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Trügerische Sauberkeit

Trügerische Sauberkeit

Picobello präsentieren sich die Schillerstraße und der Schillerplatz auf dieser Ansichtskarte. Die Grünanlage getrimmt, weit und breit keine Rossknödel auf der Fahrbahn, auch kein Laubblatt, und am Gehsteig nicht einmal ein achtlos fallengelassenes Papierdl. Sollte einem hier vor lauter Staunen die Wegzehrung entgleiten, kann man die 5-Sekunden-Regel getrost vergessen… so scheint es zumindest.

Bei genauerer Betrachtung dieser Ansicht drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass hier der Fotograf etwas nachgeholfen hat. Zumindest wirkt die Fahrbahn retuschiert. Und wie es hier im Winter ausgesehen hat? Davon vermittelt der folgende Leserbrief, den ein erzürnter Saggen-Bewohner mit spitzer Feder im Feber 1914 an die Innsbrucker Nachrichten sandte, eine plastische Vorstellung:

Löbliche Redaktion!
Die Straßenpflege im Saggen läßt viel zu wün­schen übrig. Jetzt endlich, wo die Mittagssonne schon kräftig mitzuwirken beginnt, wird an die Räu­mung der Gehsteige gegangen, die vor kurzem noch für gerade Glieder direkt gefährlich waren. Die Fahrbahnen aber, namentlich in dem Teil, der die Schubert-, Göthe-, Mozart- und Schillerstraße nebst Schillerplatz umfaßt, werden noch von 1 1/2 m hohen Schneehaufen eingesäumt und auf ihnen selbst liegt noch circa 1/2 m hoher Schnee. Dieser hat aller­dings seine jungfräuliche Weiße läng steingebüßt, zeichnet sich aber dafür durch eine schmutziggraue Trauerfarbe aus. Der Vogel wird aber abgeschossen durch einen neuen Abladeplatz für abgeräumten Schnee, nämlich auf dem unverbauten Räume zwi­schen dem Hause Nr. 2 der Mozartstraße und dem Greisenasyle, welcher doch in unmittelbarer Nähe bewohnter Häuser liegt. Dort begann man den schon wochenlang auf den Straßen lagernden, durch allen möglichen Schmutz schwarz gefärbten, mit Fäkalien und sicher auch Krankheitskeimen durch­tränkten Schnee abzuladen. Die Erwägungen, die dazu führten, sind nicht ganz verständlich. Entweder soll dem Schwärzlersee auf der Hunger­burg eine Konkurrenz geschaffen werden – oder soll dies Stadthygiene modernsten Stiles sein? Da dürf­ten die Meinungen allerdings stark differieren. Wir sollten doch froh sein, wenn Keime von Krank­heiten, die in diesem Stadtteile geradezu endemisch geworden sind, möglichst rasch entfernt werden. Aber – vielleicht will man mit dem an der Straßen­reinigung ersparten Gelde die so außerordentlich notwendige Volksschule im Saggen erbauen. Das wäre ein Lichtblick!

IN v. 13. Feber 1914, 8.

(StAI, Ph-6992)

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