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8 Monate Anno 1902 (1)

8 Monate anno 1902 (1)

„V. I! Innsbruck, den 16. Februar 1902. Dieses Tagebuch erhielt ich von der lieben Tante Anna u. dem guten Onkel Nicolaus zu meinem heutigen Geburtstag! Ich will auch beginnen, meine Erlebnisse hier einzuschreiben, zur Ehre Gottes und Mariens und zu meinem eigenen Heile!!!“

Diese bedeutungsvollen Worte stellte das 19-Jährige „Mariechen“ am 16. Februar 1902 ihrem brandneuen Tagebuch voran. Über die folgenden acht Monate lässt sie uns darin an ihrem Alltag, Umfeld und ihrer Gedankenwelt teilhaben. Der Inhalt soll hier wortgetreu und ohne umfangreiche Kommentare wiedergegeben werden. Die Einträge werfen kleinere und größere Fragen auf. Wer ist sie? Wo wohnt sie? Wer sind die Menschen, mit denen sie Zeit verbringt? Was kann man zu ihren Beschäftigungen sagen? Und was bedeutet das eine oder andere Wort? Viele Fragen, viele Puzzlesteine. Zum Glück gibt es eine Kommentarfunktion – nützen wir sie!

V. I!

Innsbruck, den 16. Februar 1902.

Dieses Tagebuch erhielt ich von der lieben Tante Anna u. dem guten Onkel Nicolaus zu meinem heutigen Geburtstag! Ich will auch beginnen, meine Erlebnisse hier einzuschreiben, zur Ehre Gottes und Mariens und zu meinem eigenen Heile!!!

Innsbruck, den 16. Februar 1902. Mein Geburtstag. 1. Fastensonntag. – Um 5 Uhr früh erhob ich mich u. nahte mich in der Servitenkirche den heiligen Sacramenten. Dir, o Gott, sei mein neues Lebensjahr empfohlen, schütze u. leite Du mich! –

Zuhause angekommen gratulierten mir die liebe Tante Anna u. Onkel Nicolaus nochmals, nachdem sie es bereits gestern abends gethan hatten. Als ich nämlich nach dem Abendtisch in‘s Speiszimmer trat, stand auf meinem Platze eine Menge Schachteln. Obenauf lag ein sehr hübsches, kleines Bröschlein, dann folgte ein Dutzend der feinsten Leinenbattist-Taschentücher; die Hälfte derselben war mit meinem volllaus gestickten Namen „Mariechen“ versehen, die anderen sechs führten umgeben von Arabescen das Monogramm „M. C.“ – Dies alles lag auf einem großen Stück ff.[?] Barchend, welches zu 6 Winterbeinkleidern gehört. All‘ dies richtete ich schön auf meinem Kasten her; dazu gesellte sich noch ein Bouquet von Margreth, sowie die schöne, schon früher erhaltene Gabe der guten Frau Mutter, ein Skitzenbuch u. eine Schachtel Briefpapier. Auch die Gratulationskarten legte ich dazu: Martha, Hilda sowie Frau Mutter hatten mir Briefe gesandt, die lieben Großtanten, Madeleine, Frl. Marie von Preu u. der lb. Großvater waren mit Ansichtskarten vertreten. –

Um 10 Uhr kam ich vom academischen Gottesdienst heim, worauf wir meinen Geburtstag bei Champagner feierten. Während des Mittagessens kam der Stallsinser[?] Seppl, blieb aber nicht zu lange. Alsdann machen wir den gewöhnlichen Spaziergang über den Saggen, nach welchem ich noch ein bisschen in die Servitenkirche gieng, wo ich gerade zur Prozession mit der schmerzhaften Muttergottes recht kam, wobei es sehr feierlich war. Zuhause angekommen, machte ich mich daran, in Dich, mein neues Tagebuch, die ersten Worte einzuschreiben! – Dann schrieb ich an Martha einen Brief mit Narcissenblüten. Der Tag verging recht angenehm, abends jedoch kam Herr Dr Waldner, welcher bis ½ 12 Uhr hier blieb. Somit habe ich von meinem heutigen Geburtstage nicht zu viel verschlafen, im ganzen so 5 Stunden. Das Wetter war angenehm, nachmittags hellte es sich prachtvoll auf. So verfloss, in kurzen Worten geschildert, der erste Tag, den ich mit 19 Jahren erlebt habe. Wären alle so, so würde ich gewiss zufrieden sein, glaube ich.

Hier geht es: Zum nächsten Eintrag, zum vorhergehenden Eintrag, zum Beginn des Tagebuchs.

