Saubere Unterhaltung
Ein Foto und mehrere Geschichten dazu.
Das Kino gehörte Ende der 50er-Jahre und Anfang der 60er-Jahre zu den populärsten Vergnügen, das sich alle leisten konnten. Noch unter dem Eindruck der Propagandafilme stehend, wurden jedoch die Auswirkungen des Films auf die Jugend kritisch beobachtet. Das Unterrichtsministerium und die Länder, unter Einbeziehung der beiden Kirchen und der Sozialpartner, gründeten einen Verein, um den guten Film zu fördern.
Filme wurden nach den Kriterien „nicht wirklichkeitsverfälschend“, „kitschig“ oder „triebfördernd“ bewertet. Eine genaue Definition, was einen „wertvollen“ Spielfilm ausmachte, gab es nicht. Es herrschte eher das Ausschließungsverfahren. Für den Filmerzieher Ferdinand Kastner zählten 1959 zu den „guten“ Filmen „saubere und natürliche Unterhaltungsfilme zur Entspannung des Körpers und der Seele“.
Mit der Aktion „der gute Film“ sollten Kinder und Jugendliche gegen „schlechte“ Filme immunisiert werden. Medienunterricht wurde Teil der Erziehung zum „Guten und Schönen“. Für die filmerzieherischen Arbeiten erhielt das Lehrpersonal eine eigene Ausbildung. Im Jahr 1957 erlaubte das Unterrichtsministerium per Erlass den Besuch von vier Spielfilmen im Jahr während der Unterrichtszeit.
Die Mädchen auf diesem Foto kamen in den Genuss der Schulfilmaktion. Gespannt stehen sie Schlange vor dem Kammerlichtspiel-Kino in der Wilhelm-Greil-Straße und warten auf den Einlass. Welchen „guten“ Film sie sich wohl anschauen durften?
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-5495, um 1964)
Ich habe diese herrlichen Filmvorführungen anstelle des Unterrichts sehr genossen. Unser Kino war das Forumkino in Dreiheiligen mit seinen interessanten Wanddekorationen, Fototafeln,auf denen Menschen verschiedener Herkunft und Arbeit zu sehen waren (s.u.).
In den nächsten Tagen gab es meistens einen den Schulgeist abbildenden Aufsatz zum Film, etwa ganz simpel „Welche Szene hat Dich (oder ab der Fünften Sie besonders beeindruckt?“ Schon ärgerlicher der Nachsatz: Begründen Sie Ihr Urteil!“. bis hin zu völlig ausgeklinkt: „Welche Absicht verfolgte Ihrer Meinung nach der Regisseur mit dem Schlußbild der in die Nacht hinein tanzenden Frau?“. Der Lehrer hat es in einem Satz kurz erläutert. Aufgepaßt oder geschlafen? Weiß es der Nachbar?
Das alles hatte natürlich den Zweck, daß wir brav der Handlung und der Filmbesprechung folgten. Vielleicht auch, um die Querkopfspreu vom Anpassungsweizen zu trennen. Einmal wurden wir jedoch hereingelegt. „Welche Elemente der Saaldekoration (s.o.) sind Ihnen besonders aufgefallen?“.
Im Kammer-Kino gab es Anfang oder Mitte der Siebziger Jahre sehr gut besuchte Sonntagsmatineen, in denen man für wenige Schilling furchteinflößende Filme bewundern konnte. Ich erinnere mich, dort erstmals japanische Godzilla-Filme gesehen zu haben, in denen eine Schreckensgestalt ganze Städte in Schutt und Asche legt. Man nahm das als reine Unterhaltung, und ich war schwer beeindruckt. Erst später kam ich dahinter, dass dieses Monster in Japan ursprünglich – der erste Film erschien 1954 – als Metapher der Atombombenabwürfe verstanden wurde, ein Thema, das bis dahin in Japan öffentlich kaum angesprochen werden konnte. In den im Westen und besonders in den USA gezeigten Schnittfassungen wurden Szenen mit dem im Film zerstörten Tokio entfernt, weil sie zu sehr an die realen Bilder aus Hiroshima und Nagasaki erinnerten und damit als Kritik an den USA verstanden wurden, was sich ja auch waren.
Das Foto war schon einmal da, – auch im Zusammenhang mit „guten Filmen“.
https://innsbruck-erinnert.at/skandal-supersexkino-in-innsbruck/
Ein Teil des TT-Artikels von damals ist dort inzwischen geschwärzt — war der katholischen Wahrheitsbehörde etwas nicht (mehr) recht …?
Gestatten, eine kleine Ergänzungung.
Die Frau Lehrerin, umringt von den Schülerinnen, war Frau Elfriede Lechleitner – die „Lechi“ – die an der Mächdchenhauptschule Wilten unterrichtet hat. Für meine Schwester war sie wie für viele andere auch
Die Lieblingslehrerin. Verheiratet schrieb sie sich dann Elfriede Rungg. Da sie auch in der Stafflerstraße wohnte, kam es öfters zu Begegnungen mit ihr. Sie war immer sehr freundlich. In der Pension begann sie das Studium in Germanistik und schloss dieses mit dem Doktortitel ab. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über
Dr. Hermann Holzmann, den bekannten Steinacher Dichter, Erzähler, Forscher, Historiker uvm.
So hatten wir bei unseren späteren Begegnungen viel zu erzählen und auszutauschen. Dr. Holzmann wohnte ja auch nicht weit von uns, nämlich in der Haspingerstrasse.
Gut, daß ich heute Ihren obigen Beitrag entdeckt habe, Herr Nenntwich! Beim erstenmal hatte ich mir dieses Foto nur oberflächlich angeschaut….
