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Herberge, Kaserne Und Ruine

Herberge, Kaserne und Ruine

„Der Stand der Insassen hat sich in den letzten Monaten sehr verringert“, schrieb die Verwaltung der städtischen Herberge im August 1939 an das zuständige Magistratsamt. Die Gründe für diese Verringerung bleiben, wie so oft in Schriftgut aus der NS-Zeit, ungenannt. Waren manche der Obdachlosen bereits als sogenannte „Asoziale“ in Arbeits-, Umerziehungs- oder Konzentrationslager abtransportiert worden? Oder haben es Bedürftige im Wissen um die nationalsozialistische Politik vermieden, in die Herberge zu gehen?

Das betreffende Schreiben macht in jedem Fall die veränderte Politik deutlich, die Bevölkerung brutal in nützliche, förderungswürdige Menschen und in unnütze, überflüssige „Elemente“ zu trennen. Die Herberge war zu dieser Zeit mit 40 Personen belegt, nämlich einer sechsköpfigen Familie, 24 Langzeitobdachlosen und zehn jungen Arbeitern. Die Familie sollte eine andere Unterkunft erhalten und die Herbe künftig keine Familien mehr aufnehmen, weil die Behörden in diesem Umfeld einen „moralischen Schaden“ der Kinder befürchteten. Auch jene Obdachlosen „die schon jahrelang in der Herberge hausen“, wollte der Magistrat loswerden, da sie „entweder in ein Altersheim oder eine entsprechende andere Anstalt gehören. (Notorische Trinker in eine Trinkerheilanstalt, asoziale Leute in ein Arbeitsheim oder in eine Besserungsanstalt).“ Den Arbeitern unterstellte die Behörde, sich das Leben auf Kosten der Allgemeinheit zu erleichtern. Sie würden nur deshalb in der Herberge wohnen, um Lohn zu sparen und mehr Geld in Alkohol umsetzen zu können. Diese innere Haltlosigkeit führe zu „Streitigkeiten und unliebsamen Ausschreitungen im Heim“. Die Lösung war rasch gefunden: Künftig mussten jene Bewohner, die einen Verdienst hatten, einen höheren Kostenbeitrag bezahlen. Ab März 1940 kontrollierte das Arbeitsamt die Herberge regelmäßig und verpflichtete arbeitsfähige Obdachlose zu einer Erwerbsarbeit, für die sich sonst niemand fand.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die städtische Herberge übrigens gar nicht mehr in der Hunoldstraße 22. Das Gebäude war der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) übertragen worden, die es an die Stadt Innsbruck vermietet hatte. Doch mit 20./21. August 1939 – wohl nicht zufällig eineinhalb Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs – musste die Herberge aufgrund obrigkeitlicher Verfügungen kurzfristig geräumt werden. Der Bau wurde nun als Kaserne für Polizei und Luftschutztrupp genutzt, während die Obdachlosen im Margarethinum in Hötting untergebracht wurden. Dort waren die Wohnverhältnisse katastrophal. So bestanden beispielsweise die Sanitäranlagen „im 1. Stock lediglich aus einem einzigen Küchenauslaufbrunnen, der für 50 und mehr Insassen“ reichen musste.

Acht Monate später, im April 1940 erfolgte bereits die Rückübersiedlung, da das Margarethinum umgebaut und als „Heimstätte für schwangere Frauen aus Südtirol“ dienen sollte. In der Folge teilten sich Polizei, Luftschutztrupp und Obdachlose das Gebäude in der Hunoldstraße. Dieses Arrangement dauerte ebenfalls nur einige Monate: Im Oktober 1942 musste die städtische Herberge ins Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern am Rennweg übersiedeln.

Blick von Mühlau auf das Mutterhaus der barmherzigen Schwestern am Rennweg, in dem 1940-1942 die städtische Herberge für Obdachlose untergebracht war. (Die Fotografie stammt aus dem Jahr 1938 und zeigt im Vordergrund den Abbruch der Kettenbrücke.)

Das weitere Schicksal der Obdachlosen liegt im Dunkeln. Im Juli 1942 wurde der vormalige Männerschlafsaal im dritten Stock des Mutterhauses an eine Reichenauer Firma vermietet, um dort Zwangsarbeiterinnen unterzubringen. Ursprünglich war dies nur vorübergehend bis längstens Ende September geplant, „weil dieser Raum als Obdachlosenasyl weiter Verwendung finden muss“. Dies war jedoch nicht der Fall. Aus einem Schreiben vom 6. November 1942 geht hervor, dass der besagte Schlafraum auch weiterhin für sogenannte „Ostarbeiterinnen“ genutzt werden sollte, weil die städtische Herberge seit längerer Zeit ohnehin nur „geringfügige Verwendung fand“ – die Umstände bleiben wiederum unausgesprochen. Bei den Arbeiterinnen handelte es sich um Haushaltshilfen für kinderreiche, sozial schwächere Familien, die in ihren Wohnungen nicht ausreichend Platz hatten, um sie selbst unterzubringen. Für Kost und Logis wurde ein pauschaler Betrag von 20 Reichsmark im Monat ins Auge gefasst, wobei die Stadt Innsbruck eine Bezuschussung des Betriebs durchaus für vertretbar hielt. Schließlich hatte sie auch die vormalige städtische Herberge für die Obdachlosen finanzieren müssen und zwar in bedeutend höherem Ausmaß, „wobei noch eingewendet werden darf, daß es sich bei diesen durchwegs um arbeitsscheue asoziale Individuen gehandelt hat“.

Das Gebäude in der Hunoldstraße wurde im übrigens ab 1940 von der Heeresverwaltung übernommen worden und als Wehrmachtskaserne genutzt. 1943 war hier auch ein Kriegsgefangenenkommando untergebracht. Am 19. Dezember 1943 wurde das Gebäude durch einen Bombenvolltreffer schwer beschädigt, wobei neun der gefangenen Russen starben.

(Quelle: Aktenmaterial aus dem Bestand 08.05.01, Sonder- und Einzelakten Soziales, Karton 7; Bilder: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-A-7-204; Ph-30713).

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