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8 Monate Anno 1902 (23)

8 Monate anno 1902 (23)

Aus dem Süden in den Regen zurückgekehrt berichtet Marie am 20. Mai über einen 12 Tage davor stattgefundenen Vulkanausbruch in Martinique. Es ist dies einer der bislang wenigen Fälle aus diesem Tagebuch, in dem Marie auf Geschehnisse außerhalb ihrer unmittelbaren Lebenswelt eingeht.

Diese Gewichtung zieht sich durch alle Jahre, wie Katharina Banzer in ihrer Diplomarbeit (S. 39-42) zeigt: Sie hat sich dabei die Mühe gemacht, alle Einträge der im Ferdinandeum aufbewahrten Tagebücher von 1897 bis 1905 zu zählen (1843) und ihren Inhalt quantitativ auszuwerten. Den Regeln der Inhaltsanalyse nach Klaus Merten folgend wurde der Inhalt 16(!) verschiedenen Themenblöcken zugewiesen, wobei natürlich ein einzelner Eintrag oft mehrere Themen behandelt.

In fast drei Viertel aller Beiträge (73%) dokumentiert Marie gewöhnliche Tätigkeiten und Alltag (1349), gefolgt von Religion und Kirchenbesuchen (1063), Klima und Wetter (903) sowie Sozialleben und Kontakten (893), die in rund der Hälfte der Beiträge vorkommen. Im einstelligen Prozentbereich rangieren hingegen unter anderem Rubriken wie tagespolitische Ereignisse und historische Reminiszenzen (58, 3,1%) sowie Unglücksfälle (25, 1,4%). In einen der beiden Themenblöcke würde auch die Erwähnung des Vulkanausbruchs fallen…

Dahingestellt muss bleiben, was Marie dazu bewogen hat, gerade dieses Ereignis zu erwähnen und warum gerade zu diesem Zeitpunkt. Am 20. Mai erschien in den Innsbrucker Nachrichten lediglich eine kurze Notiz, die auch keine Opferzahlen nennt; eine ausführliche Berichterstattung fand hingegen schon einige Tage vorher, etwa am 12. Mai 1902. Hat Marie nach der Rückkehr in alten Zeitungen gelesen? Oder las man im Haus eine andere Zeitung, die am 20. ausführlicher berichtete? Oder gab es im Haushalt auch eine (illustrierte) Wochenzeitung? Oder beruht die Widergabe des Ereignisses überhaupt nur auf Erzählungen von anderen?

Vielleicht nicht ganz überraschend finden sich in unserer Datenbank keine passenden Bilder zur Montagne Pelée, zu Martinique oder zur Karibik. Der Vesuv ist aber dennoch nicht völlig unpassend. Einige Tage vor dem Ausbruch warnte der in St. Pierre befindliche, aus Neapel stammende Kapitän Marino Leboffe: „Ich weiß zwar nichts über den Mont Pelée, aber wenn der Vesuv so aussähe wie euer Berg heute Morgen, würde ich Neapel verlassen. Und ich verschwinde von hier.“ Das tat er dann auch und legte mit seinem Schiff ab, obwohl selbiges erst zur Hälfte mit Zucker beladen war. Die Androhungen von Strafen quittierte er mit den Worten: „Wer will sie mir auferlegen? Morgen seid ihr alle tot.“ (Quelle wikipedia nach Zebrowski: The Last Days of St. Pierre).

18. Mai 1902. Pfingstsonntag.

Vormittags regnete es; ich gieng zu den Serviten in die 9 Uhr Messe mit l. Tante Anna u. Onkel Nicolaus. Dann feierten wir das Wiedersehen mit Champagner. Nachmittags räumte ich ein wenig auf, photografierte Madeleine u. schrieb Tagebuch. Um 5 Uhr gieng ich in die Kirche, dann nach Hause. Abends kamen Herr u. Frau Wollek herüber.

19. Mai, Pfingstmontag. Heute schien die Sonne ganz festtäglich; ich gieng mit Madeleine in den academischen Gottesdienst, dann heim. Die Strassen sind gefüllt mit Ausflüglern.

