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(N)O Tannenbaum

(N)O Tannenbaum

Das heutige Titelfoto von Richard Müller zeigt eine typische Weihnachtsszene mit Kindern, Christbaum und Geschenken, so wie sie auch dieser Tage sicher vielfach aufgenommen und geteilt wird. Weitere historische Beispiele finden Sie in der Serie „O Tannenbaum“ von 2020 und 2022. Im Zentrum meines Beitrags soll aber ein Symbol stehen, das auf den meisten Fotografien fehlt: die Krippe.

Einige Weihnachtskrippen in Innsbrucker Kirchen haben Sie dieses Jahr ja durch den Advent begleitet. Wer sich intensiver mit dem Thema beschäftigt, wird früher oder später auf den Namen Pater Simon (Franz), Reider (1889-1947) stoßen. Der gebürtige Sextener trat 1907 in den Franziskanerorden ein und wirkte von 1920 bis 1940 in Innsbruck. Reider widmete sich als Volksmissionar, Volkskundler und Schriftsteller insbesondere der Krippenpflege, über die er zahlreiche Werke veröffentlichte. (ÖBL 1815-1950, Bd. 9, S. 38) Wie man der Webseite des Krippenvereins Steinach-Trins entnehmen kann, gründete er 1911 zusammen mit mit Franz Wessiack (1872-1949) die dortige „Ortsgruppe des Vereins der Krippenfreunde Tirols“.

Am 16. Dezember 1924 hielt Pater Simon Reider im katholischen Kasino einen Vortrag zum Thema „Krippe und Kind“, der am 18.12. (S. 1-2), 19.12. (S. 2-4) und 20.12. (S.6-7) im Allgemeinen Tiroler Anzeiger erschien. Darin kritisierte er die damalige (und wohl auch heute gültige) Ausprägung des Weihnachtsfests. „Fragen wir einmal, was unsere heutigen Kinder über das Weihnachtsfest wissen; oder […] was sie sich gegenseitig darüber auf der Straße, in der Schule, in der Kinderstube zu erzählen haben. Meistens dreht sich ihr Gespräch um das gute Essen, um die Schleckereien, um Spiel und Reigen zu Weihnachten; fast nichts wissen sie von der Heiligen Nacht, vom Krippelein, vom göttlichen Kind. Woher kommt das?

Ein zentraler Grund lag laut Reider „ohne Zweifel darin, daß seit Jahrzehnten der Christbaum der Mittelpunkt der Weihnachtsfeier in vielen, vielen Familien geworden ist. […] Er steht heute in gleicher Weise und mit gleichem Schmuck wie in der katholischen Familie so auch in der protestantischen und sogar jüdischen Familie, wie auch in den Wohnungen der ärgsten Religionshasser, gleich im Kaffeehaus und Konzertsaal wie in der Kirche.“ Für Reider war der Christbaum deshalb vielfach ein inhaltsleeres Symbol, das den Fokus auf Geschenke und Süßigkeiten lenkte und den Blick auf das Wesentliche – nämlich auf die durch die Krippe versinnbildlichte Weihnachtsbotschaft – verstellte. „In diesem Sinne hat der Christbaum sehr viel geschadet, hat das Weihnachtsfest gerade für die Kinder zu einem weltlichen Fest gemacht, hat den christlichen Gedanken weit in den Hintergrund gedrängt„.

Diesen Schaden bewertete Reider um so schwerwiegender, als er sich und die Kirche ganz im bereits jahrzehntelang andauernden weltanschaulich-politischem Kampf gegen das deutschfreiheitliche/deutschnationale Lager einerseits und das sozialdemokratische/sozialistische Lager andererseits sah. Und diesen Kampf stellte er auch als einen Kampf um das Weihnachtsfest dar: Die deutschvölkischen Vereine trachteten danach, Weihnachten durch das germanische Julfest zu ersetzen. Die sozialdemokratischen Kinderfreunde wollten konfessionellen „Firlefanz“ möglichst zurückgedrängten; die Botschaft müsse sein, dass die Menschen selbst die Quelle der Erlösung seien und der Sozialismus das Licht in die Dunkelheit bringen werde.

