Lokale Wirtschaft VIII
Singer, Weth, Innerebener, Gertler – das sind nur die Geschäfte, die einem beim Betrachten dieser wunderbaren Aufnahme aus der Sammlung Kreutz sogleich ins Auge stechen. Zumindest erahnen lassen sich auch der Ladstätter (Burggraben 4) und der Nessler (Maria-Theresienstr. 2)…
Die Galanterie- und Spielwarenhandlung des aus Böhmen stammenden Alois Singer (1839-1931), seines Zeichens Mitbegründer des Vereins Chevra Kadischa (Verein für fromme und wohltätige Zwecke), befand sich seit dem April 1892 unter der Adresse Burggraben 13. Anlässlich der Krönung von Zar Nikolaus II. (Mai 1896) konnten die Innsbruckerinnen und Innsbrucker im Juni inseinem Schaufenster weinige „russische Krönungsbecher“ bestaunen, „die bei den Festlichkeiten in Moskau zur Vertheilung gelangten und durch die Katastrophe auf dem Chodinkafelde zu trauriger Berühmtheit“ gelangt waren. Vor Weihnachten erfreute „sich die großartige und reichhaltige Auslage des Herrn Alois Singer, die in reicher Auswahl Geschenke für große und kleine Kinder“ präsentierte, besonderer Beliebtheit.
Direkt neben an führte Anton Innerebner sein „Erstes Special Tiroler Loden Geschäft“, mit dem er 1895 in Konkurs gegangen war. Trotz dieses Rückschlages eröffnete er bald darauf in der Anichstraße 4 ein neues Modegeschäft, das nach einigen Jahren auch wieder seinen alten Namen erhielt. Um 1908/09 übersiedlte er mit seinem Geschäftslokal schließlich an den Burggraben 11. Dabei änderte Inerebner den Firmennamen auf „Tiroler Loden- und Wettermäntel-Export um.
Unter der Adresse Burggraben 15 betrieb der Kleidermacher Alois Weth sein Geschäft (es bestand seit dem Jahr 1865, allerdings nicht immer am gleichen Standort). An seine Waren fand auch Erzherzog Eugen (1863-1954) gefallen, der Weth den Titel eines „erzherzoglichen Kammerlieferanten“ verlieh.
Natürlich gäbe es zu dieser Aufnahme noch viel mehr zu erzählen. Längst haben wir nicht alle Geschäfte besucht und die „Einser“, die da mitten durchs Bild fährt, haben wir noch gar nicht beachtet. Ich vertraue aber darauf, dass unsere ExpertInnen diese Lücken füllen werden und bin auf Ihre Anmerkungen gespannt 🙂
(StAI, KR-PL-65)
Vorn am Eck sieht man sehr schön die Stockeruhr samt Litfasssäule, welche hier bis 1924 ihren Dienst tat.
In diesem Zustand präsentierte sich der Burggraben nur sehr wenige Jahre, was bei der Datierung hilfreich. Wie Herr Egger schreibt, übersiedelte das Lodengeschäft Innerebner um 1908/09 an die Adresse Burggraben 11. Das alte Schullernhaus mit dem Uhrengeschäft Ladstätter wurde hingegen 1910 abgerissen. Der Neubau wurde 1911 fertiggestellt.
Demnach müsste das Bild zwischen 1908 und 1910 aufgenommen worden sein.
Die Innsbrucker Nachrichten vom 1. Feber 1911 berichten in einer ausführlichen Reportage über das alte und neue Schullernhaus:
„Vom Neubau des alten Schullern-
hauses am Burggraben.
Mit Recht ist der Neubau am Burggraben,
den GR. Hörtnagl an Stelle des alten Schul-
lernhauses von der hiesigen Baufirma Huter
u. Söhne aufführen ließ, als bisher schönstes,
sehr nachahmenswertes Beispiel für eine durch-
aus gelungene Lösung der schwierigen Frage,
wie sich die berechtigten Interessen des Hei-
matschutzes mit den Anforderungen moderner
Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit am besten
vereinen lassen, wiederholt schon bezeichnet wor-
den. Über das Äußere des neuen Gebäudes
dessen Fassade dank der geschickten Wiederver-
wendung der charakteristischesten, nur wenig
modernisierten Stilelemente des früheren Fassa-
denschmuckes und dank des gerade an der
richtigen Stelle eingeballten Erkers nicht nur
die Erinnerung an das alte Schullernhaus Pietät-
voll wahrt, sondern sich auch dem Straßen-
bilde prächtig einfügt, herrscht nur eine Stimme
des Lobes. Besonders der reizend erdachte Tor-
bogen mit dem malerischen, kleinen, steinernen
Brunnen ist eine so glückliche Idee, daß sie
unseren Architekten, soferne ihnen an künstleri-
schem, jede Fassade so angenehm belebenden
Schmucke gelegen ist, für künftige, ähnliche Bau-
ten nicht genug zur Darnachachtung empfohlen
werden kann. Und sehr erfreulich ist es auch,
-daß dieser schöne, einheitliche Gesamteindruck
durch die neuen Geschäftsläden, die das ganze
Erdgeschloß des Hauses einnehmen, durchaus
nicht gestört ist, obwohl es sich hier natürlich
in erster Linie darum handeln mußte dem
neuzeitlichen Geschäftsleben und dessen gestei-
gerten Bedürfnissen jeder Art Rechnung zu tra-
gen. Wie schwer sich oft dieser Hauptzweck mit
den wünschenswerten ästhetischen Rücksichten ver
einen läßt, dafür fehlt es in keiner modernen
Stadt— auch in Innsbruck nicht— an war-
nenden Beispielen. Hier aber ist auch diese
Gefahr glücklich vermieden worden.
Während also das Äußere des neuen Hauses
in jeder Hinsicht mustergültig genannt werden
darf, ist aber auch seine innere Ausstattung
bis ins kleinste Detail vorbildlich. Im Innern
des Hauses waren der Berücksichtigung aller
modernen und modernsten Bedürfnisse nicht nur
keine Schranken gesetzt, sondern sie war hier
überhaupt der natürliche Hauptzweck. Ohne auf
genauere Schilderung der Innenausstattung ein
gehen zu wollen können wir es uns doch nicht
versagen, wenigstens der Einrichtung und Ein-
teilung der erwähnten Geschäftsräume einige
Worte zu widmen, und zwar deswegen, weil
daraus hervorgeht, daß auch die Innsbrucker
Geschäftswelt der jetzigen, der Landeshauptstadt
Wohl würdigen, besseren Geschmacksrichtung und
den modernen Errungenschaften eines rationel-
len Geschäftsbetriebes immer größeres Ver
ständnis entgegenbringt.“
Siehe auch den Beitrag https://innsbruck-erinnert.at/sie-kennen-sich-in-der-innenstadt-aus/
Tw 49 ist Baujahr 1909, die Liniennumerierung wurde auch im Herbst 1909 eingeführt.
Aufnahmedatum also frühestens Herbst 1909.
Einen Beitrag über die Schneiderei Alois Weth gab es auch in https://innsbruck-erinnert.at/kurzes-zoegern/
Ich bin vor allem hier, um zu sagen, dass dieses Foto für sein Alter qualitativ fantastisch ist. Danke!
Man mag es übrigens nicht meinen, aber die Doppelgleis-S-Kurve, die dort heute liegt, weist meines Wissens nach den kleinsten Radius aller Gleisbögen im gesamten Straßenbahnnetz auf. Für das Einzelgleis auf dem Foto muss das noch nicht zwangsläufig gegolten haben, da es die damalige Straßenbreite großzügiger auszunutzen scheint.