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Das Stinkt Doch Zum Himmel!

Das stinkt doch zum Himmel!

Ja, ich höre Sie schon tippen: „Das Bild hatten wir doch schon, mittlerweile sogar zwei Mal!“ Stimmt. Aber das war im September bzw. Dezember und wir haben intern entschieden, dass dieses Bild alle drei Monate einmal eingestellt werden muss, um zu testen, ob Sie uns noch aufmerksam folgen!

Himmelschreiender Blödsinn – natürlich.

Das Bild ist zwar nicht neu, aber es setzt halt den Akteur – Hans Fürbaß (auch Fürbass) – und den Ort – die Seilergasse 16 – ideal in Szene, mit denen die heutige Geschichte Ihren Ausgang nahm: „Am 17. Oktober 1912 um 1/2 12 Uhr vormittags“ erstattete Fürbaß nämlich Anzeige beim Marktkommissariat Innsbruck. Er hatte am Bahnhof „von B. Führer und Comp. Eierhändler in Bologna 1 Waggon Eier gekauft und in seinem Magazine eingelagert“. Bei näherer Begutachtung erwiesen sich die Eier jedoch als verdorben, weshalb Fürbaß um ein amtliches Gutachten ersuchte. Exakt drei Stunden später nahm die Behörde eine Untersuchung der im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stinkenden Eier vor. Der Befund liest sich vernichtend:

Stadtarchiv Innsbruck, Sanität, 1912, Zl. 37954 (Ausschnitt)

Und was nun? Im Jahr 2021 hätte wahrscheinlich nicht einmal so eine Untersuchung stattgefunden. Oder vielleicht doch, aus versicherungstechnischen Gründen. Um anschließend die ganze Ladung der Vernichtung zuzuführen. Nicht so vor 109 Jahren. Aufgrund des obigen Befundes beschlagnahmte die Behörde die Eier, um im städtischen Schlachthof eine weitere Untersuchung durchzuführen. „Die Eier wurden ausgepackt und vom Packstroh befreit.“ Und jetzt halten Sie sich fest: „Sämtliche Eier 77.760 Stück wurden einer Prüfung, Klärung, Sortierung unterzogen und wird hierüber folgender Befund abgegeben.“ Also:

Stadtarchiv Innsbruck, Sanität, 1912, Zl. 37954 (Ausschnitt)

Über 2/3 der geprüften Ladung wurde somit vernichtet . Was geschah mit dem Rest? Um den Verderb jener Eier zu vermeiden, die für den menschlichen Genuss noch als tauglich befunden worden waren, „wurden sie einem raschen Verkauf (der Versteigerung) zugeführt“. Rasch. Was bedeutet das, angesichts dessen, was wir oben über den Zusatnd der Eier lesen mussten? Man möchte meinen, innerhalb von 1-2 Tagen. Weit gefehlt! Die 8 1/2 Kisten Eier kamen fast 2 Wochen später, am 30. November 1912 – inklusive Ankündigung in den Innsbrucker Nachrichten – unter den Hammer! Und zwar durchaus erfolgreich, denn die Kisten mit je 1440 Eiern wechselten für 85 bis 98 Kronen den Besitzer, was den Schätzpreis von 60 Kronen doch deutlich übertraf. Die Fleckeier brachten in Summe 408 Kronen ein. Den Erlös nach Abzug aller Spesen – 1062 Kronen – bekam Fürbaß am 5. November 1912 ausbezahlt.

Seither hat sich natürlich viel verändert. Ich wollte eigentlich schreiben, dass Fleckeier in Teigwaren hoffentlich der Vergangenheit angehören. Zu viel recherchieren darf man aber nicht, sonst findet man Fälle, wie jenen im Mostviertel von vor gut einem Jahr. Natürlich ein Einzelfall. Dass sich die Einschätzung, was noch essbar und unbedenklich ist und wie man mit Lebensmitteln umgeht, geändert hat, kann man auch daran ablesen, dass die Problematik des Wegwerfens von Lebensmitteln quasi ein Dauerthema in den Zeitungen ist. Nicht erst seit dem vergangenen Jahr, in dem aufgrund der Lockdowns Tonnen von Lebensmitteln vernichtet werden „mussten“…

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer Bd. 34; Nr. 15; Sanität 1912, 616, Zl. 37954)

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  1. Wow – da gibt es am Nachmittag noch viel (und Interessantes) zu lesen!
    Schon wollte ich vorher, als ich das Bild sah, schnell schreiben: Das war schon einmal! Habe ich nun schnell gelöscht! haha

  2. 77000 Eier untersucht, 27.000 mehr als Luftbilder vorhanden (Ironie aus).

    Heute würde die Schlagzeile lauten: „Ehrbarer Innsbrucker Geflügelhändler fiel auf Internetbetrüger herein“ und die Ware wäre niemals angekommen. In den Analogzeiten mußte man immerhin noch einen echten Güterwaggon inszenieren. Darf ich raten? Der Preis war sicher irrsinnig günstig? Und damit nähern wir uns wieder der Schnäppchenseele der Gegenwart.

    Interessant, welche Mengen Eier Herr Fürbass innerhalb kurzer Zeit für absetzbar bzw. welche Lagerzeiten er für möglich gehalten haben muß. In diesem Kontext auch die neuere Meldung aus NÖ erhellend, wohin auch nur ein wenig weniger gealterte Eier gelangen. Rührei bestell ich mir im Hotel keines mehr zum Früchstück, und den Anpreisungen auf den Nudelpackungen begegne ich ab jetzt mit wissendem Lächeln.

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