Post aus Przemysl
Przemysl war die größte Festung der Habsburgermonarchie. 1914/15 wurde sie gleich zweimal eingeschlossen; bereits am 16. September 1914 begann die erste Belagerung. Nach rund einem Monat gelang es der k. u. k. Armee jedoch Przemysl zu entsetzen. Allerdings sollte sich das Blatt bereits Anfang November 1914 wieder zu Gunsten der zaristischen Truppen wenden. Am 9. November gelang es russischen Truppen erneut die österreichisch-ungarische Festung einzuschließen. Nach einer mehr als viermonatigen Belagerung waren die Vorräte der Verteidiger schließlich zur Neige gegangen, weshalb der Festungskommandant Feldmarschallleutnant Hermann Kusmanek von Burgneustädten am 22. März 1915 kapitulierte. Mit ihm gerieten an diesem Tag 120.000 Mann in russische Gefangenschaft.

Anfang Juni 1915 konnten die Mittelmächte Stadt und Festung Przemysl wieder zurückerobern. Einige Wochen später traf der Innsbrucker Zahnarzt Dr. Franz Wolf (1875-1924) in der Stadt ein. Als Sohn eines Bauern in Ischgl geboren hatte Wolf das Vinzentinum in Brixen absolviert, in Innsbruck Medizin studiert und als Einjährig-Freiwilliger-Mediziner seinen Präsenzdienst beim 1. Regiment der Tiroler Kaiserjäger abgeleistet. 1915 diente er als Oberarzt in der Evidenz der Landwehr beim Verwundetenspital Nr. 1 des Deutschen Ordens. An seine Frau Luise, die er am 29. September 1908 in Bruneck geheiratet hatte, schrieb er am 27. Juli 1915:
Liebe Mama! [sic]
Nun sind wir glücklich wieder etabliert u. zwar in einem großen schönen Doppelgymnasium mit Platz für 600 Verwundete. Nebenher suchten wir uns für eine Offiziersmenage alles zusammenzutrommeln, denn das Essen im Wirtshaus ist nicht zu Erschwingen u. miserabel dazu. Kannst Dir beiläufig denken, wie tauglich ich zum Handeln u. Feilschen bin. Allein jeder muß etwas machen, also werde ich mich halt auch mit ein paar Juden herumraufen. Die Stadt ist noch öde. Erst allmählich kehrt die Bevölkerung wieder zurück. Da u. dort geht ein Geschäftsladen auf. Sehr viele Häuser sind noch leer, Fenster überhaupt der Großteil in der Stadt caput [sic] u. ein Ersatz-Glas nicht zu bekommen.
Teils waren Schuld die Sprengung 2er großer Sanbrücken in der Stadt, teils Bomben, die an verschiedenen Orten über der Stadt niedergingen. Geplündert sind alle Wohnungen, aus denen die Leute flohen. Jedoch scheinen nicht alles die Russen, sondern die lieben Nachbarn [i.e. die deutschen Truppen, die Przemysl Anfang Juni 1915 eigenommen hatten] geplündert zu haben. Am ärgsten Schaut die Dampfmühle eines Judem aus, in dessen Villa der Car [sic, gemeint ist der Zar] wohnte. Derselbe oder seine Umgebung sollen die Einrichtung der Villa waggonweise weggeschleppt haben.
Doch das ist jetzt alles vorbei. Mittlerweile ist die Endphase gekommen u. auch die wird siegreich durchgehalten werden. Was dann mit uns sein wird, wohin wir kommen werden, weiß ich nicht, desto besser, wohin ich kommen will.
Gestern haben wir von 4 Wochen die ganze Post nachgeschickt bekommen, darunter von Dir 2 Karten, aus denen ich sehe, daß Ihr Gottlob gesund seid. Auch von Ischgl war eine gleichlautende Meldung [dabei].
