Wenn die Erde bebt (3)

Wie verheerend das Erdbeben vom 6 Mai 1976 in der Region Friaul-Julisch Venetien tatsächlich wütete, lässt sich an dieser Fotografie besonders gut erkennen. Ein Schuhgeschäft (Calzature Schuhe), wurde in seinen Grundfesten derart erschüttert, dass es in sich zusammenbrach. Beinahe designierend lehnen zwei Ersthelfer der Einsatzkräfte am ursprünglichen Dachgesims des Gebäudes um sich für den weiteren Einsatz mit einem Eintopf zu stärken. Neben ihnen auf dem Boden liegen zwei schon ausgelöffelte Plastikteller. Wäre es ein anderer Tag, eine andere Zeit und das Schuhgeschäft würde noch stehen, würde Plastik vermutlich nicht einfach so weggeworfen werden. Warum ich als Ethnologe den Plastiktellern besondere Aufmerksamkeit widme? Die kleinen Dinge im Leben verraten oftmals mehr, als es der erste Anschein zulässt. Diese Teller, einfach auf den Boden geworfen, lassen die Einsatzkräfte in diesem Foto sprechen. Sie sagen uns: „Weil‘s ja eh scho wurscht is. Alles ist verloren“. Die Gesellschaft aus den Fugen, werden Normen, wie die ordnungsgemäße Entsorgung von Müll, nicht länger als gültig erachtet. Es gibt „wichtigeres“ im Moment der Katastrophe. Der Regelzustand des alltäglichen Lebens muss erst hergestellt werden, damit Suppe wieder aus Keramiktellern gegessen werden kann.

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, BFI-NE-364-01, 1976)

Autor: Lucas Brand