Historikertag in Innsbruck
Kleine und große wissenschaftliche Konferenzen und Tagungen finden derzeit pandemiebedingt nur selten oder eben nur virtuell statt, ansonsten zählen sie aber zum fixen Bestandteil der Tätigkeit von Historikerinnen und Historikern. Einen gewissen Höhepunkt im deutschsprachigen Raum bildet dabei stets der Historikertag, der seit 1893 in unterschiedlichem zeitlichen Rhythmus meist im September abgehalten wird. Heuer findet er, mit einem Jahr Verspätung, in München statt.
Bereits in seiner Frühzeit war der Historikertag auch in Innsbruck zu Gast, nämlich im Jahr 1896 als der vierte Ausgabe, damals als „IV. Versammlung deutscher Historiker“ bezeichnet, Station in Innsbruck machte. Vom 11. bis zum 14. September trafen sich hier mehr als hundert Fachvertreter, um die neuesten Forschungen vorzustellen und zu diskutieren. Der Kongress wurde am 11. September von Prof. Ferdinand Kaltenbrunner, dem Vorstand des organisierenden Ortskomitees, im Gasthof zum Grauen Bären eröffnet. In den kommenden drei Tagen fanden jeweils am Vormittag und Nachmittag verschiedene Sitzungen im kleinen Stadtsaal statt, bei denen in Vorträgen aktuelle Forschungen vorgestellt wurden. Wie auch heute üblich gab es überdies einen Abendvortrag. In diesem Fall gestaltete diesen der damals in Innsbruck wirkende Professor für österreichische Geschichte Josef Hirn. Er sprach über den „historischen Boden Innsbrucks“ und führte seine Fachkollegen und die anwesenden Gäste, wie etwa Erzherzog Ferdinand Karl, in die bewegte Geschichte der Stadt am Inn ein. Ein ausführlicher Bericht über diese „Glanzleistung ersten Ranges“ findet sich in den Innsbrucker Nachrichten.
Zumal der Kongress nicht nur dazu diente, sich über fachliche Fragen auszutauschen und neue Projekte anzustoßen, sondern auch persönliche Kontakte zu knüpfen, planten die Organisatoren neben den gemeinsamen Abendessen und einem Galadiner auch mehrere Ausflüge ein. Diese führten die Historiker und die vielfach sie begleitenden Ehefrauen nach Igls und nach Hall.
Wie auch heute spiegeln solch große Kongresse immer auch aktuelle Fragenstellungen in den Geschichtswissenschaften wider. Auch wenn es damals – anders als heute – kein übergeordnetes Thema gab, so lassen die behandelten Themen oder auch die Festreden und Toasts den Zeitgeist erkennen, wobei zum Großteil deutschnationale Töne die Stimmung beherrschten. Inhaltlich waren es vor allem die Vorträge zur Frage nach der Aufgabe der wissenschaftlichen Akademien und geschichtswissenschaftlicher Großprojekte, die viel diskutiert wurden. Großes Aufsehen erregte auch der Vortrag des Innsbrucker Althistorikers Rudolf von Scala, der zur Frage von „Individualismus und Socialismus in den Geschichtswissenschaften“ sprach. Ausgehend von damals aktuellen Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaft sprach er sich dahingehend aus, die Geschichtsschreibung für die Entwicklungen abseits der politischen Geschichte zu öffnen, Geschichte ganzheitlich zu erfassen und auch die Kulturgeschichte sowie die materiellen Faktoren in die historische Betrachtung einzubeziehen. Wie andere Forscher zu dieser Zeit forderte er, die Betrachtung einzelner (großer Männer) der Erforschung der Gesellschaft, Kultur und der wirtschaftlichen Entwicklung entgegenzusetzen und sprach sich somit für ein Konzept aus, das erst langsam Fuß fassen aber die Geschichtswissenschaft nachhaltig verändern sollte.
(Innsbrucker Nachrichten, 15. September 1896)