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Sprachverwirrung

Sprachverwirrung

Im April des Jahres 1897 erließ der Ministerpräsident Cisleithaniens, Kasimir Felix Badeni (1846–1909), eine neue Sprachverordnung für die Kronländer Böhmen und Mähren. Es war ein Versuch, seiner Regierung wieder eine Mehrheit im Reichsrat zu verschaffen, in dem die „Jungtschechen“ (Mladočeši), die neue liberale Nationalpartei Böhmen und Mährens, auf seine Seite gezogen werden sollten. Gleichzeitig hoffte er, den bereits lange schwelenden Konflikt zwischen den Deutschen und Tschechen etwas zu entschärfen. Die Tatsache, dass die Geschichte der Donaumonarchie ein Kapitel mit dem Namen „Badeni-Krawalle“ enthält, verrät bereits, dass sein Schachzug nicht von Erfolg gekrönt war. In der nationalistisch aufgeladenen Atmosphäre löste die Verordnung unter den Deutschen der Habsburgermonarchie einen Proteststurm aus und führte die Monarchie in eine Staatskrise, der sie bis zu ihrem Untergang nicht gänzlich entkommen sollte.

Die Verordnung sah vor, dass bis zum Juli 1901 alle Beamten in Böhmen und Mähren Deutsch und Tschechisch sprechen mussten, sowohl im internen Verkehr als auch bei Parteianfragen. Die deutschsprachigen Bürger der Kronländer befürchteten, dass sie aus der Verwaltung von den Tschechen, die meist beide Sprachen beherrschten, verdrängt werden würden, auch in Kreisen, die deutschsprachig waren. Ebenso war man besorgt, dass Veteranen, die nach ihrem Militärdienst einen Anspruch auf einen Posten in der Zivilverwaltung hatten, dieses Recht in Böhmen de facto verlieren würden, da sie im Militär unterhalb der Offiziersränge nicht die Gelegenheit hatten, Tschechisch zu lernen. Die Proteste erfassten nicht nur die deutschen Bezirke Böhmen und Mährens, sondern alle deutschen Teile der Monarchie. In Graz wurde eine Puppe des Ministeriums an einer Laterne gehängt, verprügelt und anschließend verbrannt. In Innsbruck gab es auch nach der Nachricht von der Entlassung Badenis am 30. November eine der bis dahin größten Demonstrationen, in der von der deutschen Studentenschaft der „heiße Kampf (…), der gegen das deutsche Volksthum und die deutsche Cultur in so gehässiger und gewalttätiger Weise geführt wird“ angeprangert wurde. Weiter hieß es in der Proklamation der Studentenschaft:

„Deutsche Waffenthat und mehrhundertjährige deutsche Culturarbeit haben unseren Staat zu dem gemacht, was er bis vor kurzem war: Daher muss dem deutschen Volke in diesem Staat die erste und maßgebende Stellung unter allen Umständen eingeräumt und gewahrt werden und auf keinen Fall darf es weiter nur als Culturdünger für andere bildungsbedürftige Nationen betrachtet und missbraucht werden. Da gerade die Volksvertreter der Slaven und Polen die deutsche Cultur als für ihr Volk überflüssig und entbehrlich bezeichnen und in so unerhörter Weise geschmäht und verhöhnt haben, erklären die deutschen Studenten, dass sie es lebhaft begrüßen, dass diese beiden Völker in Hinkunft selbst für ihre culturelle Weiterentwicklung sorgen wollen, und fordern die Söhne dieser Volkstämme auf, alle deutschen Hochschulen zu räumen und ihre wissenschaftliche und geistige Bildung in ihren eigenen Volksinstituten sich zu holen. Die Deutschen können und dürfen ihnen die geistigen Errungenschaften ihres Volkes nicht weiter zur Verfügung stellen und sie mit den geistigen Waffen weiter ausrüsten, die sie dann in so schändlicher Weise gegen sie handhaben“

Innsbrucker Nachrichten, 30. November 1897, Seite 5.

Die Rede vor den versammelten Studenten endete mit dem Aufruf „Deutsche Zucht geht vor in Allem! Heil dem deutschen Volke!“, der mit begeisterten Heilrufen aus dem Publikum beantwortet wurde. Wie an der Proklamation der Innsbrucker Studentenschaft unschwer zu erkennen ist, wurde aus dem Sprachenkonflikt in den Augen vieler deutschnationaler ein „Rassenkampf“ zwischen Germanen und Slawen. Der Zug bestand nicht nur aus deutschnationalen, auch Sozialdemokraten schlossen sich der Demonstration an. So ertönte neben der Wacht am Rhein auch das Lied der Arbeit vor der Universität – eine Kombination die man wohl nicht erwartet hätte. Trotz der emotionalen Stimmung kam es an diesem Tag in Innsbruck zu keinen Ausschreitungen.

Unwillkürlich denkt man bei diesen Ereignissen vielleicht an die Worte, die Joseph Roth dem Grafen Morstin in den Mund gelegt hat:

Sie suchen vergeblich nach sogenannten nationalen Tugenden, die noch fraglicher sind als die individuellen. Deshalb hasse ich Nationen und Nationalstaaten. Meine alte Heimat, die Monarchie, allein war ein großes Haus mit vielen Türen und vielen Zimmern, für viele Arten von Menschen. Man hat das Haus verteilt, gespalten, zertrümmert. Ich habe dort nichts mehr zu suchen. Ich bin gewohnt, in einem Haus zu leben, nicht in Kabinen.

Joseph Roth, Die Büste des Kaisers.

(Signatur sommer 10_469)

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