Maximilian in der Martinswand
„Wenn sie doch kematen, wenn sie doch kematen!“ Verzweifelt tönt es im Jahre 1484 aus der Höhle in der Martinswand bei Zirl. Der Rufer in der Wand ist kein Geringerer als der noch jugendliche und spätere Kaiser Maximilian. Drei Tage und drei Nächte sitzt er in der senkrecht abfallenden Felswand nun schon fest, traut sich weder vor noch zurück. Wird von Angstattacken geschüttelt und hofft auf Retter, die da kommen sollen. Vielleicht bereut er es sogar, den Gämsen und Steinböcken in seiner Jagdlust in dieses unwegsame und steile Gelände gefolgt zu sein. Und dass sein Missgeschick zu allem Überdruss von Publikum mitverfolgt werden konnte. Der erste dramatische Live-Event des Mittelalters? Ich bin versucht, genau das anzunehmen.
In dieser nahezu ausweglosen Situation verlangt Maximilian, man möge ihm die Heilige Kommunion zumindest aus der Entfernung zeigen, wie dies bei hoffnungslos Verlorenen damals gemacht worden ist. Da erscheint urplötzlich ein Jüngling in Bauernkleidern, der ihm den sicheren Weg aus der Wand zeigt. „Sei getrost, gnädiger Herr!“ beginnt der Bursche zu sprechen – „Gott lebt noch, der euch retten kann und will. Folgt mir nur und fürchtet euch nicht!“ Der Bauernbub führt den Kaiser sicher ins Tal, Maximilian ist gerettet. Dass der Retter anschließend in der jubelnden Menge verschwindet kommt dem Habsburger gerade recht. Denn bald schon heißt es: der Kaiser sei von einem Engel des Herrn errettet worden.
Diese legendäre Begebenheit ist in Tirol recht geläufig. Genauso wie die irrige Vermutung, der Ortsname Kematen ginge auf das Flehen des Kaisers zurück („wenn sie doch nur kematen…“). Der Name des Ortes stammt in Wahrheit vom Wort „Kemenate“ ab. So wurde im Mittelalter nämlich eine beheizbare Kammer genannt. Wie sich dieser Vorfall im Detail abgespielt hatte, darüber gibt es allerdings bis heute nur Spekulationen. Dass dem Kaiser in der Martinswand Ungemach zugestoßen war, stimmt jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit. Seine Errettung durch einen Engel ist dann aber genau aus jenem Stoff gestrickt, der aus einem Unfall eine Legende macht.
Es gibt Hinweise, dass Maximilian höchstselbst alsbald begonnen hatte, an dieser, seiner eigenen Legende zu stricken. Denn wer von Engeln gerettet wird – so mag Majestät kalkuliert haben – ist für das einfache Volk ein Liebling der Götter. Und so ließ er vom Geschehen – vom Unfall in der Martinswand – im Versepos „Theurdank“ berichten. Beim Theurdank handelt es sich eigentlich um eine Biografie, eine Schilderung der Brautfahrt Maximilians zu Maria von Burgund und enthält Abenteuer und Gefahren, die der kühne Ritter Theurdank vulgo Maximilian erlebte und erdulden musste. So auch die beinahe tödliche Jagd in der Steilwand bei Zirl. Die Engels-Saga hingegen stammt vermutlich nicht direkt aus Maximilians Hand. Die im Volk aufkommende Erzählung samt Begründung der wundersamen Rettung dürfte ihm jedoch alles andere als ungelegen gekommen sein.
Eine entscheidende Rolle in dieser Legende spielt der Martinsbühel. Direkt am Fuß der Martinswand gelegen, war diese Erhebung schon in der Latènezeit ein strategischer Punkt. Die Römer errichteten hier das Kastell Teriolis als Nachschubdepot zur Versorgung der Garnisonstruppen am Donau-Iller-Rhein-Limes, der neuen Grenzlinie des Reiches. Auf den Resten des Kastells wurde im Mittelalter dann die befestigte Anlage“ Sant Marteinsberg bei Zierlen“ errichtet. Herzog Sigismund der Münzreiche und Kaiser Maximilian bauten die Burg später zu einem Jagdschloss aus. Kein Wunder, hatte man doch von diesem Punkt aus die Steinböcke und Gämse in der Martinswand stets im Blick.
Und jetzt kommen wir zu des Pudels Kern: hier veranstaltete der jagdbesessene Kaiser die sogenannten Schaujagden. Dass solche Events zu den herausragenden Veranstaltungen für Klerus und Hochadel gehörten, dürfte unbestritten sein. Die Tatsache, dass dieser „Vorfall“ Maximilians in der Martinswand vor Schaulustigen erfolgte darf angenommen werden. Erzählungen berichten nämlich davon, dass sich die nahezu ausweglose Situation des Kaisers rasch im Volk herumgesprochen hatte und „überall um die Rettung des allgeliebten Herrn gefleht wurde“. Es dürfte sich mithin quasi um den ersten Live-Bericht im Hochmittelalter gehandelt haben. Auch nicht schlecht, wie ich meine.
Maximilian war, wie wir heute wissen, ein hochbegabter Selbstvermarkter. In Neudeutsch: er war ein Marketinggenie. Der Habsburger erkannte als einer der ersten Herrscher die Bedeutung des kurz zuvor erfundenen Buchdruckes. Um seine Stellung und Beliebtheit, aber auch die Erinnerung an ihn im Volk zu verstärken, setzte er bereits Anfang des 16. Jahrhunderts auf das gedruckte Wort in Kombination mit Holzschnitten. Sein von langer Hand vorbereitetes Auftragswerk „Theurdank“ sollte ihn als gottgesandten Helden präsentieren, der allem Unbill dieser Welt die Stirn bietet. Zudem ließ er in der Grotte zwischen 1503 und 1504 ein Gedenkkreuz, flankiert von Figuren der hl. Maria und des hl. Johannes, aufstellen.
Foto: Stadtarchiv Innsbruck Ph-35860
Autor: Ines Brunner