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8 Monate Anno 1902 (7)

8 Monate anno 1902 (7)

Heute setzen wir den letzte Woche begonnenen Ausflug vom 7. März 1902 nach Kranebitten fort, samt Bewunderung für die Allerheiligenhöfe und Loblied an die Natur. Es folgte der ebenfalls fußläufige Rückweg, unter anderem durch „die langweilige Mariahilferstrasse„, denn die oben abgebildete Mittenwaldbahn wurde erst 10 1/2 Jahre nach Maries Tagebucheintrag eröffnet. Hieß die Haltestelle eigentlich tatsächlich einmal „Allerheiligenhöhe“ oder hat sich auf dieser Postkarte ein Tippfehler eingeschlichen?

– Mit kaum merkbarer Steigung schritten wir vorwärts; an den mannigfachen sich rechts erhebenden Sand- oder Felshügeln lehnten stolze Bauernhäuser. Am besten gefielen mir 2 nebeneinanderstehende, welche uns Frau Wollek als „Allerheiligenhöfe“ bezeichnete, knapp oberdenselben blinkt die lustige „Puzihütte“ ins Thal. Der große Haupthof kehrt sich mit seiner Stirnseite nach Süd u. seine Fenstern spiegeln den Sonnenstrahl; sind ja 6 Fenster in einer Front u. hat der Hof die seltene Höhe von 3 Stockwerken u. einem Erdgeschoss. Jedes Stockwerk zeigt eine andere gemalte Verzierung der Fenster, kurz, es macht den Eindruck eines herrschäftlichen Lehens. Die den Hof burartig einschließende hohe Mauer kann diese Vermuthung nur bestärken. Wirklich eine anheimelnde Stätte! – Nun kommen wir an den Beginn eines Waldes; Hr. Wollek u. Onkel entdecken als erste (sie giengen ja auch voraus) blühende Anemonen. Wir pflückten ein kleines Sträußchen davon, dann mengte ich ein Epheuränkchen hinein, dann die gelben Blütenfäden des Haselnussstrauches, dann einen duftigen Föhrenzweig, einen Wacholdergipfel, u. viele, viele Zweige blühendes Haidekraut. Beim Anblick diese lenzesfrischen Blumensträußchen überkamen mich auch Lenzesgedanken. Ja, der Herr sprach wieder sein „Es Werde“ u. es wurde – Frühling! Unter den Büschen leuchten weiße, rothe und blaue Anemonensternchen, rein und schuldlos blicken des Frühlingssafrans weiße Kelche aus dem Moose, Veilchen duften in die Welt, würziger Waldesgeruch zieht durch die Luft; fort ist der Felder blendend Kleid, nur Berg und Alp, die hohen Majestäten, schmücken sich noch mit den königlichem Hermelin, – es ist Frühling!!! Mitten durch diese Herrlichkeit schritten wir, bewundernd, plaudernd u. manchmal schweigend. So neigten wir uns langsam der Straße zu und 3 Uhr hatten wir unser Ziel erreicht. Wir traten ins freundliche Gastzimmer u. stärkten uns bei einem ausgezeichneten Caffee. Margreth und ich giengen dann ins Freie u. ich skitzierte das Kirchlein von Kranebitten. Es wäre hier wohl viel zu zeichnen und zu malen; man weiß kaum, was schöner ist, der Berge glänzende Zacken oder die zerstreuten Bauernhäuschen oder das gegenüberliegende Völs mit dem freundlichen Kirchlein von St. Blasius in der Höhe? – Nicht allzulange verblieben wir draußen, denn um 4 Uhr traten wir den Heimweg an, u. zwar übers Feld neben dem „Pulverthurm“. Dadurch kamen wir dem blauen Inn ziemlich nahe, u. auch ihn bewunderten wir. Ein starker Ostwind machte sich fühlbar, wir schritten aber nur um so rascher vorwärts, u. als wir endlich die langweilige Mariahilferstrasse hinter uns hatten, langten wir auch schnell zuhause an. Wir hatten zum Heimweg 1 1/2 Stunde gebraucht. Margreth kochte nun schnell, l. Tante Anna u. ich zogen uns zu dem heute abends stattfindenden Mitgliederkonzert des Musikvereins an. Beim Conzert sah ich von der Ferne auch die l. Mama u. Josephine. Das Conzert war sehr hübsch, Erica Wedekind sang vortrefflich.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling); Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-30667)

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
  1. In den Zeitungsarchiven findet sich der Suchbegriff „Allerheiligenhöhe“ kein einziges Mal. Es dürfte sich demnach wohl mit 99,99%iger Wahrscheinlichkeit um einen Druckfehler handeln…..

    Die betreffende Gastwirtschaft Holzmann ging später in Konkurs und wurde 1916 versteigert. In der Versteigerungsbekanntmachung heißt es ausdrücklich:
    „Zur Konkursmasse gehören vor allem der Äußere Saurweinhof und der Ziegelstadelhof (Allerheiligenhöfe); auf letzterem befindet sich die Gastwirtschaft „Allerheiligenhöfe“, unmittelbar bei der gleichnamigen Haltestelle der Mittenwaldbahn.“

    https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tan&datum=19160429&query=%22allerheiligenh%c3%b6fe%22&ref=anno-search&seite=12

  2. Was für ein wunderbarer Zufall, lieber Herr Bürgschwentner:

    Marie schreibt im Tagebuch interessanterweise „ich skitzierte das Kirchlein von Kranebitten“….. und genau diese Zeichnung vom 7. März 1902 befindet sich im Stadtarchiv unter der Signatur Bi-k-1342!

    1. Tatsächlich! Sensationell! Das Bild wurde sogar 2008 als Kalenderblatt verwendet! Wie sind Sie denn da wieder drauf gestoßen, Herr Auer!? Ich habe jetzt in unseren Beständen noch ein paar Einzelstücke gefunden – den Provenienzen und Eingangsdaten nach dürfte der Nachlass von Marie Grass-Cornet ziemlich verstreut sein, gut möglich, dass immer wieder solche wunderbaren Zufallsfunde auftauchen…

      1. Sehr interessant! Beim Stöbern in verschiedenen Quellen bin ich zufällig auf diese Zeichnung gestoßen und konnte auf Grund der Datierung „7. März 1902“ den Konnex zum Tagebuch herstellen.

        Einige schöne Stücke befinden sich auch im Ferdinandeum. Zum Beispiel ein Exlibris von Nikolaus Grass mit dem Motiv „Poschhütte am Tulferberg“, gezeichnet von Marie Grass Cornet 1961…. Die Bibliotheks-Signatur lautet FB 148771. Dieses Exlibris wäre wohl eine gute Illustration für noch kommende Tagebuchnotizen zur Poschhütte bzw. Wetterburg….

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