Die Vermessung der Badehose
Das Titelbild gaukelt uns eine harmlose Sommerszene der Familie Brunner vor. Bekleidete Damen am Ufer scherzen mit badenden Verwandten am Lanser See. Dieses Idyll könnte aber bald nachhaltig zerstört werden, falls sich eine der abgebildeten Personen nicht an die Textil-Bestimmungen der Tiroler Badeordnung hielte. Dieser Gesetzestext versuchte, die hin- und herwogenden Bedürfnisse der Ordnung im extrem abgesteckten und vehement umkämpften Bereich der Züchtigkeit und des Anstands so zu formulieren, dass es außerhalb des Wirkungskreises der Sonntagspredigt irgendwie zum Lebens- und Arbeitsalltag der Menschen passte. Und wenn möglich auch noch ins 20. Jahrhundert. Beides gelang nur zum Teil.
In einem Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes dazu aus dem Jahr 1931 steht des schöne Satz zu aufgehobenen Absamer Sonderbaderegelungen: „Was überall im Bundesgebiet erlaubt ist, kann nicht in Tirol unsittlich sein“. Im gegenständlichen Falle ging es um die absurden Streitereien rund um die sogenannten Familienbäder. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als es bekleideten Männern und Frauen zu erlauben, am selben Tag ins Schwimmbad zu gehen. Im großartigen Badl von Mieders (das es noch gibt) hatte der Pfarrer ebenfalls 1931 die Abschaffung der unzüchtigen Familienbadetage verlangt. Der Gemeinderat tat ihm zunächst den Gefallen, dann aber bemerkte man dass das bei den Sommergästen schlecht aufgenommen wurde und hob das Verbot (mit Ausnahme des Sonntags) wieder auf. Aus dem schönen Oetz berichten die Neuesten Nachrichten schon 1929 unter dem Titel „Der Badekrieg in Tirol“ dass die Gemeinde zwar den Gästen das Familienbad gestattete, die Anwesenheit der Einheimischen aber im selben Bad ausdrücklich untersagte. Eine vormoderne Badeordnung vom Achensee sei, so der Artikel weiter, sei ohne jeden weiteren Kommentar im Berliner Salonblatt „Die Dame“ abgedruckt worden und schädige so die Fremdenverkehrswerbung.
Im Grunde ging es in diesen Jahren darum (und diese Zeit dauerte in Tirol bis weit in die 1980er), wer auf dem Dorfe das letzte Wort hatte. Der Pfarrer, so wie seit dem Konzil von Trient, die Nazis mit ihrem rassistischen Freikörperkult, die Juden mit ihrer Sexualisierung des Hl. Reproduktionsaktes (siehe nach bei Rupert Kerer), die Sozis mit ihrer offenen Ablehnung des naturgewollten Unterschieds von Mann und Frau oder gar der Fremdenverkehrsdirektor mit dem unchristlichen Primat des Freizeitvergnügens. Aufgerieben in diesem Konflikt wurde die Landes- und Gemeindepolitik und die ihr unterstellte Exekutive. In einer bezeichnenden Szene aus dem Lanser Seekrieg der Badehosenknöpfe schildert ein Einsender der Innsbrucker Neuesten Zeitung die behördliche Nachschau, ob es sich bei seinem textilen Feigenblatt um eine verbotene Dreieck- oder doch um eine vermeintlich erlaubte Sechseckhose gehandelt habe :
„Eine lächerliche Badekleidvorschrift.
Wir erhalten folgende Zuschrift: Ich gestatte mir, Sie von einem Vorkommnis zu unterrichten, das wieder so recht geeignet war, uns Erholung suchenden und in der Ausübung des Badesportes einen Akt von Körper-Kultur erblickenden Menschen die Freude daran durch eine eben herausgekommene neue „Badekleidvorschrift“zu vergällen. Als ich am Morgen des Fronleichnamstages an der Badekasse beim Lanser See eine Badekarte verlangte, wies der Kassier auf einen neben der Kasse aufgeklebten Zettel, der besagte, daß das Baden in sogenannten „Dreieckhosen“ verboten sei und bestraft würde. Er fragte mich auch, ob ich eine solche hätte, und ich zeigte ihm meine Klubhose vom Tiroler Wassersportverein, die übrigens ihrem Schnitte nach keine Dreieckshose ist, sondern sechs Ecken besitzt. Als ich ihm erklärte, daß bei unseren großen Vereinsveranstaltungen sogar der Landeshauptmann oder dessen Vertreter zugegen gewesen sei und bis jetzt niemals — auch von keiner anderen Seite — ein Einspruch gegen die wieder einmal verpönte „Dreieckhose“ erfolgt sei, meinte der Kassier, ich könne es auf eigene Verantwortung wagen, mit dieser Hose zu baden, jedoch müsse er mich aufmerksam machen, daß sich Gendarmen von der Durchführung und Einhaltung des Verbotes überzeugen würden. Und richtig! Als ich vom Sonnenbad herüberkam und beim Herrenbad hinein wollte, da hatte mich auch schon ein Gendarm gefaßt und mir erklärt, daß er mich mit einer solchen Hose aus dem Bade verweisen müsse. Er erklärte mir aber auch, daß nicht wir wegen des Tragens der Hose bestraft würden, sondern daß die Strafe die Pächter und Badbesitzer treffen würde, wenn sie den Badenden die Dreieckhosen weiterhin zu tragen erlaubten. Der Pächter sagte mir, daß diese Verordnung von der Bezirkshauptmannschaft herausgegeben worden sei und daß sie alle Badeanstalten in Stadt und Land betreffe. Sie sei ab1. Juni in Kraft getreten. Anscheinend haben auch die Geschäftshäuser in Innsbruck, die Badehosen verkaufen, Weisungen erhalten, keine„Dreieckhosen“ mehr zu verkaufen. Die Sache scheint also ziemlich im stillen, aber möglichst gründlich vorbereitet worden zu sein. Dieser neue Fall bildet eine traurige Vermehrung der vielen „Badegeschichten“, die man im heiligen Land Tirol während der letzten Jahre erlebt hat und wegen der man sich im Ausland über uns lustig zumachen leider nur zu oft Gelegenheit hatte. Möge diese einem lächerlichen Sittlichkeitskoller entsprungene Verordnung ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht ist!“
Beim inoffiziell ausgetragenen Wettbewerb um die rückständigste Gemeinde Tirols konnte schließlich das benachbarte Aldrans auch nicht weiter untätig zusehen und der dortige Gemeinderat beschloss 1930 mit der Errichtung des Badls am Herzsee gleich noch das Verbot der suspekten Familientage. Die sozialdemokratische Volkszeitung berichtete unter der Schlagzeile „Schweinereien am Herzsee“ belustigt und mit vielen Details. Unter anderem sollen die Bäder auch von „berüchtigten Weibern aus der Südbahnstrasse“ genützt worden sein, um ihr Publikum auch noch beim Schwimmen zu becircen.
Manche neugebauten Schwimmbäder wurden sogar Opfer von Vandalismus. Als man in den 1920er-Jahren in Steinach am Brenner zur Hebung des Fremdenverkehrs das Schwimmbad eröffnete, wurde es kurze Zeit später von Tätern mit großen Schweinebildern und den Lettern „Steinacher Sauausstellung“ angemalt…..
Ich versuche gerade mit Belustigung mir eine geometrisch richtige Dreieckshose vorzustellen. Je ein Knopfloch an zwei Ecken und an der dritten einen Knopf, damit zwischen den Beinen durch und an der Hüfte vorbei hinten zugeknöpft. Und dazu die Zirkusnummer des Zuknöpfens.