20. Mai, Dienstag. Schlechtes Wetter. Am 8.ten war auf der Insel Martinique (kl. Antillen) ein Ausbruch des vulcanischen Mont Pelée, wodurch die Stadt St. Pierre vernichtet u. ungefähr 40.000 Menschen getödtet wurden.

21. Mai, Mitwoch. Wieder Regen. Ich gieng um ½ 6 Uhr in die Maiandacht zu den Serviten.

22. Mai, Donnerstag. Wir wären gerne nach Andlklaus gezogen, doch es regnet weiter.

23. Mai, Freitag. Trotz Regen war der morgige Tag zur Plünderei fixiert. Wir packten also fleißig ein u. abends um 5 Uhr gieng ich noch zu Mme. Orieux mich verabschieden, dann zu Body, Saiten kaufen. Da begegnete mir die l. Mama u. Josefine u. sprachen ein wenig mit mir. Abends war Concert, zu dem wir nicht gehen werden. – Zuhause angekommen, wurde der ganze Reiseplan geändert. Johl[?] Anton war heroben, hatte von der im Volderwald herrschenden Kälte erzählt, u. musste nun zu Fr. Mutter Posch hingehen sagen, dass wir morgen nicht kommen. Nun fuhr auch Madeleine nach Hall.

24. Mai, Samstag. Heute wäre das Wetter gut zum Plündern gewesen, es schien sogar mitunter die Sonne.

25. Mai, Dreifaltigkeits-Sonntag. Heute ist der große Lostag, u. es – goss in Strömen. In der Frühe gieng ich mit Margreth zu den Serviten, wo ich mich den hl. Sacramenten nahte u. den l. Aloisi-Sonntag begieng. Um 9 Uhr war Hochamt in der Universitäts-Kirche, dem ich beiwohnte. L. Onkel Nicolaus fuhr nachmittags zur Sitzung nach Ampaß, Margreth u. ich giengen nach Pradl spazieren.

27. [sic!] Mai, Montag. Heute war das Wetter wieder passabel; wir machten alles fix u. fertig, um morgen nach Andlklaus zu ziehen.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer, Bd. 26, Nr. 85 (Liebig Sammelbild, um 1900)

Hier geht es: Zum nächsten Eintrag (falls schon vorhanden), zum vorhergehenden Eintrag und zurück an den Beginn des Tagebuchs.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare
    1. Ja, das hat man uns auch erzählt. Deshalb war ich auch immer froh, wenn wir auf dem Weg zur Issabfahrt heil durch bzw. meist vor der verfallenen Lawinenverbauung in Boscheben angelangt waren!

  1. Als ich heute diesen Beitrag sah, ist mir sofort aufgefallen, dass es sich um ein „Liebigbild“ handelt. Wenn man danach googelt z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Liebigbild , kann man sehen, um was es sich dabei handelt.
    Meine Beziehung zu den Liebigbildern: Noch während des Krieges schenkte mir Frau Rutzinger, die im gleichen Stockwerk wie wir in der Pradlerstraße 15 wohnte, ihre umfangreiche Sammlung von Liebigbildern, ein richtig dickes Album. Hunderte Male habe ich es durchgeblättert, habe mich mit den darin abgebildeten Themen – Tiere, Pflanzen, Länder, Völker usw. – befasst, alleine und zusammen mit Freunden, es war unser damaliges „Fernsehen“.
    Als ich dann 1955 das erste Mal nach Imst kam und meinen Dienst beim Baubezirksamt antrat, traf ich einen dieser früheren Freunde, er war inzwischen Buchdrucker geworden und arbeitete in der Imster Druckerei Egger. Er sprach mich auf dieses Album an, ich leihte es ihm und sah es, und auch ihn, danach nie mehr wieder! Leider weiß ich nur seinen Vornamen Kurt!
    Darf ich jetzt träumen? Kurt liest auch „innsbruck erinnert“, sieht das und bekommt ein schlechtes Gewissen – das wär was!

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