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Das Rote Innsbruck

Das Rote Innsbruck

… gab es das jemals? Wenn man sich die Wahlergebnisse der Zwischenkriegszeit ansieht, stellten die Sozialdemokraten in der Arbeiter- und Handwerkerstadt Innsbruck eine starke aber leise relative Mehrheit. Das Innsbrucker Wahlrecht hatte den etwas unübersichtlichen Usus, immer nur die Hälfte der Wahlkreise alle 2 Jahre zu wählen. Am 28. April 1929 zum Beispiel ging die Wahl so aus:

ParteinameStimmenProzent
Sozialdemokraten 1401639,46
Volkspartei1031529,04
Großdeutsch595416,76
Angestelltenpartei13653,84
Hausbesitzerpartei10853,05
Schulzpartei2770,78
Hitlerpartei2020,57
Kommunisten 1060,30
leer12163,42
ungültig9842,77

Schon unglaublich, wie wenige Stimmen die völlig zerstrittene Innsbrucker NSDAP da bekommen hat.

Auf dem Titelbild sieht man den sozialdemokratischen Nachwuchs. Walter Kreutz hat „Sozialistische Arbeiterjugend Pradl 1932“ auf der Rückseite vermerkt, leider fehlen die Namen der vergnügt und selbstbewusst ins Bild schauenden jungen Leute. In den katholischen und liberal-nationalen Tiroler Blättern werden diese Gruppen nur erwähnt, wenn es etwas gegen sie zu berichten gibt. Die sozialdemokratische Volkszeitung ist ja neuerdings in der Tessmann online, allerdings sehr grieselig gescannt und wohl daher ohne OCR.

Kurze Zeit später ist das gesamte sozialdemokratische Parteispektrum in Österreich verboten. Klüger hat da der (sozialdemokratisch dominierte) Gemeinderat in Hötting agiert. Als sich Reibereien um die Benützung des Spielplatzes beim Alten Friedhof ergaben, teilte man die Benützungs-Tage nach nationalen, katholischen und sozialdemokratischen Jugendorganisationen auf:

Tiroler Anzeiger 2. Juli 1929
Dieser Beitrag hat 8 Kommentare
  1. Ein interessantes Bild aus den letzten Jahren der Demokratie in der 1. Republik.

    Links oben steht als Datierung die spiegelverkehrte Jahreszahl 1933. Bereits ein Jahr später, nämlich 1934, wurde die Sozialistische Arbeiterjugend in Österreich aufgelöst. Eine Nachfolgeorganisation gab es dann erst wieder 1945.

    Von den jungen Männern sind wohl bestimmt etliche Personen im 2. Weltkrieg nicht mehr zurückgekommen.

  2. Das bedrückende an diesem Foto ist das Wissen um die Zeit, in die sie schon bald hineingeraten werden. Wer von ihnen nach dem Krieg in einer politischen Funktion wieder aufgetaucht ist? Schade, daß die Namen nicht bekannt sind. Möglicherweise wurden sie im Zusammenhang mit dem Foto gar nie aufgezeichnet.

    1. Einen Namen kann ich beisteuern: Josef Kunst (zweite Reihe, Zweiter von rechts), Gewerkschaftsfunktionär, Nationalratsabgeordneter, Bruder von LH-Stellv. Karl Kunst, war mit der Schwester meiner Großmutter mütterlicherseits verheiratet.

      1. Vielen Dank Frau Maislinger. Ich bin der Biografie des Karl Kunst immer wieder begegnet, dass sein Bruder Josef auch im Nationalrat war hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Haben Sie gesehen? Wikipedia würde sich ein Foto (wahrscheinlich eines aus späteren Jahren) von Josef Kunst wünschen.
        https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Kunst

        Der Name Josef dürfte in der Familie laut den Adressbucheinträgen von 1901 bis 1976 in jeder Generation vergeben worden sein:
        https://www.innsbruckerinnen.at/suche.php?name=kunst+josef&beruf=&strasse=&nummer=&jahr1=1897&jahr2=1976&limit=1000&was=name

      2. Karl und Josef Kunst hatten ja noch eine Schwester Maria Anna Katharina Knechtelsdorfer geb. Kunst, Jahrgang 1912 und verstorben 2011 in Innsbruck.
        Vom Alter her könnte Maria Kunst vielleicht auch auf dem Foto sein.

  3. Der Tiroler Anzeiger schreibt am 11. November 1927 über die „Rote Hochburg“ Pradl:

    „Die sozialdemokratische Parteisektion Pradl erläßt
    in der „Volkszeitung“ folgenden Aufruf:
    Der 12. November soll nicht nur festlich begangen wer­-
    den durch Demonstration, sondern der 12. November soll
    auch, und zwar der Reaktion zum Trotz, durch ein fest­-
    liches Kleid der Häuser dem internationalen Faschismus
    deutlich sagen, daß das Proletariat nicht gewillt ist, auch
    nur einen Finger breit von den Errungenschaften auf so­-
    zialer und politischer Basis sich abringen zu lassen. Die
    Vertrauensmänner von Pradl ersuchen daher die sozia­-
    listisch und republikanisch gesinnte Arbeiterschaft dieses
    Stadtteiles, den 12. November dadurch festlich zu kleiden,
    indem sie die Fenster ihrer Wohnungen mit Reisiggirlan­-
    den, Blumen, Papierfähnchen usw. geschmackvoll
    dekorieren. Die Vertrauensmänner sind überzeugt, daß
    bei einigermaßen gutem Willen, bei geringen oder nahezu
    keinen Auslagen es möglich sein wird, der Vorstadt Pradl
    ein festliches Kleid an diesem bedeutenden Tage der Ar­
    beiterschaft zu geben. Wir bitten daher die ganze Arbeiter­-
    schaft von Pradl, uns in diesem Aufrufe sreudigst zu un­
    terstützen und ihre Fenster am 12. November in obigem
    Sinne zu schmücken, um so der Reaktion zu beweisen, daß
    Pradl nach wie vor die Hochburg der sozialistisch und re­-
    publikanisch denkenden Arbeiterschaft ist.
    Die sozialdemokratische Parteisektion Pradl ließ
    diesen Aufruf auch den meisten Wohnungsinhabern—
    selbst vielen nichtsozialdemokratischen— Zustellen. Wir
    sind der Ueberzeugung, daß die „Genossen“ diesem
    Ausruf getreu entsprechen werden. Die Schmückung
    der Fenster wird auf diese Weife eine deutliche Illu­-
    strierung zu den Wahlergebnissen des letzten Früh­
    jahres werden. Wir laden die bürgerlich gesinnte Be­-
    völkerung und besonders die Herren Gemeinderäte
    der anderen Stadtteile herzlich ein, am Staatsfeiertag
    die Vorstadt Pradl zu besuchen und sich so einmal den
    unstreitbar schönsten Teil unserer Stadt in roter Auf­
    machung anzusehen. Besonders sei diesen Besuchern
    die Pembaur- und Amthorstraße, wo von den Steuer­-
    geldern der Stadt die städtischen Wohnungsbauten
    nach Wiener Muster entstanden sind, zur Besichtigung
    empfohlen. Nach dem Wahlergebnis dürften minde­-
    stens zwei Drittel aller Fenster in Pradl in geschmack­-
    voller Dekoration zu sehen sein. Darum versäume nie­-
    mand, diese außerordentliche Sehenswürdigkeit zu be­
    wundern. Hoffentlich werden die Papierfähnchen nicht
    naß.“

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