(Bild und Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck Cod-2072-1)

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare
  1. Auf Grund der Vielzahl an Indizien ein Rätsel der einfacheren Art:
    Es handelt sich um das Tagebuch der Maria Antonia Anna Josefine Philippine Cornet, geboren am 16.02.1883 im Hause Fallmerayerstraße 9. Sie ist die Tochter von Dr. Albert Cornet und Luise Fuchs.
    Am 11.06.1912 heiratet Marie Cornet mit 29 Jahren in Hall Dr. Johann Grass, welcher bereits 1918 stirbt. Dieser Ehe entstammen die renommierten Innsbrucker Persönlichkeiten Nikolaus und Franz Grass.
    Marie Cornet stirbt am 22.10.1970 mit 87 Jahren in Innsbruck. Das Familiengrab befindet sich in den Arkaden des Westfriedhofs und kann dort anlässlich eines Spaziergangs besichtigt werden.

    Bei Onkel Nikolaus und Tante Anna dürfte es sich um Herrn Nikolaus Posch und Frau Anna Posch geb. Fuchs handeln.

  2. Schönen guten Sonntagmorgen, lieber Herr Auer! Phänomenal! Ich weiß, es gab viele Hinweise, dennoch, großartig! Können Sie der versammelten Gemeinde vielleicht auch darstellen, wie Sie hier vorgegangen sind?

    1. Schönen guten Morgen, lieber Herr Bürgschwenter! Gerne kann ich den Lösungsweg skizzieren:

      Hauptindiz ist der Hinweis „19. Geburtstag am 16.02.1902“
      Demnach muss die gesuchte Marie am 16.02.1883 geboren sein.
      Auf gut Glück kann man nun die Kirchenbücher von Innsbruck nach dieser Taufe durchsuchen. Im Taufbuch der Pfarre St. Jakob findet sich in der Tat eine Maria Cornet, was mit den Initialen M.C. perfekt übereinstimmt. Die Heirats- und Sterbedaten wurden von den Geistlichen ebenfalls im Taufbuch eingetragen, was die Recherche wesentlich vereinfachte.
      Mit einem Foto der Grabstätte konnten die restlichen Familienverhältnisse rasch aufgeklärt werden.

      Weiterführende Informationen zur Familiengeschichte findet sich auch im Buch „Aus der Geschichte der Nordtiroler Bürgerkultur“ von Marie Grass-Cornet und Nikolaus Grass.

      1. Wenn man den Namen „Marie Grass-Cornet“ googelt, findet man erstaunlicherweise Infos über eine Masterarbeit von 2017 mit dem Titel „Marie Grass-Cornet. Tagebucheintragungen einer jungen Tirolerin als Spiegel bürgerlicher Alltagskultur (1897-1905)“
        Demnach scheint es wahrscheinlich zu sein, dass zusätzlich zum Tagebuch von 1902 noch weitere Tagebücher existieren…..

        1. Danke für den Hinweis – die habe ich mir sofort ausgeliehen. Sie haben völlig recht – Marie Grass-Corneth führte zumindest von Oktober 1897 bis Dezember 1905 Tagebuch, beziehungsweise Tagebücher. Die in der Arbeit analysierten 6 Bücher liegen alle im TLMF. Interessanterweise mit einer Lücke zwischen Mai 1901 und Dezember 1902. 😉 „Unser“ Tagebuch war bislang noch keiner Autorin zugeordnet und ist deshalb unbearbeitet geblieben.

  3. Einblick in die Familienverhältnisse liefert auch die Todesanzeige der Großmutter Anna Fuchs geb. von Weinhart. In dieser Todesanzeige von 1897 finden sich u.a. Onkel Nikolaus, Tante Anna und die 14-jährige Marie:
    https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ibn&datum=18970308&query=%22cornet+fuchs%22~10&ref=anno-search&seite=5

    Der im Tagebuch erwähnte liebe Großvater war wohl der Großvater mütterlicherseits Josef Fuchs, bürgerlicher Stadtkoch und Magistratsrath.

  4. Das hat jetzt mit dem Rätsel nicht wirklich was zu tun: zumindest all meine Hefte für die Volksschule habe ich am Claudiaplatz beim Jeggle gekauft. Offensichtlich gab es diesen Schreibwarenladen schon 1902.

    1. Ach, es geht doch nicht immer nur um die großen Fragen und Rätsel, gerade die kleinen und die Details machen oft auch viel Freude! Ich habe den Jeggle extra nicht erwähnt, weil ich sicher war, dass es jemandem auffallen wird! 🙂

    1. Diesen Kommentar hatte ich bislang ganz übersehen – aber ja, das passt natürlich geografisch sehr gut, danke für den Hinweis!

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