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8 Monate Anno 1902 (61)

8 Monate anno 1902 (61)

Nachdem das Schloss gestern bzw. letzte Woche geschlossen hatte, folgt heute der nächste Versuch. Á Versailles, also! Und während die lesenden Augenzeugen Maries Beschreibung wahrscheinlich folgen können, liegen dazwischen verschwundene Sehenswürdigkeiten. Der Name Trocadéro ist durch die Gärten und den Platz noch ein Begriff, der gleichnamige Palast aber seit 1937 Geschichte. Der wikipedia-Artikel zeigt recht eindrücklich den Vergleich zwischen dem Palais du Trocadéro und dem Palais de Chaillot. Und die zweite Sehenswürdigkeit war zu Maries Zeiten schon verschwunden, wie sie auch berichtet. In Saint-Cloud befand sich ein Schloss, das dem deutsch-französischen Krieg zum Opfer fiel, auch hier gibt es aber alte Fotografien. Das dritte Schloss im Bunde, Versailles also, ist dann doch erst nächste Woche dran. Ich habe den heutigen Tagebuch-Eintrag getrennt, denn, ich gebe es zu, ich kann mich schwer trennen. So haben wir nämlich noch zwei Wochen mit Marie vor uns, sonst wäre es nur mehr eine…

14. October 1902, Dienstag. A Versailles. Um 9h verließen wir Paris mit Wagen fuhren wohlgemuth zuerst durch die Stadt vorbei am Trocadéro, hinaus zu den einfachen Vororten, wo wieder ganze Städtchen für sich sind mit eigenem Markte, wo die Hausfrauen soeben die Kücheneinkäufe besorgen. So geht es weiter, bis wir zur Seine kommen, jenseits welcher St Cloud liegt, an einem ansteigenden Hügel gebaut mit weit sichtbarer hoher gothischer Kirche. Wir biegen links in den Park ein u. fahren im Schritt stark aufwärts. Mit Epheu umsponnene Mauern dehnen sich rechts des Weges aus u. fuhren bis zur Terasse, wo einstens, d. h. bis zum Jahre 1870, das königliche Schloss stand, von dem jetzt absolut nichts übrig ist. Klare stille Wasserflächen in einem marmornen Rahmen, nur mit lebenden Blumen geziert, breiten sich an stirne Stelle aus. Es geht noch immer aufwärts, in den verschiedenenen (sic!) Höhenlagen sind wieder ab u. zu kleinere Wasserspiegel angelegt; nach den Seiten hin laufen herrliche Queralleen, so wunderbar schön! Am höchsten Punkte hält der Kutscher still, wir betrachten die Aussicht! Durch einen Rahmen von gleichmäßig gepflanzten alten Bäumen blickt man hinunter in ein Häusermeer, das sich mit dem Horizonte schließlich eint; nur schade, dass wir kein wolkenloses Wetter haben; schon einmal hat es einen „Spritzer gemacht, jetzt ist halt noch trüb. Nun fuhren wir durch herrliche Wege noch immer im Park, in dem gepflegte Rasenteppiche mit alten, epheuumrankten Laubhölzern abwechseln, zwischen denen wieder Sträucher u. Kräuter sich ausbreiten. Wie schön ist es doch hier! Wie wahrhaft königlich wäre es doch, hier, dies alles sein Eigenthum zu nennen, hier zu herrschen u. ein Volk zu regieren, von dem man geliebt wird! Alles hattest Du, Königin Marie Antoinette! nur das letzte fehlte Dir, die Liebe deines Volkes! drum fiel dein Haupt auf dem Concordiaplatz dem Fallbeile zum Opfer! Arme Reiche! Darum stimmt es einem auch ganz melancholisch, alles ist verödet, herrenlos. – Außer dem Park geht’s abwärts nach Ville Avray u. Sèvres, von dem man nichts Besonderes sah, als meistens kleines, kleine Villen u. Gärtnereien, entweder letztere mit der Aufschrift: N. Poirier, Horticulteur, erstere mit Plakaten: à louer, à vendre. Wieder folgt ein Park dem andern bis Versailles, wo wir durch die Hauptstrasse fahren u. einen Blick auf die Kirche werfen, dann in das Hôtel des Resevoirs fahren u. dort absteigen u. Mittag machten. Dann schrieb ich an Margreth, Josefine u. Martha Ansichtskarten. Die Rechnung war allerdings dann staunenswert, für Consommé, Entrecôtes, Hors d’Oevre, fruits café au cognac bezahlten wir 24fr 05. mit Wein natürlich.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, 06.74.03-1-25-4 (Place de la Concorde, 1906-1914).

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Die Rechnung über 24fr 05. für Onkel Nicolaus, Tante Anna und Marie entsprechen wertberichtigt für das Jahr 2020 105 Euro. Seither kann man für Speis und Trank gut und gerne nochmal 20% drauflegen und wäre somit heute bei 41Euro je Person. Ein stolzer Preis, für die gewählte Speisefolge in einem gehobenem Lokal jedoch durchaus nicht unüblich.

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