Da rockt der Bär
Das Fotoalbum der Familie Nemec-Brunner hat einige spezielle Schätze zu bieten. Hier knipste der Fotoamateur einen Tanzbären in Igls, der sich in diesem Moment allerdings mehr für das Buschwerk zu interessieren scheint als für eine gelungene Pose. Leise Flüche des Bildautors beim Ausarbeiten des Fotos dürften unvermeidlich gewesen sein.
Heute im leicht barbituriert-saturierten Hauptschlafdorf des Innsbrucker Speckgürtels schwer vorstellbar, war Igls in den 1980er und 1990er Jahren Heimstätte einer der angesagtesten Diskos des Landes. Das von der Seefelder Gastro-Dynastie Kaltschmid betriebene Happy Night war so urban wie möglich und so hinterwäldlerisch wie nötig, um seinen Tanzpalast im Hotel Stern jedes Wochenende mit Nachwuchs-Travoltas, Möchtegern-Mendocinos, halblässigen nur-Zuschauern, guys&dolls von nebenan mit Damenschwipps, patscherten Polka-Könnern vom Polai-Bronzekurs, saturierten Rechtsanwaltssöhnchen im bringen-sie-die-ganze-Flasche-Konsumrausch, ätherisch-blassen Dorfschönheiten beiderlei Geschlechts, Kumpeltypen im Holzfällerhemd aus länger schon volltrunkenen Junggesellenabschieden, weitere Männer- und Frauengruppen ohne feste Bindungsabsicht, Ausdruckstänzerinnen in postpsychedelischer Selbstfindung, Schlägertypen im Standby, naturpeinlichen Poppern im Polohemd, marodierenden Macho-Mods auf der Suche nach einem klaren Gedanken, schlecht austrainierten Schmalspur-Rockern mit selbst gestochenen Tattoos, tapsigen Tschigg-Schnorrern, klemmigen Existenzialisten, krassen Kiffern mit glasigem Blick und einem Bein im Kriminal, bemitleidenswerten Mauerblümchen, anstrengenden Adabeis, halluzinierenden Haudraufs, monologisierenden Mondsüchtigen, querdenkenden Quartalssäufern und allen anderen ortsüblichen Figuren, die einfach gern im Lärm der DJs das Wochenende in netter Gesellschaft einläuteten, vollzukriegen. Vor der Tür standen die Exekutive und die Taxler bis spät in der Früh und brachten die ausgelassenen Tanz- und Fahrgäste zurück in die Gegenwart, die sich, frei nach Markus Werner, um diese Uhrzeit gelegentlich geschichtslos und seidig anfühlte.
Tanzbären waren in Tirol und anderswo keine Weltsensation, aber auch kein alltäglicher Anblick. Bei der Suche in Anno stößt man gelegentlich auf schwere Unfälle, die aber auf Unachtsamkeiten der Halter oder nicht eingehaltene Sicherheitsabstände zurückgeführt wurden.
Die Innsbrucker Nachrichten schreiben am 11. März 1869:
„(Zum Kapitel Haus-Bälle.) In einer nordischen Residenz circulirt fol-
gendes Bonmot:
Auf einer Tanzpartie beschäftigte sich einer der Eingeladenen,
ein junger Herr Namens Bär, ausschließlich mit der Vertilgung von Fruchteis,
ohne jemals seinen Pflichten als Tänzer zu genügen. Die Frau vom Hause
bemerkte dies sehr mißfällig und wendete sich darum mit den Worten an den
Sünder: „Erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie hier
nicht als Eisbär, sondern als Tanzbär eingeladen sind.“
Die Dame hatte Humor! Sie sind damit offensichtlich auch ganz gut ausgestattet, Herr Auer. Ein wirklich heiterer Start in den Tag!
Welche der herrlich treffenden Adjektiva des Tanzpublikums der auf Zigeuner getrimmte Bärenführer wohl ausgefaßt hätte ? – man kann nur raten.
Ob es dem Bären so viel schlechter gegangen ist als seinen Kollegen im Wald mit der ständigen Schafwolle zwischen den Zähnen – man kann nur raten.