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Ein Grundlegendes Bedürfnis

Ein grundlegendes Bedürfnis

Öffentliche Bedürfnisanstalten zählen weder zu den angesagten Gesprächsthemen (wann haben Sie sich zuletzt darüber unterhalten?), noch zu den beliebtesten Fotomotiven (und wenn sie es doch einmal, wie bei unserem Titelfoto, ins Bild schaffen, dann reicht es nur für eine Nebenrolle). Dennoch lohnt sich ein genauerer Blick, wie Roman Strieder in der neuesten Veröffentlichung des Stadtarchivs zeigt. Unter dem Titel „Vom Nothwinkel zur WC-Anlage im Stadtturm“ spürt er der Geschichte der Bedürfnisanstalten im öffentlichen Raum nach und spannt dabei den Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.

Der Aufstellung von öffentlichen Bedürfnisanstalten in europäischen Städten im ausgehenden 19. Jahrhundert lagen „drei massive gesellschaftliche Veränderungen zu Grunde: die Neubewertung des öffentlichen Raums im Zuge der Industrialisierung, neue Hygienevorstellungen als Folge von zahlreichen Epidemien sowie ein neues Scham- und Peinlichkeitsempfinden.“

In Innsbruck wurde die Errichtung von öffentlichen Bedürfnisanstalten ab den 1890er-Jahren zum Thema, das durchaus auch medial besprochen wurde. So heißt es etwa in einem Bericht über die Neugestaltung des Carl-Ludwig-Platzes (heute Adolf-Pichler-Platz): „Die am Karl Ludwig-Platze heuer neu errichtete Anlage ist be­reits hübsch herangewachsen und gereicht dem Platze zur Zierde, doch sollte sie gegen das Ein­dringen der Hunde, die sich diese Anlage zu einem Lieblingstummelplatze in den Morgenstunden aus­ erkoren zu haben scheinen, durch eine bessere Ein­friedung mehr geschützt werden. Auch die Anlage einer Bedürfnisanstalt wäre hier oder in der Nähe leicht möglich und würde es dadurch ver­mieden, dass die Winkel bei der hölzernen Hütte am Südende als eine solche benützt werden, wie es jetzt der Fall ist“, so die Innsbrucker Nachrichten am 2. Juni 1897.

Eineinhalb Jahre später ging die „neue Bedürfnisanstalt an der Innbrücke […] ihrer Vollendung entgegen und dürfte also bald eröffnet bezw. der Benützung übergeben werden und damit ist dann auch das ‚Hütteldorf‘ bei der Innbrücke fertig, da wir ja dort ohnehin schon eine Trambahnwartehalle, eine Verkaufsbude und ein Pissoir haben, während das Accishäuschen auf der anderen Seite der Brücke steht. Vor Jahren waren hier im Winter nur ein paar hölzerne Kastanienbrater-Hütten zu sehen und hatte man mit vieler Mühe versucht, die Beschlaghütte in Mariahilf zu beseitigen, die aber heute noch steht u. niemanden mehr geniert, ebenso wenig wie dies die vorerwähnten Objecte thun und es die neue Bedürfnisanstalt thun wird. Hoffentlich kommt auch das vom Gemeinderothe bereits genehmigte Pissoir am Karl Ludwig-Platze bald zur Ausstellung; ebenso ist die Anbringung eines solchen bei der Triumphpforte sehr wün­schenswert und es dürfte dieses vielleicht auch nicht unschwer auszuführen sein.“ (IN v. 31.1.1899).

