Warum Margarethe, Rudolf und Wilhelm weichen mussten
Die Benennung von Straßen war auf diesen Seiten und in Kommentaren bereits mehrfach Thema und ich kann mich daran erinnern, dass speziell auch zum Südtiroler Platz einmal die Frage nach dem Grund der Benennung gestellt wurde. Nachdem ich den diesbezüglichen Gemeinderatsbeschluss vor Jahren einmal für eine universitäre Lehrveranstaltung ausgehoben habe, möchte ich dieses spannende Zeitdokument heute teilen.
Auf den Antrag der Bausektion zur Umbenennung der Straßen im Bahnhofsviertel hin trat in der Sitzung vom 23. November 1923 der Bauunternehmer, Sägewerksdirektor und VP-Gemeinderat Josef Auer als Referent in Aktion. Er führte zunächst aus, dass nach dem Frieden von St. Germain „jedes Tiroler Herz über die Abtrennung unseres deutschen Südens bis zum Brenner“ blutete. „Die klaffende, um Rache zum Himmel schreiende Wunde, sollte durch ein Pflaster gestillt werden“, nämlich die Zusicherung von Minderheitenrechten durch den italienischen König. Deren Einhaltung „war eine echt wälsche“, so Auer, um dann auf die Entlassung der deutschsprachigen Beamten, das Verbot des Namens „Tirol“ und die (faschistische) Italianisierungspolitik gegenüber Ortsnamen und Bevölkerung einzugehen. Aus diesem Grund sollte der Innsbrucker Gemeinderat „einen geschichtlichen Markstein über die wälschen Greuel für alle Zukunft festlegen“:
Nach Auers Zuruf an die Südtiroler „Erlahmet nicht in Eurem Selbsterhaltungskampfe, wir stehen treu zu Euch, Südtirol wird immer deutsch bleiben!“ nahm der Gemeinderat den Antrag unter Heilrufen auf Deutschsüdtirol eindeutig an.
(Bilder: Schwaighofer-Führer 1923 und 1925, Gemeinderatsprotokoll vom 23. November 1923, S. 530 und 531).
Immerhin ist mit der Umbenennung der Kaiser Wilhelmstraße auch einer der mitschuldigen Kriegstreiber aus dem Stadtplan gelöscht worden. Und wenn die (andere) Margarethe nicht ausgerechnet diesen Rudolph Habsburger favorisiert hätte, wer weiß, wie sich die politische Geographie entwickelt hätte. Ich raunz schon wieder. Wobei mich die mir-nichts-dir-nichts Abtrennung Südtirols damals garantiert auch empört hätte. Dafür durfte ich glücklicherweise eine weitgehende Normalisierung und Befriedung der Situation seit der noch erlebten Zeit umfangreicher Italienisierung beobachten. Am Brenner gabs in meiner Kinderzeit nur Brennero, Albergo und Alimentari zu lesen. Und Stazione FS. Als Kind staunte ich ob der Exotik, was hatte ein Hotel am Brenner mit dem Arlberg zu tun?
Ja, ein interessantes Gedankenexperiment, wie sich die Geschichte dann entwickelt hätte. In weiterer Folge würde Tirol als „Südbayern“ wohl zu den Wittelsbachern, zum Königreich Bayern bzw. zu Deutschland gehören.
Interessant ist auch, dass der Margarethenplatz, vormals Neuplatz, nicht naheliegenderweise nach Margarethe Maultasch, sondern nach der Prinzessin Margarethe von Sachsen benannt ist, welche 1856 in Innsbruck verstorben ist. Mehr auch in diesem Beitrag:
https://innsbruck-erinnert.at/ein-platz-voller-moeglichkeiten-der-bozner-platz/
Beim Südtiroler Platz in Wien erfolgte die Umbenennung 1927 auf Beschluss des Roten Wien. Zuvor hieß der Platz seit 1898 Favoritenplatz. Die Erinnerungskultur an Südtirol war also parteiübergreifend.
1927/28 wurde in der Nähe sogar ein Gemeindebau mit dem Namen „Südtiroler Hof“ errichtet.
In einer Grünanlage des Platzes steht interessanterweise seit 1978 das vom Tirolerbund errichtete Andreas-Hofer-Denkmal, auf dessen Monument die Tiroler Landeshymne zu lesen ist.
Nach dem Neubau des Wiener Hauptbahnhofs wurden viele topografische Angaben bei Verkehrsmitteln von „Südtiroler Platz“ auf „Hauptbahnhof“ geändert, so dass der Südtiroler Platz im öffentlichen Verkehr inzwischen wesentlich seltener erwähnt wird.
Es wäre bestimmt ein spannendes Forschungsdesiderat, die Umbenennungen aller dieser Südtiroler Plätze und Straßen aus Österreich und Deutschland in den 1920er-Jahren historisch aufzuarbeiten.
Interessant ist, dass die Brunecker Straße und die Sterzinger Straße keine Erwähnung in dem Antrag finden. Wie kamen diese Umbenennungen zustande?
Interessant auch die damalige Schreibweise der Straßennamen als Komposita (z.B. „Südtirolerplatz“, statt wie heute korrekt „Südtiroler Platz“). Viele schreiben sie heute noch so. Jetzt weiß ich warum – weil es eben früher mal korrekt war.
Laut dem Buch „Innsbrucker Straßennamen“ von Josefine Justic wurden auch die Brunecker und Sterzinger Straße (beide vormals „Bahnstraße“) mit dem Gemeideratsbeschluss vom 23.11.1923 umbenannt. Vielleicht fehlt da etwas bei der Abbildung?
Bei der Abbildung fehlt nichts, der Bericht über die GR-Sitzung im ATA vom 24. Nov. 1923, S 8 stimmt inhaltlich mit dem hier gezeigten Protokoll-Ausschnitt überein: „Nach dem Beschlusse des Bauausschusses sollen
der Bahnhosplatz in Südtirolerplatz,
die Rudolfstraße in Brixnerstraße,
der Margareten Platz in Boznerplatz,
die Landhausstraße in Meranerstraße,
die Kaiser Wilhelmstraße in Salurnerstraße
umgetauft werden.“ […] Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Den Antrag zur Umbenennung der Bahnstraße in Brunecker Straße und der Südbahnstraße in Sterzinger Straße stellte die Bausektion erst im Jahre 1924 u. zw. in der GR-Sitzung vom 8. Februar 1924. Dieser Antrag wurde nicht einstimmig, jedoch mit Stimmenmehrheit angenommen: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ibn&datum=19240209&query=%22Bausektion%22+%22Brunecker%22&ref=anno-search&seite=5
Herzlichen Dank für die kompetente Klärung dieser Frage! Die Angelegenheit zeigt wohl auch, warum man in Innsbruck sehr häufig Straßen im Paket umbenannt hat. Dann gibt es nur einmal Diskussionen (bzw. im Falle der Südtiroler Straße eh keine).