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Ausverkauf Im Landschaftlichen Lagerhaus

Ausverkauf im Landschaftlichen Lagerhaus

Das Gebäude im Hintergrund, das Herr Manfred Roilo im vorangegangenen Rätsel richtig als Landeslagerhaus erkannt hat, ist völlig aus der Innsbrucker Stadterinnerung verschwunden.
Errichtet wurde es hier neben der „Südbahn“ im Jahr 1884 und war so etwas wie ein nicht gewinnorientiert arbeitender Generalspeicher, in erster Linie für Getreide und verwandte Produkte. Die saisonal wechselnden Preise wurden regelmäßig in den Tageszeitungen bekannt gegeben, die Verrechnungseinheit wurde mit „q“ abgekürzt was nicht „Quentchen“ bedeutete (das wären nur 4,375 Gramm) sondern „Quintal“ vulgo „Doppelzentner“ (entspricht 100 Kilo).

Im Jahr 1922 war das Land Tirol wieder einmal bankrott und überlegte die Gründung einer neuen Gesellschaft, in die zwei süddeutsche Industriegranden einsteigen sollten. Diese heute vielleicht public-private-partnership oder cross-border-selling genannte Konstruktion löste einen bitterbösen Beschwerdebrief eines Innsbrucker Kaufmanns an die Innsbrucker Nachrichten aus, der sich fast 100 Jahre später liest, als wäre die Wut des Schreibers immer noch nicht ganz verraucht:

Samstag, den 30. Dezember 1922. Innsbrucker Nachrichten Nr. 288. Seite 7.

Zur Umgestaltung des Landes=Lagerhauses in einen gemeinwirtschaftlichen Gesellschaftsbetrieb.

Ein Innsbrucker Kaufmann schreibt uns: Ihr Blatt brachte am 28. Dezember interessante Mitteilungen über die geplante Uebergabe des Landes=Lagerhausbetriebes an die Rheinschiffahrts=A.=G. vorm. Fendel in Mannheim. Zufolge Vertagung des Landtages wurde auch diese Beschlußfassung verschoben — und es ist gut so, denn der voreilige Abschluß eines so schwer wiegenden Vertrages könnte für das Land von größtem Nachteile sein.

Die Kaufmannschaft Tirols ist sich längst darüber klar, daß ein Ausbau des Lagerhausbetriebes im Interesse Innsbrucks als Waren=Stapelplatz von größtem Nutzen wäre. (…)
Wer garantiert, daß das neue Unternehmen die gehegten Hoffnungen erfüllt und warum bleibt das Land unter allen Umständen volle zwanzig Jahre an den Vertrag gebunden? In dieser langen Zeit kann viel geschehen, was den Landesinteressen und weiterhin auch den Interessen tirolischer Kaufleute und Spediteure widerspricht. Schon die Bemerkung im obenerwähnten Artikel, daß weniger das nicht besonders ertragreiche Lagergeschäft als vielmehr das rentablere Speditionsgeschäft betrieben werden solle, gibt zum Nachdenken Anlaß. Ist es wirklich notwendig, daß sich das Land Tirol, eines ungewissen Einkommens wegen in Speditionsgeschäfte einläßt und zum Hauptkonkurrenten aller Tiroler Spediteure sich hergibt?

Als im Jahre 1884 das landschaftliche Lagerhaus in Innsbruck seine Tätigkeit begann, waren die Versorgung Tirols mit Getreide, der provisionsfreie Verkauf von Tirolerwein und die Hebung des Handels und des Verkehres als Leitmotive gedacht. Durch volle 37 Jahre hat dieses Unternehmen seine Aufgaben getreulich erfüllt und es verstanden, Einnahmen und Ausgaben derart in Einklang zu bringen, daß der Betrieb aktiv blieb, sogar die Pensionen aus dem Erfolge gedeckt werden konnten, der kleine Ueberschuß aber dieses Landesinstitut nicht in die auf Gewinn berechneten Unternehmungen einreihte. Erst dem Tiroler Landtage des Jahres 1921 blieb es vorbehalten, den Ruf nach größerem Gewinne ertönen zu lassen. Das Landes=Lagerhaus sollte fortan für das Land eine recht ergiebige Einnahmsquelle werden. (…)
Wie wird es erst werden, wenn ausländische Unternehmer das Geschäft leiten und immerzu trachten werden, nur zu verdienen! Glaubt wirklich jemand daran, daß es diesen Kapitalisten nur daran gelegen sein kann, für Tirol Opfer zu bringen, ohne den entsprechenden Rahm für sich abzuschöpfen? (…)
Das Land Tirol hat wegen des Lagerhaus=Geschäftes für Zollkredit und Zollzweigstelle, Getreideaufschlagsamt, Frachtenkredit usw. eine Menge weitgehender Haftungen übernommen und soll nunmehr dies alles nebst seinem großen Lagerhause und allen Westbahnhofbaracken um „vorweg zehn Prozent Gewinnanteil“, eines noch sehr unbekannten Gewinnes, der neuen Gesellschaft auf zwanzig Jahre unkündbar überlassen. Ein solcher Vertrag kann unmöglich im Interesse des Landes liegen und muß doppelt und dreifach überlegt werden. (…)
Man darf nicht die Interessen heimischer Kaufleute und tirolischer Angestellter einem Phantom aufopfern. Im Auslande und leider auch in Deutschland, sucht man uns Oesterreicher überall hinauszudrängen, nur bei uns ist es umgekehrt der Fall. Es scheint zur Epidemie geworden zu sein, nur das zu schätzen, was von auswärts zu uns kommt und immer zu glauben, daß wir nur mit auswärtiger Hilfe weiterleben können. Ein Zusammengehen mit großen, deutschen Importfirmen ist jedenfalls zu begrüßen. Ob es aber notwendig ist, sich deswegen mit Hab und Gut, mit Leib und Seele diesen Herren zu verschreiben, bleibt eine andere Frage und wir hoffen, daß unsere Landesboten erst nach sehr reiflicher Ueberlegung ihre Unterschrift hergeben werden.

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