Studentenalltag um 1900 (II.)
Im letzten Beitrag hatte ich Ihnen bereits einige Ausschnitte aus der Autobiographie von Vincenz Brehm zu dessen Studienzeit in Innsbruck präsentiert. Heute möchte ich Ihnen noch weitere Einblicke in das Leben des Studenten Brehm um 1900 zu Gemüte führen. Brehm schildert in einem Abschnitt einen typischen Tag:
„Zum Glück ließ mir mein Studium keine Zeit für solche politischen Betätigungen. Oberhaupt spielte sich mein Leben in geradezu pedantischer Einförmigkeit ab. Nach dem bei der Hausfrau eingenommenen Morgenkaffee verbrachte ich den Vormittag im Kolleg oder im Laboratorium. In manchem Semester blieb eine Lücke von einer Stunde, die ich nutzte, indem ich auf dem am Innrain abgehaltenen Wochenmarkt ein Achtelkilo der vorzüglichen Teebutter oder Ötztaler Sennerei kaufte und dazu in einer Kaserne ein Stück Kommisbrot. Ein Sommersemester lang pflegte ich das Frühstück im Amraser Schloßkeller einzunehmen, ehe ich zu den Vorlesungen eilte. Es waren unvergeßlich schöne Stunden, wenn ich da bei Amselgesang meinen Kaffee genoß, den Blick auf die Nordkette gerichtet und gelegentlich der Philippine Welser gedenkend.
Mittags eilte ich aus dem Hörsaal oder Laboratorium gleich zur Monika Flunger und von dort dann auf einen Sprung in die Wohnung, um den Posteinlauf in Augenschein zu nehmen, der fast ausschließlich aus Briefen und Päckchen aus dem Elternhaus bestand – darunter allerdings manchmal selbst 5-kg-Pakete mit Süßigkeiten, Kuchen u.dgl. von daheim. Dann gings wieder ins Kolleg oder Institut, wo die Tätigkeit meist bis sechs oder sieben dauerte.
Auf dem Heimweg kaufte ich mir dann beim Hörtnagl gern kalten Aufschnitt, bei der Notburga Tyrler ein Stück Emmentaler und beim Bäcker Kohlegger drei Semmeln, welche Dinge daheim bei gutem Zipfer Bier, das die Hausfrau stets in Flaschen vorrätig hielt, zu Abend verzehrt wurden; auch wenn ich dann noch ausging, nahm ich nur ausnahmsweise das Essen in einem Gasthaus ein. Deshalb war der Einkauf meines eben geschilderten Nachtmahls eine so alltägliche Angelegenheit, daß mir daraus sogar ein Spitzname erwuchs. Im dichten Gedränge der Einkaufenden ungesehen hörte ich einmal beim Hörtnagl, wie ein Ladenmädchen zum anderen sagte: ‚Heute war ja der kalte Aufschnitt noch nicht da!‘ Als ich mich daraufhin etwas vordrängte, sah ich, wenn ich noch irgendeinen Zweifel gehabt hätte, an der verlegenen Miene des Mädchens, wen sie mit dem ‚kalten Aufschnitt‘ nur gemeint hatte.
Mit dem kalten Aufschnitt wurden auch die ‚Innsbrucker Nachrichten‘ als geistige Nahrung genossen, die Frl. Micheluzzi ebenfalls für mich bereithielt. Danach wurde vielleicht noch ein bißl studiert, aber nicht zuviel, denn ich liebte es, um 9 Uhr schlafen zu gehen. Vor dem Einschlafen genehmigte ich mir gern noch etwas vom Backwerk von daheim, oder, wenn dieser Vorrat aufgezehrt war, im Winter Keschten (Kesten, Kastanien), im Herbst aber sogenannte Erdbeertrauben. Es war dies eine Sorte, die man zu meiner Zeit billiger als die normalen Trauben bekam und die auch als etwas minderwertig galt. Aber gerade der eigenartige Geschmack dieser Sorte sagte mir zu, so daß ich die Erdbeertrauben (und die Muskateller) lieber kaufte als alle anderen.“
Wie Sie sehen spielt auch in diesem Ausschnitt die Kulinarik eine wichtige Rolle. Einiges schreibt Brehm in der Folge dann auch noch zu seinen Ausflügen in der Umgebung von Innsbruck und in Tirol, die er in seiner Freizeit aber auch für sein Studium (Botanik) unternommen hat und die politischen Auseinandersetzungen an der Universität (fatti di Innsbruck oder auch die Wahrmundaffäre), wobei er sich nach eigenen Angaben weitgehend aus diesen herausgehalten hatte.
Brehm arbeitete ab 1901 dann an seiner Doktorarbeit, die er über das Plankton des Achensees verfasste und kehrte anschließend in seine böhmische Heimat zurück, wo er vor allem am Gymnasium in Eger für fast 40 Jahre lehrte. Neben seiner Arbeit am Gymnasium war er als freier Mitarbeiter der biologischen Station in Lunz tätig, wo er sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch niederließ.
Die Erinnerungen von Brehm liegen zwar schon weit zurück, aber vielleicht deckt sich ja manches mit den Erinnerungen an Ihre Studienzeit oder Ihr Leben in Innsbruck, ich würde mich über Kommentare dazu freuen.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Sommer 3_098 Zitate aus: Vincenz Brehm, Aus meinem Leben. Autobiographie)