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20.000 Meilen Unter Dem Stadtsaal

20.000 Meilen unter dem Stadtsaal

Das Titelbild aus der Familienglasplattensammlung Winkler, die uns das Tiroler Volkskunstmuseum in der perfekten Aufarbeitung von Renate Erhart übergeben hat, zeigt ein Schiffswrack im Redoutensaal (der um diese Zeit nur mehr als Stadtsaal in den Zeitungen erscheint). Eine Beschreibung fehlt. Da die Wahrscheinlichkeit eines versehentlichen Zusammenstoßes des Bootes mit der Orgel ausgeschlossen werden kann, muss es sich um die Dekoration eines Faschingsballes handeln. Solche wurden um die Jahrhundertwende meistens am Rosenmontag von der Liedertafel unter einem Generalmotto (1895: Japan, 1896: Im Märchenreich) veranstaltet. 1897 wurde „Auf dem Meeresgrunde“ ausgerufen. Jules Verne lebte da noch hochbetagt in Amiens, der gerupfte Zweimaster als zentrales Element bekam den Namen „Auswandererschiff Nautilus“. Dieses sei, so die Erzählung der Veranstalter, an einem Felsen zerschellt und die Besatzung fand sich nun wie das Ballpublikum in Neptuns und Poseidons Wunderwelt wieder.

Die in den Zeitungen erscheinenden Beschreibungen solcher Abende sind dann etwas austauschbar, zunächst defilierten alle Verkleideten, dann wurde getanzt und geblödelt, um 3 in der Früh war Schluss – Fasching eben, in den prüden Zeiten der Jahrhundertwende sicher auch ein Ventil für Lebensfreude und kleinere beschwipste Ausschweifungen. Ein Kommentar aus dem Tiroler Boten merkt in der Ballkritik noch an, dass man besser auch die Orgelpfeifen in die Dekoration einbauen hätte sollen. Damit ist das Titelbild endgültig zugeordnet!

Eine Erweiterung der gutbürgerlichen Amateur-Foto-Spielereien war das zu dieser Zeit das Stereobild. Ein solches hat der Fotograf mit leicht verschobener Achse noch nachgereicht.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Ein schönes Bilddokument aus der hauptstädtisch-bürgerlichen Glitzerwelt des auslaufenden 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Technik und Globalisierung zum ersten Mal wahrlich Riesensprünge machten und in den Industriellen- und Bildungsbürger:innenvillen ebenso großer Glaube an eine (elektrisch) strahlende Zukunft herrschte wie bittere Verzweiflung in den Arbeiter:innenvierteln und den von der Welt so abgehängten Dörfern am Land über die triste Gegenwart.
    Man stelle sich vor, wie die Reichen und Schönen vor dieser Kulisse in den Saal defilierten, während vor dessen Toren zerlumpte Straßenkinder um ein paar Heller bettelten. Und heute müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht bald erneut in so einer zweigeteilten Gesellschaft wiederfinden.

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