[…]
Wie steht es mit Kohlen für den kommenden Winter? Soll ich kaufen lassen? Früh vorsorgen ist besser. Mit Nahrungsmitteln wird es den zweiten Winter eher besser gehen als den ersten, weil man im allgemeinen doch schon gelernt hat, vernünftig zu sein. Und die blöden, sinnlosen Verordnungen gewisser Behörden allein werden kaum imstande sein, eine Hungersnot zu erzeugen; wenigstens für Euch nicht. Soviel Hinterland haben wir ja Gott sei Dank! Auch ist im allgemeinen eine sehr gute Ernte in Aussicht. Hier ist ein vorzügliches Klima, reichlicher Obstbau u. herrliche Nußbäume, was mich überrascht. Zudem hat die Stadt eine reizende Lage und Umgebung. Von den zahlreichen Forts ist auf Distanz kaum etwas bemerkbar, wenigstens nicht für den Laien. Vielleicht bekomme ich einmal Gelegenheit, auf ein solches Fort hinauszufahren. Wie lange wir noch hier bleiben, hat natürlich kein Mensch eine Ahnung; hängt ja auch mit den Erfolgen in Warschau zusammen. Jedoch ist nicht ganz ausgeschlossen, daß wir später transferiert werden. Mir ist alles recht. Wenn ich weiß, daß alles gesund ist, und ich Arbeit habe, stecke man mich hin wo es ist. Nur das beschäftigungslose Warten ist unerträglich.
Wenn Du mir schreibst, so schreibe an meinen Namen D.O.V. Spital 1, Feldpost 169. Da bekomme ich die Briefe am schnellsten.
Allerseits viele Grüße u. Euch Kuss
Papa
Obwohl sein Brief der Zensur unterlag – am Kuvert findet sich der Stempel „k. u. k. Militärzensur Przemysl“ – brachte Wolf seine Eindrücke und Gedanken recht freimütig zu Papier. Weder verschwieg er die Plünderungen durch die deutschen Truppen, noch sparte er mit Blick auf die k. k. Behörden mit Kritik (freilich ohne eine bestimmte Behörde beim Namen zu nennen). Auch der Besuch des Zaren in Przemysl im April 1915 war Wolf bekannt. Ob aber tatsächlich Nikolaus II. oder seine Gefolge die erwähnte Villa geplündert haben, bleibt dahingestellt. Und natürlich fehlt auch die stereotype Schilderung vom Handeln mit der jüdischen Bevölkerung in seinem Brief nicht.
Die anklingende Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, zumindest an der Ostfront, sollte sich nicht erfüllen. Der Durchbruch bei Gorlice-Tarnów brachte den Mittelmächten zwar große Gebietsgewinne ein. Aber die zaristische Armee war längst noch nicht besiegt, wie die Brussilow-Offensive im Sommer 1916 demonstrieren sollte. Und so ging auch für Dr. Franz Wolf die Dienstleistung im Verwundetenspital Nr. 1 des Deutschen Ordens weiter. 1917 erhielt er – mittlerweile zum Regimentsarzt i.d. Ev. der Landwehr befördert – das Signum Laudis.
Nach dem Krieg kehrte Wolf nach Innsbruck zurück, wo er wieder als Zahnarzt tätig war. Im August 1924 erlag er „in der Schwimmschule Büchsenhausen einem Schlaganfall […]. Dr. Wolf, der im 50. Lebensjahre stand, befand sich im besten Wohlsein bereits im Wasser, als ihn ein tödlicher Herzschlag traf. Der Familie des hochgeschätzten Arztes, der im besten Mannesalter so plötzlich abberufen wurde, wendet sich die allgemeine Teilnahme zu.“ (IN v. 13.08.1924)

(Titelfoto & Brief Slg. Kurt Klieber, Privatbesitz)
Przemysl Ottokar III. Geschichtsunterricht im Akademischen (Auer-wie Herr Hirsch sagt) Gumminasien (wie meine kleine Tochter weiland sagte). Weitere Erinnerungen hab i nit, aber DER Name bleibt unvergessen (in welchem Zusammenhang weiß i heut auch nimmer).