Im August 1908 erschien unter dem bezeichnenden Titel Aus einer modernen Stadt ein Artikel, der allen Fortschritten zum Trotz die bestehenden Mängel freimütig benannte:

„Bei uns in Innsbruck geschieht viel für das gemeine Wohl; besonders in sanitärer Hinsicht sind wir nun, weil unsere Kanalisierung fertig ist, und zwei Volksbrausebäder und im Sommer noch zwei städtische Schwimmschulen jedem der sich nicht ungewaschen wohler fühlt, die Pflege seines Körpers leicht machen, gut bestellt – so weit eben kommunale Fürsorge dazu beitragen kann. Merkwürdig aber ist, daß es nötig erscheint, unsere löbliche Gemeindevertretung einmal nachdrücklich, und, nachdem dies von anderer Seite sogar bereits geschehen ist, ohne daß darauf eingegangen wurde, wiederholt auf einen sehr empfindlichen Mangel in einer auch in dieses Gebiet gehörigen Hinsicht aufmerksam zu machen. Dies ist der Mangel an öffentli­chen Bedürfnisanstalten. Für Männe ist noch verhälttnismäßig gut gesorgt. Wer län­gere Zeit hier anwesend ist, weiß auch, die beiden sehr versteckt angebrachten Objekte in der Kiebachgasse und am Karl Ludwigplatz zu finden. Die sind aber wohl fast lediglich nur den Einheimischen bekannt. Außerdem haben wir ein solches Objekt beim Theater, auch nicht gerade leicht auffindbar, eines am Oberrauchplatz und eines bei der Innbrücke. Sonst ist uns noch keines begegnet. Für die Frauen aber gibt es in der ganzen Landeshäuptstadt nur eine öffentliche Bedürfnisanstalt, nämlich bei der Innbrücke. Statt aber die vorhandenen Objekte auszugestalten und nach und nach zu allgemeinem Gebrauche geeignet zu machen, wurde vor etwa Jahresfrist sogar ein Pissoir am Ende der Museumstraße entfernt, ohne daß dafür Ersatz geschaffen worden wäre. Wir verweisen auf das Beispiel anderer Städte und machen folgenden Vorschlag, der hauptsächlichi auch den Fremden nützen soll: Im Rathaus Hofe, in irgend einem der ebenerdigen Lokale, eine mo­dern ausgestattete öffentliche Kloset- und Pis­soir-Anlage, welche auch einige gegen Bezahlung zugängliche Klosets enthalten müßte. Dies wäre der Ort, wo jeder – besonders der Fremde – so etwas sucht, und dann eben auch finden könnte. Und eine zweite, ebensolche Anlage bei der Triumphpforte. Ob nicht am Bahnhofplatze (wer kennt nicht den Zustand der Bahn-Aborte?) und am neuen Verkehrsknotenpunkte beim Berg Isel- und Stubaibahnhofe ebenfalls derartiges wünschenswert wäre, über­lassen wir dem Ermessen unserer Stadtväter. […].“ (IN v. 8.8.1908, 4-5)

Wenn Sie nun neugierig geworden sind, lege ich Ihnen den von Lukas Morscher und mir herausgegebenen Band „Kanalisation ist eine ganz nette Sache …” Aspekte der Infrastruktur in der Innsbrucker Altstadt (Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs, Neue Folge 76), Innsbruck 2022, ans Herz. Darin finden Sie u.a. auch den erwähnten Aufsatz von Roman Strieder. Erhältlich bei uns im Stadtarchiv/Stadtmuseum und im gut sortierten Buchhandel.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare
  1. Das wunderbare Titelfoto versprüht wohl den Charme der 1930er-Jahre, die Mode und die Frisuren würden passen.

    Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war das abgebildete Pissoir der Tatort eines schauerlichen Mordversuches. Die Innsbrucker Nachrichten vom 27. April 1914 berichten:

