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Welt Statt Innsbruck

Welt statt Innsbruck

„Mein lieber Spatz! Nach 8 Tagen Seereise habe ich endlich diese Kotzerei überwunden. Mir ist sauwohl.“ So beginnt Lilo den Brief vom 25. Jänner 1954 an ihren Verlobten Erich, den sie in Innsbruck als Arbeitskollegen kennengelernt haben dürfte. „Nun Schatz, jetzt lache ich ja wieder, aber ich sage Dir, es war kein Spaß mehr, wie ich beisammen war.“

Das Ärgste war nun überstanden und kreuzfidel verlieh Lilo ihrer Lebenslust Ausdruck: „Und ich – du kennst mich ja, bin schon am Bug gestanden und habe den Piefkes was vorgejodelt, ich sage Dir, die waren hell begeistert.“ Kate Winslet und Leonardo DiCaprio lassen grüßen. Gelegenheit für eine Bootsromanze hätte es auch hier gegeben: Die deutschen und italienischen Burschen der Besatzung „unterhalten sich sehr gern mit mir, haben aber Riesenrespekt vor dem Ringlein.“ Und erst die Passagiere: „Casanovas sind viele an Bord. Interessant, die Frauen richten sich her mit der letzten Kraft – 3 an Puder – und ich… laufe herum in der langen Hose, nicht eifersüchtig sein…. Spatz… bin treu wie Gold, aber sei stolz auf Dein Weibl, habe viele Chancen hier an Bord. Besonders bei den Italienern.“ Aber ausgestattet mit einem aussagekräftigen Foto ihres Liebsten war auch für die „Bordverehrer“ klar, dass man „gegen sowas […] wohl nicht konkurrieren“ könne.

Verfasst hat Lilo diesen Brief an Bord der T. S. „Arosa Kulm“, die die junge Tirolerin nach Kanada brachte (wo man morgen übrigens den Geburtstag des Landes feiert). „Erich, die ganzen Eindrücke so einer Reise zu schildern, würde ein Buch kosten. Ich kann nur das eine schreiben, immer in Innsbruck hocken ist äußerst langweilig. […] Bei aller Liebe für das Vaterland“.

Lilo und Erich haben letztendlich durchaus den Umfang eines Buches geschrieben (und wahrscheinlich den Wert einer kleinen Bibliothek an Porto aufgewendet). Allein 1954 flogen 160 Briefe von Kanada nach Österreich, von Innsbruck nach Toronto. Sie erzählen von der Arbeit, Stellenwechseln, Existenzängsten, Trennungsschmerz und Wiedersehenshoffnung – die sich mit Erichs Emigration schließlich auch erfüllten sollte. Die Aufarbeitung dieser Briefe und ihrer Inhalte würde durchaus Stoff für ein weiteres Buch – zumindest für eine Abschlussarbeit oder einen Aufsatz – liefern.

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Kleinsammlung 05.115)

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