Das versunkene Schiff
„Hier ist eine Zelle der Erneuerung Oesterreichs“, erklärte Josef Bendes, Kompaniekommandant der Heimatwehr, anlässlich einer Fahnenfeier am 16. März 1934 pathetisch. „Hier“, das war der (ehemalige) Gasthof zum Goldenen Schiff, in dem nun eine Kaserne für das Innsbrucker Schutzkorps eingerichtet worden war. Die Lage in Innsbruck ist zwar ruhig, aber die Stimmung angespannt und kampfbereit. Schließlich war in anderen Teilen Österreichs in den sogenannten „Februarkämpfen“ der Widerstand des sozialdemokratischen „Schutzbundes“ gerade erst blutig niedergeschlagen worden. Die „Erneuerung Oesterreichs“, auf die die Heimatwehr eingeschworen wurde, führte direkt in die Diktatur.
Im Jahr vor diesen Ereignissen ist mit Alfons Klotz zum letzten Mal ein Pächter für das Goldene Schiff in den Innsbrucker Adressbüchern genannt. 1939 erwarb die Baustoffhandlung Volland & Erb das Gebäude. Auch wenn sich der Name des „Goldenen Schiffes“ und eine Gassenschank noch etwas hielten, neigte sich damit eine mehrere hundert Jahre alte Gasthaus-Geschichte ihrem Ende zu.
Denn bereits im 18. Jahrhundert hatte sich an der Pradler Sillbrücke ein Gasthaus befunden, das ursprünglich „Zum Weißen Wirt“ hieß. 1803 kaufte Joseph Leitner das Wirtshaus, das bis 1896 in Familienbesitz blieb. In diese Zeit viel auch die Umbenennung zum „Goldenen Schiff“.
Ende des 19. Jahrhunderts folgen mehrere Eigentümerwechsel, bis der Brauereibesitzer Robert Nissl das Gasthaus 1898 erwarb. Er ließ es so vollkommen umbauen, dass das obige Skizze des Gebäudes den Vermerk „abgebrochen 1903“ trägt. Der 1905 wiedereröffnete Bau, der auf der unten abgebildeten Postkarte zu sehen ist, enthielt im Erdgeschoss ein Restaurant, eine heizbare Veranda, einen großen Biergarten – in dem die alten Wildkastanienbäume Schatten spendeten – sowie eine Kegelbahn und eine Musikertribüne.
Während des Ersten Weltkriegs sorgte das Goldene Schiff für eine Premiere: Anfang August 1916 wurde hier die erste Innsbrucker Kriegsküche eingerichtet. Es handelte sich dabei nicht um eine Wohltätigkeitsausspeisung, sondern um eine Angebot an den Mittelstand, Speisen zu einem erschwinglichen Preis zu erwerben. Dadurch sparten sich die Kundinnen und Kunden sowohl den Zeitaufwand für das Anstellen vor den Geschäften, um die immer knapper und teurer werdenden Lebensmittel zu ergattern, als auch den Aufwand und Brennstoffverbrauch beim Kochen.
„Den Küchenbesuchern steht es frei, das Essen in der Speisehalle im ‚Goldenen Schiff‘, die hierfür eingerichtet wurde, zu sich zu nehmen oder nach Hause zu holen,“ informierte der Allgemeine Tiroler Anzeiger am 9. August 1916. Allerdings: „Die Geschirre und eventuelle Bestecke müssen sich die Besucher selbst mitnehmen.“ Die ursprünglich für 400 Besucher pro Tag ausgelegte Kriegsküche brutzelte in der Folge auf Hochtouren: „Dieselbe verabreichte in der Zeit von 8. August bis gestern 40.000 Portionen“, berichtete der Allgemeine Tiroler Anzeiger am 18. Oktober 1916. Aufgrund des großen Andrangs wurden nun auch in Hötting und Wilten solche Kriegsküchen eingerichtet.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm das Gasthaus zum Goldenen Schiff wieder den normalen Betrieb auf. In der Zwischenkriegszeit war es ein beliebter Ort für Vereinsaktivitäten, betriebliche Weihnachtsfeiern und ein gerne aufgesuchtes Tanzlokal. Warum das Schiff in den 1930er-Jahren trotzdem keinen richtigen Steuermann mehr gefunden hat und schließlich versunken ist, das liegt im Dunkel der Geschichte – ebenso wie die Herkunft seines Namens.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-10699, Ph-A-24396-502)
Weitere Details zur Geschichte des Goldenen Schiffs liefert Josefine Justic in Band 7 unserer Schriftenreihe „Zeit – Raum – Innsbruck“, S. 245-250.
Dieses und weitere Gasthöfe finden sich auch in Peter Walder-Gottsbacher: „Vom Wirtshaus zum Grand-Hotel“.
Danke, Herr Bürgschwentner, dass Sie sich auf meine Bitte in http://innsbruck-erinnert.at/mit-den-augen-des-unbekannten-fotografen-ii/comment-page-1/#comment-1329 hin (und wie darin auch schon angekündigt) so ausführlich mit dem ehemaligen „Goldenen Schiff“ befasst haben. Beide angeführten Publikationen habe ich bereits im Stadtarchiv online bestellt.
In der obigen Zeichnung sieht man auf der alten Pradlerbrücke ein Holzkreuz. Ist es möglich, dass dieses Kruzifix nach Abriss der uralten Holzbrücke am Haus Pradlerstraße 1 (Metzgerei Müller) angebracht wurde, auf dem es jetzt noch zu sehen ist?
Noch etwas:
Vielleicht wäre in Ihrem Text statt „Heimatwehr“ besser die Bezeichnung „Heimwehr“ zu verwenden!
Meines Wissens war es kein Kreuz, sondern eine Nepomuk-Figur.
Sehr geehrter Herr Roilo! Sie haben Recht, Heimwehr ist der gebräuchlichere Begriff. Für die Tiroler Heimwehr war damals auch „Heimatwehr“ gebräuchlich und im Lesen an den Quellen habe ich dann diesen Begriff übernommen.
Der Artikel ist hochinteressant, trotzdem muß ich die Vermischung zweier Begriffe bemängeln, nämlich „Wirtshaus“ und „Gasthaus“. Ich höre noch heute den ehemaligen Wirt vom Nattererboden, Oswald Albert, wie er durchs ganze Lokal gebrüllt hat, damits auch jeder hörte: „Des da isch koa Gaschthaus, sondern a Wirtshaus, weil im Gaschthaus hat der Gascht des Sagen und im Wirtshaus der Wirt, merkts eich des !!!“ Nun, ich habs mir bis heute gemerkt und werde diese an Präzision kaum zu übertreffende Unterscheidung wohl niemals vergessen.
Es gab ja mehrere Besitzerwechsel, vielleicht war es ja je nach Betreiber mal ein Wirts-, mal ein Gasthaus? 😉
Das Gepoltere kenn ich. Trotzdem kamen die Innsbrucker in Scharen. Später hat er dann nicht untalentiert Heiligenfiguren zu schnitzen begonnen. Muß irgendeine saulo-paulo-artige Erscheinung gehabt haben.
Im Wirtshaus füttert man den Wirt, im Gasthaus die Gäste.
Ja, war ja bekannt wegen seiner Polterei, i glaub auch, daß Viele wegen dem hingegangen sind („Gemma Ossi schaugn, vielleicht lasst er oan außer“) – gleich wie Viele wegen der Anni die Graue Katz besucht haben. Ja, ja, trotzdem schad um solche Originale, gibt´s heit leider nimmer.