Baldige Ehe und sonstige Extrawürste
Monogamie, Polygamie, Freundschaft-Plus und One-Night-Stands; zugegeben, vor allem meine Generation hat viele Begriffe und Konzepte für zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt, in denen die ein oder andere Zärtlichkeit ausgetauscht wird. Vor über hundert Jahren hatte man hierfür jedoch nur eine konkrete Vorstellung gehabt: die Ehe. Aber da es für eine Eheschließung immer zwei Menschen brauchte, ging man in den zeitgenössischen Zeitungen auf die Pirsch und suchte sich mittels Kontaktanzeigen sein Herzblatt. Wie diese Anzeigen aufgebaut waren, möchte ich euch in diesem Artikel präsentieren. Eines schon vorweg: Wer sich hier jetzt die pure Romantik erwartet, sollte nun wegklicken und sich einen Rosamunde Pilcher-Film zu Gemüte führen.
Zu finden ist die kompakte Partnerbörse in der Rubrik Allgemeiner Verkehr, dort tummeln sich die einsamen Herzen der Jahre 1900-1920, die nach den unterschiedlichsten Partnerinnen und Partnern fürs Leben suchten. Der Hauptzweck dieser Anzeigen ist kaum zu übersehen; man will so schnell wie möglich unter die Haube kommen, die baldige Ehe hatte demnach höchste Priorität. Um dies auch so schnell wie möglich zu erreichen, scheute man keine Kosten und Mühen sich selbst als der ideale Partner vorzustellen. Vom streng religiösen Fräulein, über den adretten Mann bis hin zum charismatischen und humorvollen Typ, für jeden schien etwas dabei zu sein und insgesamt glich die Partnerbörse einem Wettkampf um das Sakrament der Eheschließung.
Aber nicht nur die Selbstdarstellung war in so einer Anzeige wichtig, auch durften die eigenen Anforderungen an den Partner oder die Partnerin nicht fehlen. Der Glaube war besonders wichtig, meist suchte man nach katholischen oder evangelischen Gleichgesinnten, um der eigenen Kirche treu zu bleiben. Weiters war das Vermögen ein wichtiger Bestandteil solcher Annoncen; man warb entweder selbst mit dem eigenen Besitz oder nahm sich das Recht heraus eine gewisse Vermögenssumme zu nennen, die der Partner dann in die Ehe mitzubringen habe, charmant oder? Auch Rang und Name waren von höchster Bedeutung. Ein studierter Lehrer konnte nicht mit einer einfachen Waschfrau verkehren, nein nein, aus der bürgerlichen Klasse musste sie stammen. Aber wenn sich sonst keiner melden würde, dann wäre auch ein Fräulein aus niedererem Stande akzeptabel. Hauptsache man konnte sich irgendwie vermählen und Kinder wie am Fließband produzieren, so war zumindest mein Eindruck, nachdem ich mir einige solcher Anzeigen durchgelesen hatte. Manchmal taten sich auch zwei Freundinnen oder Freunde zusammen, um nach dem Liebesglück zu suchen und gaben zusammen eine Annonce auf, was vermutlich billiger zu sein schien als wenn sich jeder ein Stückchen Papier auf der Zeitung reserviert hätte. Ab und zu wurde auch um ein Sichtbild gebeten, welches natürlich wieder zurückgeschickt wurde. Was für uns heute fast normal ist, war damals eine seltene und exklusive Forderung. Die Optik war zweitrangig, doch streng katholisch/evangelisch musste man sein!
Auffällig ist auch, dass in den Jahren 1918-1920 vermehrt Frauen nach einem Partner suchten. Meistens waren es alleinerziehende und berufstätige Witwen, die auf der Suche nach dem erneuten Eheglück waren. Dies hing vermutlich mit dem hohen Verlust an Soldaten während des Ersten Weltkrieges zusammen, wobei viele Frauen ihren ersten Gatten an der Front verloren hatten.
(Verena Kaiser)