Provenienzforschung auf dem Bürgersteig
Die kürzeste messbare Zeitspanne in Innsbruck ist entweder das Hupen des zweiten Autos angesichts einer gerade auf Grün geschaltenen Ampel oder das Eintreffen des ersten etwas abgewohnten Trödler-Kombis, wenn ein Gehsteigabschnitt so aussieht, als gäbe es dort heute Sperrmüll. Es ist mittlerweile nach glaubhaften Berichten schwierig geworden, in Ruhe zu übersiedeln, weil immer so schnell jemand die Sachen gleich mitnehmen möchte.
Aus Sicht eines Stadtarchivs ist es wichtig, bei den fast ausschließlich männlichen Spermmullragglern mitgedacht zu werden. Da gibt es ganz verschiedene Charaktere, die Sammler, die es später einmal vorbeibringen werden; die alles-dem Archiv-Schenker; die nur-davon-Erzähler die dann doch nichts davon abgeben wollen und natürlich die Händler, die damit später auf die Altwaren-Fachmesse Cyta gehen werden oder ausnahmsweise auch dem Archivdirektor ein Gustostückerl verkaufen würden. Für uns sind alle gleich wichtig. Die Alternative ist stets, dass ein Stück Stadtgeschichte unwiederbringlich im geschichtslosen Schredder des Ahrntals landet.
Ein wunderbarer Bestand, dessen Provenienz so ein achtlos auf der Straße abgestellter Karton ist, ist die Fotosammlung Schindler. Er wurde in die Sammlung des zu dieser Zeit als Abendspaziergang gerne mit seiner Partnerin eine Runde in Wilten drehenden Publizisten Markus Wilhelm aufgenommen und ruhte dort gut 30 Jahre. Die hunderten Bilder sind fast überhaupt nicht beschriftet, und doch finden sich einige Hinweise, dass es sich um Angehörige der jüdischen Familie Schindler in der Andreas-Hofer-Straße handeln muss. Es ist der Bestand, der irgendwann nach dem Tod von Margarethe Tray-Schindler (verstorben 1987) in der Andreas-Hofer-Straße gelandet ist. Als sich in den letzten Jahren das Interesse für die die Geschichte dieser Familie verstärkte, wurde der Karton vom sprichwörtlichen Dachboden geholt. Viele Bilder haben Eingang in Meriel Schindlers erfolgreiche Familiensaga gefunden. Dieses Jahr hat Markus Wilhelm den Karton dem Stadtarchiv geschenkt. Vielen Dank dafür!
Das Foto zeigt Margarethe Tray Schindler geborene Herschan (1911-1987), die Frau des Cafétiers Erich Schindler, mit dem gemeinsamen Sohn Peter bei einem Ausflug auf die Hungerburg. Für die Schaumrolle, wie man die damals schwer angesagte Kinderfrisur nannte, war der 1933 geborene Peter zum Zeitpunkt der Aufnahme wohl schon etwas zu groß.