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Gedenk-Einsatz, 5. Mai 2025

Gedenk-Einsatz, 5. Mai 2025

Es ist kalt, es nieselt unlustig vor sich hin, die feuchte Kälte kriecht schnell in die Knochen. Doch die Männer und Frauen, die sich am 5. Mai in aller Herrgottsfrühe am Paschberg versammeln, sind wetterwiderständig ausgerüstet, bester Dinge — und bereit, einen ganz außergewöhnlichen Einsatz zu leisten.

„Danke, dass ihr gekommen seid“, sagt Richard Schwarz, der sich „desertieren. Ein Gedenk-Einsatz“ ausgedacht hat, „ohne euch wäre das alles nicht möglich.“

Das ist mehr als eine höfliche Floskel. Das performative Kunstprojekt lebt nicht nur davon, dass Richard Schwarz ein Team von vielfältig kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter den Schwingen seiner Marke islandrabe versammelt hat. Das Projekt entsteht und wirkt vor allem dadurch, dass sich Menschen aus der Zivilgesellschaft daran beteiligen, die im wörtlichen wie im übertragenen Sinn schwere Last der Erinnerung daran, was zwischen 1939 und 1945 am Paschberg geschah, zu schultern.

Sie nehmen einen 40 kg schweren Stein vom ehemaligen Steinbruch am südlichen Stadtrand auf und tragen — schleppen! — ihn über eine drei Kilometer lange Strecke mitten in die Stadt, wo er auf der Maria-Theresien-Straße einen Tag lang als temporäres Denkmal für jene Innsbrucker Deserteure der Wehrmacht dient, die zum Tode verurteilt und am Paschberg erschossen wurden.

desertieren. Ein Gedenk-Einsatz“ ist das Siegerprojekt 2025 der Reihe „gedenk_potenziale“ der Stadt Innsbruck. Richard Schwarz hat eine Gruppe von Opfern bzw. ein Thema in den Blick genommen, das in der Erinnerungskultur nach wie vor meistens lediglich als Leerstelle präsent, und jedenfalls sehr umstritten ist: die Deserteure der Wehrmacht.

Der Stein kommt in der Maria-Theresien-Straße an, wird auf sein Podest gehievt. Viele Menschen, Einheimische wie Touristen, bleiben stehen, schauen, fotografieren, fragen nach der Bedeutung dieses temporären Denkmals. Helferinnen und Helfer erklären in allen Sprachen, derer sie mächtig sind, dass dadurch die verschüttete Erinnerung an vergessene Nazi-Opfer ans Tageslicht geholt und mitten in die Stadt gebracht wird. Und sie verteilen eine besondere Art von Flyern, die Richard Schwarz für diesen Tag vorbereitet hat: ein Sterbe- bzw. Andenken-Bildchen für „den unbekannten Deserteur“, das daran erinnert, dass den Familien von hingerichteten Deserteuren bei Strafe verboten war, in irgendeiner Form öffentlich ihrer Toten zu gedenken.

Um die Mittagszeit ist es in der Stadt fast trocken, dafür eisig windig. Durch die geöffneten Türen der Alten Spitalskirche strömt Orgelmusik auf die Maria-Theresien-Straße hinaus: Der Innsbrucker Musiker Benedikt Unterberger lädt mit seinem Stück „Cantus Lapis“ (Steingesang) zu einer Reihe von Informationsgesprächen in der Kirche. Der Zeithistoriker (Philipp Lehar), der Bundesheer-Offizier (Herbert Bauer) und der in der Erinnerungskultur engagierte Bürger (Roland Irnberger) ducken sich nicht weg, sondern stellen sich dem Thema, teilen ihre Perspektiven, Einschätzungen und Erfahrungen.

Da ist über den Tag verteilt viel wohlwollendes Interesse und ein ehrliches Ringen aller Beteiligten darum, ein komplexes Thema nicht mit simplifizierender Schwarz-Weiß-Malerei zu erschlagen. Da werden viele kluge Gedanken formuliert und Schmerzen benannt, die über Generationen nachwirken. Da ist das gemeinsame Bekenntnis dazu, dass unterschiedliche Standpunkte keine Bedrohung darstellen, sondern auszuhalten sind und im besten Fall zu einer Erweiterung des jeweils eigenen Horizonts führen können.

Und da sind viele berührende persönliche Momente, die Teammitglieder und Besucherinnen und Besucher miteinander teilen.

Der Tag des Gedenk-Einsatzes neigt sich seinem Ende zu. Gegen 16 Uhr wird es Zeit, das Eintages-Denkmal wieder abzubauen, und pünktlich beginnt es auch wieder stärker zu regnen. Dennoch sind auch jetzt noch genügend Freiwillige da, die den Stein auf seinem Tragegestell schultern und an seinen Ursprungsort, den stillgelegten Steinbruch am Paschberg, zurückbringen.

Wer dort künftig beim Spazierengehen oder auf dem Mountainbike zufällig vorbeikommt, dem wird auch weiterhin nichts Besonderes auffallen. In den Köpfen derer, die beim Gedenk-Einsatz dabei waren, wird das temporäre Denkmal allerdings noch lange seinen fixen Platz haben.

Weitere Einblicke und Informationen wie z.B. eine Fotodokumentation und die Audioreportage „Erinnerungsstatus: kompliziert“ finden Sie auf der Projektwebsite: desertieren.info

Bereits im Vorfeld zum Gedenk-Einsatz am 5. Mai 2025 berichtete der Beitrag „Ehemaliger Steinbruch, ehemalige Hinrichtungsstätte“ auf „Innsbruck erinnert sich“ über die historischen Hintergründe des Projekts.

(Foto: Der Stein wird für den Transport vorbereitet, 5. Mai 2025; Credit: Günter Richard Wett)

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