Michael Mayrs letzte Fahrt
Am Sonntag den 21. Mai 1922 verstarb Michael Mayr (zur Biografie siehe den Beitrag von Christof Aichner) im oberösterreichischen Waldneukirchen, wenige Kilometer von seinem Heimatort Adlwang entfernt, plötzlich im Alter von 58 Jahren. Sowohl die regionale, wie auch die lokale Presse nahm am unerwarteten Ableben des zweiten Staatskanzlers und ersten Bundeskanzlers der Republik Österreich größten Anteil.
Der Allgemeine Tiroler Anzeiger widmete dem „tirolischen Politiker“ zwei Tage später eine Schlagzeile auf der Titelseite und fast die gesamte Seite 2. Niemand geringerer als Hans Kelsen, der Architekt der Bundesverfassung, verfasste einen Nachruf in der Neuen Freien Presse:
Michael Mayrs „klugen, vorsichtigen und taktvollen Intervention ist es allem voran zu danken, daß die politischen Parteien in den Ländern, die er als Staatssekretär zu diesem Zwecke bereiste, für einen Verfassungsentwurf gewonnen wurden, der mit föderalistischen Formen die für die politische Existenz Oesterreichs unumgänglich notwendige Zusammenfassung des Ganzen verband. Damit hat Michael Mayr eine politische Leistung ersten Ranges, die wichtigste Voraussetzung für das Zustandekommen der Bundesverfassung und damit für die Erhaltung geordneter politischer Verhältnisse geleistet.„
Er lobte ihn als stillen und bescheidenen, ernsten und gewissenhaften Arbeiter. „Zu dem ehrenvollen Andenken, de [sic] ein tüchtiger und charaktervoller Mann nach seinem Tode nicht nur von seiten der politischen Freunde, sondern auch seiner Gegner gewiß ist, kommt bei Michael Mayr noch die seltenere und vielleicht wertvollere Hochschätzung seiner Mitarbeiter.„
Ursprünglich wurde kolportiert, dass die Überführung und Beerdigung des Leichnams in Innsbruck schon Mitte der Woche stattfinden sollte. Letztendlich entschied man sich für Samstag, den 27. Mai.
„Um die hohe Verdienste des Verblichenen für Staat und Land öffentlich zu würdigen, ließ die Landesregierung das am vergangenen Samstag nachmittags stattgefundene Leichenbegängnis von der Kapelle des Landhauses ausgehen, von wo sich der Trauerzug in bester Weise entwickeln konnte„, berichtete der Allgemeine Tiroler Anzeiger. (ATA, 29. Mai 1922, S. 2)
„Den großartigen Trauerzug eröffnete die Musikkapelle von Mutters, welche den Verstorbenen zum Ehrenbürger ernannt und wo er seinen Sommersitz hatte.“ Wer aller folgte, füllt eine ganze Zeitungsseitenspalte. (ATA, 29.5.1922; S. 2). Seinen zwei maßgeblichen Wirkungsbereichen in Tirol, der Landesverwaltung und der Universität entsprechend, erfolgte die erste Einsegnung beim Landhaus und die zweite bei der Johanneskirche, bevor am Westfriedhof die dritte Einsegnung, die Beerdigung und die Grabreden (die anschließend ebenfalls in der Presse zu lesen waren) die letzte Fahrt Michael Mayrs beschlossen. Interessanterweise sind von diesem Ereignis bislang noch keine Fotos im Stadtarchiv verzeichnet; wir danken Herrn Hermann Sturmberger vom Dorfentwicklungsverein Adlwang für die Zurverfügungstellung.
Für ganz Spontane noch ein Reisetipp: Anlässlich des 100. Todestags findet am Sonntag in Michael Mayrs Heimatgemeinde Adlwang ein Thementag mit Messe, Vortrag und geführter Wanderung auf den Spuren des Verstorbenen statt. Kontakt: Hermann Sturmberger, h.sturmberger[at]gmx.at, 0664/2525190
(Bilder: Privatarchiv Maria Postlmayr)