Beides waren für Reider Horrorszenarien. Ein Kind, das ohne die frohe Weihnachtsbotschaft aufwachse, werde „auch bald keinen Dank und keine Liebe mehr haben für die eigenen Eltern, wird keinen Sinn mehr haben für das eigene Leben und keinen Sinn für das Leben anderer„. Reider mahnte deshalb dazu, dass in katholischen Familien nicht der Christbaum, sondern die Krippe den Mittelpunkt des Weihnachtsfestes bilden müsste. Die Krippe ermögliche es den Eltern, ihren Kindern von klein auf mittels „Anschauungsunterricht“ die Inhalte der weihnachtliche Frohbotschaft zu vermitteln und ihnen christliche Tugenden anzuerziehen: „Opferwilligkeit und Entsagung kann das Kind vom göttlichen Kinde lernen, Gehorsam von den Hirten, Freigebigkeit von den Weisen aus dem Morgenlande usw.

Für mich persönlich eröffnet so ein Blick zurück immer wieder neue Perspektiven auf das Vertraute, lässt aktuelle Diskussionen in einem neuen Licht erscheinen und regt zum Nachdenken an. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein friedliches, besinnliches Weihnachtsfest und entspannte, erholsame Feiertage.

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, RM-PL-2822)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Ja, ich halte diesen riesigen Christbaum auch für eine Fichte.
    Wie (und was) liest man (aus) ein(em) Bild „ab“? Möglicherweise – je nach Kultiur verschieden! – so, wie „man“ eben schreibt – bei uns, hierzulande, also von links nac rechts: Sofort fallen uns jede Menge Geschenke ins Auge, die aber keineswegs allzu „luxuriös“ wirken. Es sind hauptsächlich Bilderbücher, aber auch eine Puppenküche und ein Puppenkoffer mit Puppenkleidchen sind zu sehen – teils auf dem Tisch mit dieser Plüschtischdecke, teils auf den beiden Thonet-Sesseln davor.
    Zwischen den Fenstern mit den bodenlangen weißen Tüllgardinen hängt an der Wand eine Pendeluhr – etwas neueren Datus als das übrige Mobiliar. Halb vom Christbaum verdeckt ein „atemberaubend modern“ gerahmtes Bild, ein „Original“
    Unter der Pendeluhr, auf der halbhohen Bücherstellage – gedrechselte Stützen mit Kugelköpfen – stehen einige Nippfiguren und ganz rechts eine kleine Krippe – oder?
    Die Christbaumkerzen an den obersten Ästen – deutlich kürzer als die anderen – noch vom Vorjahr stammend – in der „Weihnachtsschachtel“ am Dachboden über das ganze Jahr aufbewahrt – ebenso wie die glitzernde Goldschnur, die sich von Ast zu Ast rankt, und der gußeiserne Christbaumständer.
    Der Behang? Zwischen den selbstgebachenen Keksen (das Loch mit dem Fingerhut ausgestochen!) hängen einige weiße Fondant-„Ringerln“.
    Die drei Kinder – knapp vor Weihnachten hat ihnen der Frisör diesen sauberen Pagenschnitt gezaubert – haben ihre Hände weisungsgemäß andächtig gefaltet. Die beiden Mädchen haben adrette weiße Krägen, der Bub vorne trägt kniekurze Hosen und lange Strümpfe (die vermutlich an einem Unterleibchen namens „Strumpfgürtel“ mit „Knopflochgummiband“ und „Zwirnknöpfen“ , sowohl am Strumpf als auch am Strumpfgürtel je einer…. (bah! War das eine Anziehprozedur
    jeden Morgen!) Ja, solche karierten Kamelhaarhausschuhe, die hatte man damals – und noch laaange (Mögen Motten eigentlich kein Kamelhaar?). Der Klappverschluß dieser Hausschuhe – aus Blech – wie eine kleine Leiter mit drei Sprossen an der inneren Beinseite, in welche von der äußeren seite diese kleine Blechzunge von unten her eingeführt und dann nach außen zurückgeklappt wurde, Klick! Und die Sohlen? Platt. Und hart. Und unbiegsam. Und warm – aber nur um die Knöchel – beim Kamelhaar- Denn die dünnen, platten, glatten Sohlen hielten die Kälte des Bodens nicht ab. (Wie gut, wenn man eine Nonna – pardon!: Großmutter – hatte, die fünf, sechs Lagen „Alttextil“ aus der Flickenlade hervorzog, übereinanderlegte, mit dünnem Spagat zusammenheftete und zu Einlagsohlen zurechtschnitt. Ja, ja, hat mir meine Nonna damals gemacht – oberste Einlagsohlenschichte war rosa Flanell von einem Nachthemdchen).
    Wir wollen hoffen, daß der Knabe am Foto ebenso warme Einlagsohlen in seinen Kamelhaarpatschen hatte! Fröhliche Weihnacht!

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