Verwelkende Freundschaft
Dieser hübsche Scherenschnitt mit den blauen Vergissmeinnicht-Blüten wurde 1836 in das Poesiealbum einer Innsbruckerin eingeklebt, deren Namen wir leider nicht mehr wissen. Dafür kennen wir den Namen ihrer Freundin, denn diese hat sich auf der Rückseite mit einem kurzen Gedicht verewigt:

„Die Blumen fallen ab,
Die Rosen wie die Nelken;
Doch meine Freundschaft soll,
Zu keiner Zeit verwelken.
Ich verbleibe stets deine aufrichtige Freundin
Innsbruck der 18te Dzb 1836, Theres Oberhammer“
Solche Sprüche wie der von Theres sind typisch für Poesiealben, in denen sich in erster Linie Freundinnen und Freunde mit kurzen Zitaten, Gedichten, guten Wünschen, Zeichnungen und Bildern verewigen. Für den Besitzer oder die Besitzerin des Albums stellt dieses Freundschaftsbuch eine schöne Erinnerungssammlung dar. Ich selbst nehme mein Poesiealbum aus meiner Kindergarten- und Volksschulzeit immer wieder gerne in die Hand und denke an die Menschen, mit denen ich diesen Abschnitt meines Lebens geteilt habe.
Aber wussten Sie schon, dass die Tradition des Poesiealbums bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht? Sein Vorläufer war das „album amicorum“ oder „Stammbuch“. Es entstand während der Reformation, als es unter Studenten in Wittenberg Mode wurde, kurze Einträge von berühmten Reformatoren wie Martin Luther und Philipp Melanchthon in kleinen Büchern zu sammeln. Die Studenten trugen sich auch gegenseitig mit ihren Namen, Wappen und Sprüchen in die Bücher ein. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts kursierten diese Stammbücher auch an anderen Universitäten und es wurde Brauch, sich von Studienkollegen und Professoren kurze Wünsche und Zitate widmen zu lassen. Je mehr Einträge ein solches Stammbuch hatte, desto größer war das Ansehen des Studenten. Es diente in dieser Hinsicht auch als eine Art Empfehlungsschreiben.
Auch in Adelskreisen breitete sich das Stammbuch aus und diente auch hier als Symbol für die gesellschaftliche Anerkennung. Im Laufe der Zeit wurden die Einträge immer aufwendiger und bunter, neben den Sprüchen kamen jetzt auch Zeichnungen, Porträt-Silhouetten oder Stempel dazu. Auch bei adeligen Frauen war die Tradition beliebt. Ihre Stammbücher waren oft mit Seidenstickereien, getrockneten Blüten oder geflochtenen Haarlocken verziert.
Im 19. Jahrhundert schließlich – also der Zeit, aus der unser Innsbrucker Poesiealbum stammt – entdeckten auch andere gesellschaftliche Schichten das Stammbuch für sich, allen voran die städtischen Bürger:innen, zu denen wahrscheinlich auch die Besitzerin unseres Albums zählte. Es wandelte sich zu dem Freundschaftsbuch, das wir bis heute kennen. Weil es oft mit gereimten Sprüchen gefüllt war, wurde es Poesiealbum genannt. Einen dieser Sprüche, der oft am Anfang des Albums zu finden ist, kennen Sie bestimmt:
„Liebe Leute groß und klein, haltet mir mein Album rein. Reißet keine Blätter aus – sonst ist die Freundschaft mit uns aus!“
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Bi-k-1488)
Elisa Wasserer