Ja, ja, das war sie, die „Lech“, allerdings „gestylter“ als in den beiden Schuljahren 1950/51 und 51/52. Wir hatten sie in Deutsch, Erdkunde, Geschichte und Singen – zudem war sie unsere Klassenlehrerin.
Was mir zu ihr einfällt? Nichts – und viel.
Tatsächlich hat sie bei uns die Schultaschen der ganzen Klasse gefilzt, ob sich nicht am Ende ein Cowboy-Schundheftl oder ähnliche Lektüre zwischen den Heften und Büchern verbarg. Oh- das wäre Gift für unsere Seelen gewesen. (Hab nie eins gelesen. Was da wohl drin stand?)
Zur „Singprüfung“ holte sie uns aufs Podium. Im Schuljahr 1950/51 hätte ich ihr im Juni vor der ganzen Klasse „Ist wohl ein schöne Zeit“ 3. Strophe, vorsingen sollen, wo es heißt „…der Weizen kommt in die Scheuer, dqs Unkraut kommt ins Feuer, die Blätter fallen ab, der Mensch, der muß ins Grab“
Mir kam nur ein hysterisches Lachen heraus, mit dem ich die ganze Klasse angesteckt habe. Als sich alle wieder beruhigt hatten, sollte ich nochmals beginnen. Nochmals lachte ich – und die Klasse mit mir. „Setzen !“
Mein Vater war kurz zuvor, am 10.5.51 mit 41 Jahren verstorben….
Übrigens hatten wir bei ihr Goethes Osterspaziergang auswendig zu lernen. Bei unserem eigenen Osterspaziergang
2013 oder 14, von der Hungerburg zum Rechenhof, traf unsere Schwiegertochter eine ihr gut Bekannte, die ausrief „Ja, das ist ja ein richtiger Osterspaziergang!“
Aufmerksam geworden, gesellte ich mich dazu – und fragte „Können Sie ihn aufsagen?“, sie sagte „Ja“ und begann „Vom Eise befreit—“ bis „…doch an Blumen fehlts im Revier, sie nimmt geputzte Menschen dafür“ und schloß mit den Worten“…und weiter kann i’s nimmer.“… und als ichs fertig gemacht hatte, meinte sie „Naaa, daß Sie des kennen?“ „Ja, sagte ich, „hammer ja bei der Lech g’lernt!“
„Ah!“ sagte sie voll Freude, „sein Sie aa in die Höttinger Hauptschual gangen?“ „Naaa!, in die Wiltener!“ „Ja, aber die Lech war decht in Hötting“ „…und vorher in Wilten…“ „….aber dee hamm decht ihre Stammschualn?“ „…vielleicht ‚eigenes Ansuchen‘ ?“
Kurz und gut – die Lech scheint ihrem Lehrplan über mehr als ein Vierteljahrhundert hinweg treu geblieben zu sein.
Damit wir uns recht verstehen – die Wiltener Hauptschule war eindeutig eine der beiden angenehmsten von den 6 Schulen, die ich – bedingt durch Kriegs-und Nachkriegszeit – besucht habe.
Die äußerst lesenswerte, fundiert recherchierte und informative Dissertation mit dem Titel „Professor Dr. Hermann Holzmann : ein Tiroler Historiker, Literat und Dichter“ wurde von Elfrieda Rungg geb. Lechleitner im Jahr 1986 verfasst. Die Werke von Hermann Holzmann sind ein sehr wertvoller Beitrag zur Geschichte von Heimatkunde von Tirol.
Elfrieda Rungg wurde am 10. September 1903 geboren und starb am 6. März 2004 im 102. Lebensjahr. Ihr Grab befindet sich am Westfriedhof.
Prof. Hermann Holzmann war so eine „bekannte Erscheinung“; man sah ihn immer mit einem „schmächtigen“
alten Rucksack am Buckel und einfach gekleidet (Wolljanker etc.). Die bereits weißen Haare gewellt, sehr helle blaue Augen, eher markantes Profil – nie anders, als gehe er halt auf eine Wanderung – oder Pilze suchen.
Seine Schwester, die Frau Öhe (die gleichen Augen wie er) wohnte auf Stafflerstraße 19,, im Haus der Frau Lechleitner, dem Haus mit dem gotisierenden Dekor westlich der Andreas-Hofer-Straße.
Ja, das ist eine sehr treffende Beschreibung! Der Bayerische Rundfunk hat im Jahr 1965 sogar eine Sendung über Hermann Holzmann mit dem Titel „Huiseler Hermann – Der Sagenforscher aus Tirol“ gesendet.
Diese Sendung kann in der BR-Mediathek heute sogar wieder nachgesehen werden – ein wunderbares Wiedersehen mit Prof. Hermann Holzmann auf seinen volkskundlichen Wanderungen durch die Bergtäler Tirols:
https://www.ardmediathek.de/video/alpha-retro/huisele-hermann-der-sagenforscher-aus-tirol-1965/ard-alpha/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzJjNTNhMGVhLTMwNTAtNDU1MC1iMWUyLTZiOWM3NGU2MDBiNg
Danke für diesen Hinweis! Ich hab mirs gerade angeschaut. Natürlich habe ich ihn älter in Erinnerung als in diesen Filmsequenzen – ganz weißhaarig – aber immer noch ein fragender, staunender Blick…
Gerne! Besonders interessant habe ich u.a. die Szene am Ende des Films gefunden, wo man Prof. Holzmann in seiner Innsbrucker Wohnung beim kreativen Schaffen am Schreibtisch mit seinen Büchern, Fotos, Dias und Forschungen sieht.