Allerseelenblüten in Kriegszeiten
Vor Allerheiligen und Allerseelen macht sich geschäftiges Treiben auf den Innsbrucker Friedhofen – und bei den Floristen – bemerkbar. Kunstblumen, Gestecke und – Züchtung, Glashäuser, Globalisierung und Erderwärmung machen es möglich – winterharte Naturblumen sorgen auch in der kalten Jahreszeit für bunten Schmuck auf den Gräbern.
Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs schlug Gräfin Rosa Mels-Colloredo im September 1914 per Brief an verschiedene Zeitungen vor, die Verstorbenen in diesem Jahr durch Gräberbesuch und Kerzen zu ehren, aber „ehrlich den Betrag für die Kranzspende, ob klein oder gross ganz gleich […] für das Rote Kreuz widmen – dann würden sich auch gewiss unsere verblichenen Angehörigen im Grabe freuen über diese Liebesgabe!“ Die Bedürfnisse des Krieges erforderen Einigkeit; nicht das Wirken einzelner, sondern „die Macht der Volksmasse„. Und so appelierte sie: „Winden wir am Allerheiligen- und Allerseelentage also diese Spenden […] durch mächtige Summen, zu einem großen nationalen Kranze, den wir auf den Friedhöfen niederlegen als schönste Gabe des Vergangenen an das Zukünftige!“ (NFP, 20.9.1914, S. 7)
Der Vorschlag rief umgehend Protest hervor und zwar – wenig überraschend – jenen der betroffenen Wirtschaftstreibenden. Sie wiesen darauf hin, dass ein Verzicht auf Gräberschmuck zahllose Kleinunternehmen und Einzelverkäuferinnen um den dringend benötigten Lebensunterhalt bringen würde. (NFP, 23.9.1914, S. 6). „Das ist nicht die richtige Art des Wohltuns, die mit einer Hand Wunden zu heilen sucht und mit der anderen Wunden schlägt,“ meldete sich deshalb auch die Genossenschaft der Blumenhändler und Kranzerzeuger zu Wort. (NFP, 25.9.1914 Abend, S. 3)
Für eine Lösung sorgte das Kriegshilfsbüro im Ministerium des Innern: Es beauftragte die Wiener Kunstblumenhersteller mit patriotisch ausgeführten Allerseelenblumen, welche „die Idee des Roten Kreuzes durch die Gestaltung der roten Staubfäden auf weißem Grunde oder schwarzer Staubfäden auf gelbem Grunde zum Ausdruck brachte[n]“. Diese wurden in der Presse beworben und österreichweit durch die Blumen- und Kunstblumenhändler verkauft, denen 6 Heller vom Verkaufspreis blieben, während 8 Heller an die Offizielle Kriegsfürsorge flossen. 281.000 solcher Allerseelenblumen seien im Oktober 1914 verkauft worden, berichtete der Leiter des Kriegshilfsbüros, Eduard Prinz Liechtenstein, 1915 in einem Vortrag über dessen Tätigkeit (S. 24-25).
Abgesehen von der Ankündigung in den Innsbrucker Nachrichten (4.10.1914, S. 6) scheint die Aktion in der hiesigen Lokalpresse wenig medialen Widerhall gefunden zu haben. Ein kurzer Artikel wies wenig später darauf hin, dass die Allerseelenblumen im Laden von Ludwig Pristinger in der Pfarrgasse 3 erhätlich seien. (IN, 8.10.1914 S. 6) Pristinger schaltete im Oktober mehrmals ein schlichtes Inserat, in dem er für sich warb:
Da das Kriegshilfsbüro die Allerseelenblume als Erfolg betrachtete, wiederholte es die Aktion ein Jahr darauf. 1915 wurden sogar fünf verschiedene Blumen in Umlauf gebracht, wie einer Verlautbarung in der Innsbrucker Neuesten vom 29. September zu entnehmen ist (S. 3). Leider hat keine davon den Weg ins Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck gefunden; in der Online Sammlung des Wien Museums können Sie jedoch ein Exemplar einer Allerseelenblume von 1915 bewundern.
Dieser Vorschlag und seine Umsetzung verdeutlichen sehr anschaulich eine zentrale Entwicklung während des Ersten Weltkriegs: Das Hinterland formte sich innerhalb weniger Wochen nach Ausbruch des Krieges in eine, die Kriegsfront unterstützende sogenannte „Heimatfront“ um. Treibende Kraft waren vor allem in der Anfangszeit weniger staatlihe Verordnungen sondern immer wieder Initiativen aus der Bevölkerung, die mit Hilfe der Presse vorangetrieben wurden. Die Kriegsfürsorge stellte unter dem Mantel der Wohltätigkeit eine zentrale Plattform zur Ausbildung der Heimatfront dar.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Fir-615)