
chen verpackt war, überdies dürfte auch der gute
Anzug und Überzieher, welchen er an hatte,
nicht sein Eigentum sein. Den Nachforschungen
gelang es bald- den Sachverhalt auszudecken.
Hienach rühren diese Gegenstände aus der Villa
Andlklaus im Volderwalde, welche dem früheren
Breinößlwirt Herrn Nikolaus Posch gehört, her.
Ein Mann, auf den die Beschreibung des Verhaf-
teten paßt, wurde von einem Bauernburschen bei
der Villa des Dr. Cornet verscheucht,
jedenfalls wollte er auch da einen Einbruch ver-
suchen. Die Diebe scheinen es auf die Villen
im Volderwald und Umgebung besonders abge-
sehen zu haben, da vorstehender Fall seit zwei
Jahren schon der sechste ist. Jedesmal gelang
es unserer wackeren Gendarmerie, die Einbrecher
bald auszuforschen und ihrer Strafe zuzuführen.“
Das sind bestimmt die Fischangeln mit denen der liebe Onkel immer so gerne Fischen ging….! Ein interessantes Detail ist, dass demnach auch die Familie Cornet in Volderwald eine Sommervilla hatte.
Einmal vergesse ich am Wochenende, meinen Beitrag aufzurufen – und bin wieder einmal überwältigt von den Kommentaren! Da der Einbruch noch in jene Zeit fällt, in der Marie Tagebuch führte, kann ich hierzu auch ihre Schilderung nachtragen (unkorrigierte Version):
>>16.IV.05. Palmsonntag. Ein bewegter Tag heute von morgens bis abends! In der Frühe, da nahten wir uns dem Tisch des Herrn, doch konnten wir uns dem Tag über nicht viel der Ruhe u. Betrachtung des Gottesfriedens hingeben. Vormittags gar war ich noch bei der 9h Messe u. der darauffolgenden Palmweihe in der Servitenkirche u. bewunderte diese erhabene Ceremonie u. Procession. Zuhause mit dem Ölzweig zurückgekehrt, neunerten wir u. waren im Begriff, ein bisschen zur Platzmusik zu gehen, als ein Phonogramm von der Gensdarmerie Hall eintraf, dass in Andlklaus eingebrochen worden sei, Thäter verhaftet u. Sachen am Gensdarmerie-Posten. L. O. N. bestellte nun gleich einen Landauer, um nach Tisch hinabzufahren, dann giengen wir doch für ganz kurz zur Platzmusik, kehrten heim, essen, u. fuhren gleich nach Hall, wo wir bei der Gensdarmerie die gestohlenen Sachen ansahen u. nähere Details erfuhren, worauf wir mit einem Herrn nach Andlklaus schritten, wo sich beim „Ochsen“ der Wachtmeister u. Jörgl uns zugesellten. In Andlklaus fanden wir eine furchtbare Unordnung, da der Einbrecher jede Schublade u. jede Schachtel unterwühlt hatte. Auch bei mir oben hat es ihn fein gedäucht; es erbrach den harthözernen Wäschkasten, ohne aber anscheinend etwas zu entwenden, packte auch oben ein, wie er ja auch in Madeleinens Bett geschlafen hatte. Thee hat er sich wahrscheinlich im Speiszimmer bereitet u. im Salonzimmer dann mit Honig verzehrt. Wir konnten uns infolge der ungewohnten Unordnung kein rechtes Bild machen, was etwa noch alles fehlte; Rehkrickeln, Sandalen, Schneestrümpfe etc. hatten wir zw. schon am Gensdarmerieposten als von uns erkannt; es sei aber schon eine Schachtel nach Salzburg abgeschickt worden, auch mit Rehkrickeln. Wieder nach Hall zurückgekehrt, weilten wir bis zum Einspannen des Wagens beim „Bären“. Zuhause war unterdessen H. Landsee gewesen, uns ersuchen, abends zum Conzert hinauszugehen, weshalb sich l. T. A. u. ich wirklich für eine Stunde opferten, während H. Jenewein bei l. O. N. blieb. Ganz müde waren wir dann über diesen allzu abwechslungsreichen Tag. <<
Interessant auch das Detail zur Villa der Cornets! Ich habe jetzt einmal recherchiert: Diese lag in der Nähe des „Volderwaldhofes“ und gab es zumindest schon 1895, da dort eingebrochen wurde: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ibn&datum=18950306&query=%22villa+Cornet%22~10&ref=anno-search&seite=3 1906 ist ihnen ein Hund zugelaufen: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ibn&datum=19060718&query=%22Cornet+Volderwald%22~10&ref=anno-search&seite=14 Und 1915 spendeten sie die Äpfel von zwei Bäumen dem Roten Kreuz: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ibn&datum=19151030&query=%22villa+Cornet%22~10&ref=anno-search&seite=20
Vielen Dank für den wunderbaren Tagebucheintrag, lieber Herr Bürgschwentner! Es ist dies einer der seltenen Glücksfälle in der historischen Überlieferung, wo man zu einem Zeitungsartikel auch eine Tagebuchschilderung als Komplementärquelle vorfindet.
Sehr interessant auch, welche Abkürzungen Marie in ihren Tagebüchern verwendet:
L. T. A. heißt bestimmt Liebe Tante Anna, L.O.N. heißt bestimmt Lieber Onkel Nikolaus.
Im Werk „Kulturbilder aus Solbad Hall und Umgebung“ von Hans Hochenegg, erschienen 1970, gibt es eine Abbildung der Villa Andlklaus. Die Abbildung zeigt die Villa Andlklaus im Volderwald nach einer Federzeichnung von Frau Marie Grass-Cornet, der genannten Tagebuchschreiberin und Schwiegermutter von Hans Hochenegg.
1924 hat sogar der Blitz in der Villa Andlklaus eingeschlagen. Der Tiroler Anzeiger schreibt:
„Ein merkwürdiger Blitz. Am 30. Juni gegen 7 Uhr
20 Min. abends schlug der Blitz in das Kloster T h u r n-
feld bei Hall. Mit einem gewaltigen schmetternden
Krach sah man eine F e u e r f l a m m e auf die Kirche
herabfahren, aus der die Andächtigen, die zur Junian-
dacht gekommen waren, entsetzt hinausstürzten, und zu
gleich gab es Feuerkugeln in sämtlichen Stockwer-
ken des Klostergebäudes; bei den Zöglingen an beiden
Enden des Hausganges, wobei eine Klostersrau wie von
Feuer umgeben erschien; im 1. Stock in einer Zelle und
in einem anderen Ausgang liegenden Kranken-
zimmer im Parterre am Hausgangbrunnen an der
Küche; von hier fuhr der Blitz durch das gegenüberlie-
gende Fenster, ein Loch von Bleististdicke mit zwei feinen
Sprüngen im Glase hinterlassend. Das Elektrizitätswerk
des Klosters wurde zu Beginn des Ungewitters abge-
stellt. Trotzdem wurden Lichtbirnen zerstört, während in
den nämlichen Räumen andere unversehrt blieben. Wei-
terer Schaden geschah nicht, die Blitzableiter werden erst
von ihrem Lieferanten untersucht. Es hinterblieb auch
der charakteristische Schwefelgeruch. Im gleichen Gewit-
terzug hat der Blitz, wie man hört, noch eingeschlagen in
der Villa Andlklaus am Volderwald, im Transforma-
torenhaus am Haller Zoll, im St. Josephs-Institut und
im Pfarrkirchturm in Mils. Auch die Telephonleitung
in Hall hat Schaden genommen.“
Im Kloster Thurnfeld erhielt Marie ihre schulische Bildung.