Vom Fuhrwerk zum Kraftfahrzeug
Wenn man zur Zeit durch Innsbruck spaziert sollte man die Augen besser offen halten. Neben tiefen Gräben und allerlei Baumaterialien sind es vor allem Lkws und Bagger die den Spaziergang zum veritablen Slalom machen können. Über Werkzeug und Löcher konnte man auch damals beim Kanalbau 1903 – 1906 stolpern, aber Pkws geschweige den Lkws durfte man damals vergeblich suchen. Vielmehr wurden Fuhrwerke mit vorgespannten Pferden, so wie auch eines auf unserem Bild zu sehen ist, verwendet, um Geröll und Baumaterialien von A nach B zu transportieren. Zwar war ein im damaligen Wortlaut „selbst fahrendes“ Fahrzeug ab 1894 schon kommerziell erhältlich, dennoch war das Automobil zum Zeitpunkt des Kanalbaus noch eine ziemliche Rarität in Innsbruck.
Nur wenige Jahre vor der Entstehungen unseres Bildes, nämlich 1896 flitzte der erste serielle „Kraftwagen“ über die Straßen der Alpenstadt. Man kann sich vorstellen, was so ein fremder Anblick mit so einer ungewohnten klanglichen Begleitung in der Stadt für eine Aufsehen verursacht haben muss. Sofort habe sich laut mehreren Berichten eine riesige Menschenmenge um das Auto versammelt und das Fahrzeug wurde auf seiner ganzen Fahrtstrecke von Schaulustigen umringt, nachdem es von Louis Salcher vom Innsbruck Frachtenbahnhof abgeholte worden war. Dass ein Automobil für die Tiroler Bevölkerung noch völliges Neuland bedeute, zeigte sich auch daran, dass das Fahrzeug zuvor mehrere Tage am Bahnhof gestanden hatte und nicht vom Fleck bewegt werden konnte, da sich niemand gefunden hatte der in der Lage gewesen wäre so eine Maschine zu lenken. Eine Gruppe von Kaufmännern hatte es sich im selben Jahr nämlich in den Kopf gesetzt, sich gemeinsam ein Automobil anzuschaffen, um Spritztouren in der Gegend um Innsbruck veranstalten zu können. Was die illustre Runde dabei aber scheinbar nicht bedacht zu haben schien, war, dass es dafür auch jemanden brauchte, der wusste wie so ein Fahrzeug zu bedienen sei. Nach einigen Tagen hatte man aber schließlich jemanden gefunden der sportlich und technisch versiert genug erschien um das Auto heil zu seinen Besitzern kommen zu lassen. Der schon zuvor genannte Louis Salcher durfte dass Gefährt danach auch weiter benutzen, und so konnte man ihn des Öfteren beobachten, wie er, jedes mal begleitet von staunenden Blicken, durch die Innsbrucker Peripherie flitzte.
Ganz so ernst dürfte er es dabei aber mit der bestehenden Straßenverkehrsordnung nicht genommen haben, denn kurze Zeit später wurden auch die Innsbrucker Behörden auf ihn und seine Ausflüge aufmerksam. Zwar gab es damals noch keinen verpflichtenden Führerschein in der Form wie wir es heute kennen, dennoch war gesetzlich eine sogenannte Automobilführerprüfung vorgesehen, die es jemanden erlaubte ein Fahrzeug zu bedienen. Jedoch stellten sich auch in dieser Hinsicht wieder aufgrund die Novität des Automobils einige Schwierigkeiten dar. So gab es in der ganzen dafür zuständigen Behörde etwa niemand der sich nur ansatzweise mit der Benützung oder der technischen Funktionsweise eines Autos auskannte. Wie sollte man nun jemanden prüfen, wenn einem selbst das nötige Wissen fehlt? Nach einiger Überlegung dürfte aber plötzlich einen der Beamten ein wahrer Geistesblitz gekommen sein. Wenn man selbst nicht in der Lage war so ein Fahrzeug zu bedienen, müsste man doch nur jemanden kommen lassen der sich damit auskennt. Derjenige würde es den Zuständigen beibringen und diese könnte dann künftige Fahrer abprüfen. Doch wer wäre dafür geeignet? Die Lösung schien ganz einfach. So lud man den selben Louis Salcher der am Nachmittag eine Fahrprüfung absolvieren sollte, schon am Vormittag in die zuständige Behörde, damit er dann den zuständigen Beamten die nötigen Grundbegriffe beibringen konnte um ihn nachher prüfen zu können. So passierte es also, dass der Prüfling kurz zum Lehrer wurde nur damit sich wenige Stunden später der Spieß noch einmal drehte und so seine staatliche Fahrprüfung trotzdem noch stattfinden konnte. Louis Salcher hat daraufhin übrigens, wenig überraschend seine Prüfung mit Bravour bestanden.
Ach ja, bei dem ersten Fahrzeug auf den Straßen Innsbrucks hat es sich um einen Kraftwagen der Firma Benz gehandelt, geeignet „für vier Personen mit (einem) rückwärts eingebauten einzylindrigen Motor mit Riemenübersetzung“ .
Noah Reinisch