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Der Ruf Eines Wundermittels

Der Ruf eines Wundermittels

Was einem nicht alles ins Auge sticht… neulich war es eine Werbung im Allgemeinen Tiroler Anzeiger, die mich neugierig gemacht hat. Es handelt sich um die Anzeige für Nestlés Kindermehl, ein Nahrungsergänzungsmittel für Säuglinge und Kinder.
Das Produkt geht auf Henri Nestlé (1814-1890) zurück, der sich nach seiner Apothekerlehre in der Schweiz niederließ und dort Fuß zu fassen versuchte. Seinen Durchbruch schaffte er 1867 mit seinem Kindermehl-Rezept. Die Hauptbestandteile: Milch („beste Schweizer Kuhmilch“), Brot und Zucker. Unter anderem veranlasste ihn die hohe Kindersterblichkeit in diesem Feld ein Produkt zu entwickeln. Dazu kam, dass Nestlé per Zufall von einem Säugling erfuhr, der seine Nahrung nicht bei sich behielt. Als er sodann mit dem Kindermehl gefüttert wurde, erholte er sich rasch und der Ruf eines Wundermittels machte die Runde.
Heute würde man ein solches Nahrungsergänzungsmittel wohl nicht mehr seinen Kindern (und auch keinem Erwachsenen) geben. Das genaue Rezept des „altbewährten“ Kindermehls blieb unbekannt, aber zahlreiche Werbeschaltungen verhalfen zum wachsenden Erfolg:

Henri Nestlés Kindermehl enthält nach der in meinem Laboratorium angestellten Analyse in leicht assimilierbarer Form alle diejenigen organischen und unorganischen Stoffe, welche zur Bildung des Körpers erforderlich sind. Niederlage bei Herrn Eugen Eberlin zum „schwarzen Adler“ in Bozen.

Tiroler Volksblatt, 3.11.1875, S. 6

Für gesunde und kranke Kinder sowie Magenleidende. Verhütet und beseitigt Brechdurchfall, Diarrhoe, Darmkatarrh, erhältlich in jeder Drog. u. Apoth.

Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 24.08.1912, S. 10

Zwei Jahre später heißt es dann:

Sollen Kinder natürlich oder künstlich genährt werden? Nur natürlich, wenn es der Mutter irgendwie möglich ist. Erst im Notfalle und hauptsächlich zur Zeit der Entwöhnung, tritt ein künstliches Präparat in seine Rechte, dieses muss dann aber auch wirklich gut sein, damit es für ein gesundes und kräftiges Gedeihen der Säuglinge bürgt. Das einzig bekannte und von jedem Arzte empfohlene Kindernährmittel ist Nestlés Kindermehl, das in jeder Drog. und Apoth. erhältlich ist.

Allgemeiner Tiroler Anzeiger 25.10.1914, S. 12

Nicht vom jedem Arzte wohlgemerkt. Elf Jahre zuvor liest sich in den Innsbrucker Nachrichten noch eine konträre Meinung:

Man kann mit Genugtuung die Tatsache verzeichnen, dass bereits die Mehrzhal der Ärzte dahinter kommt, dass die Wirtschaft mit kondensierter Milch, Nestlés Kindermehl ec. der Kinderwelt im großen und ganzen schlecht bekommt und ihrerseits zur Unterhaltung der Massensterblichkeit erheblich beiträgt. Alle sogenannten Kindermehle und auch reines Weizenmehl sind wegen ihres großen Stärkemehlgehaltes für die Ernährung der Säuglinge in den ersten Monaten ganz ungeeignet.

Innsbrucker Nachrichten, 12.03.1903, S. 9-10

Letztendlich sah sich der Nestlé-Konzern erst viele Jahre später mit immer größeren Vorwürfen konfrontiert.


Titelbild: Werbeanzeige von 1914 (Signatur: 191404_1514024729981)

Text: Martina Pomaro

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