    „Mordversuch im Pissoir. Zwei Arbeiter,
    Stefan Erlacher und Franz Schafranek, gerieten
    gestern in der Sonntagsstimmung in der Nähe
    der Innbrücke hier in Streit, weil Erlacher den
    Schafranek beschuldigte, er habe ihm im Schlafe
    3 Kronen gestohlen. Schafranek stellte dies ent- ­
    schieden in Abrede. Dieser begab sich dann in das
    Pissoir an der Innbrücke, ihm folgte Erlacher
    auf dem Fuße und im Innern des Objekts fuhr
    Erlacher dem Schafranek mit einem großen Reb-
    messer seitwärts an den Hals, zweifellos in der
    Absicht, ihm eine schwere Verletzung beizubringen;
    und das Instrument wäre hiezu auch sehr ge ­
    eignet gewesen. Schafranek fuhr mit der Hand
    an den Hals, um abzuwehren, und es gelang
    ihm dies auch insoferne, als die Wunde nicht am
    Halse entstand, sondern am Kinn und die ab- ­
    wehrende Hand hielt die Wucht des Stoßes
    einigermaßen auf. Schafranek ist auch an der
    Hand verletzt. Auf die Hilferufe Schafraneks
    eilten mehrere Gendarmen ins Pissoir, die an
    der Haltestelle der Lokalbahn Innsbruck – Hall
    standen und auf die Bahn warteten. Diese er- ­
    faßten den Täter und übergaben ihn dann der
    Polizei. Diese überstellte ihn dann dem Landes-
    gerichte. Erlacher gestand sofort seine Tat ein.“

  2. Wäre wirklich schön, wenn solche „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ in Innsbruck(s Stadteilen) wieder mehr würden. Als Reizdarmgeplagter Mensch ist es fast unmöglich, längere Spaziergänge zu unternehmen, da die Strecke zwischen daheim und einer öffentlich zugänglichen WC-Anlage meist viel zu lang sind…..

  3. Der Briefkasten scheint noch aus der k. u. k. Monarchie zu sein. Und handelt es sich bei der „Säule“ vor dem Baum um eine öffentliche Personenwaage? Ich hatte die schon ganz vergessen. Jetzt, wo ich sie auf dem Foto sehe, kommt mir vor, sie vor sehr vielen Jahren noch „in natura“ gesehen zu haben. In der Halle des alten Bahnhofs?

    Woran ich mich noch gut erinnere, sind die öffentlichen, unterirdisch installierten WC-Anlagen am Bozner Platz. Die Erinnerung ist deshalb noch sehr präsent, weil dort eine ganze Weile eine Frau für Sauberkeit sorgte, die immer ein Äffchen dabei hatte, das ihr mal auf der Schulter und mal auf dem Kopf herum turnte. Ich war von dem eigenartigen Duo fasziniert und ein wenig verängstigt gleichzeitig. Die Frau erinnerte mich mit ihrem merkwürdig bunten Äußeren irgendwie an eine Wahrsagerin und vom kleinen Affen hoffte ich, dass er sich nicht meinen Kopf für eine Landung aussuchte.

  4. Vor Einführung der Kanalisation konnte eine hygienische Wasser- und Abwasserversorgung häufig nicht gewährleistet werden. So kam es zur massiven Verbreitung des Typhus vor allem bei Stadtbewohnern. Erst mit der Kanalisierung ist es bei uns gelungen, den auch in Innsbruck grassierenden Typhus zu bekämpfen.
    In Ländern der 3. Welt ist der Typhus auch heute noch ein großes Problem der öffentlichen Gesundheit.

  5. Jaaa, die schönen Zeiten der Erinnerung!
    Meine Nase glaubt diese vielgelobten Orte immer noch zu riechen: beim Uhrturm-Durchgang Südarkade – oder bei der Bahnunterführung neben der Dreiheiligenkirche…
    Halluzinationen?
    Oder speichert das Gesteins- und Mauerwerk über so lange Jahre…
    Aber schön wäre es schon, wenn sich eine Stadtregierung einmal derartiger Bedürfnisse annehmen würde, anstattt die Zeit mit Gestritt totzuschlagen…..
    …….zumal auch längst nicht mehr an jeder zweiten Straßenecke ein Gasthaus – oder ein mitfühlender Hotelportier – oder wer auch immer- Erbarmen zeigt…!

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