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Ich Hab Das Nicht Akzeptiert! (2)

Ich hab das nicht akzeptiert! (2)

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Ich hab das nicht akzeptiert! Jenische Widerstandspraktiken im Tirol des 20. Jahrhunderts“ zeigte sich, dass auch ein 1926 geborener Bruder von Theresia Monz – nennen wir ihn, aus Gründen der bis heute anhaltenden Diskriminierung Jenischer „Thomas“ – ins Visier der Nationalsozialisten geriet.

Seit September 1939 stand er unter Fürsorge und wurde in verschiedenen Heimen zwangsuntergebracht. Die Akten sprechen in herablassendem Ton von einem rebellischen Buben, der sich seinem Schicksal nicht beugen wollte und immer wieder die Flucht aus den Heimen suchte. Die Erlebnisse dort müssen so belastend gewesen sein, dass er offenbar sogar einen Selbstmordversuch unternahm. Auf der Flucht beging er kleinere Diebstähle, etwa eines Fahrrads. Das brachte ihm eine Verurteilung zu sieben Monaten Haft ein, die er in einer Anstalt in Wels verbüßte. Auch dort dokumentiert ein Akteneintrag einen Fluchtversuch.

Etwa zwei Wochen vor Ende seiner Haftstrafe im Dezember 1942 beantragte die Kriminalpolizei Innsbruck seine Einweisung in ein Jugend-Konzentrationslager – wohlgemerkt nach Verbüßung aller Strafen, als „polizeiliches Zwangsmittel“ auf unbestimmte Zeit. Ende Jänner 1943 wurde er tatsächlich in das Jugend-Konzentrationslager Moringen bei Göttingen eingeliefert und zur Arbeit in einer Munitionsfabrik gezwungen, täglich zehn Stunden, die ganze Woche. Thomas blieb widerständig und wagte im Juni 1944 während einer Nachtschicht einen Fluchtversuch. Innerhalb eines Tages erreichte er das 300 Kilometer entfernte Dresden, wurde jedoch wieder gefasst und nach Moringen zurückgebracht. Die Akte endet mit einem Vermerk, dass Thomas wegen Einbruchs in die Kleiderkammer des „Jugendschutzlagers“ zu einer Gefängnisstrafe von unbestimmter Dauer verurteilt wurde. Man kann annehmen, dass er damit einen weiteren Fluchtversuch vorbereitet wollte. Fünf Jahre Zwangsunterbringung unter immer härteren Bedingungen konnten seinen Eigensinn und Mut nicht brechen.

Resi Monz hatte den Mut, auf einer Votivtafel in der Kirche zur Heiligen Theresa auf der Hungerburg öffentlich für ihr Überleben nach Auschwitz zu danken, obwohl Schweigen vorgeschrieben war. Ihr Bruder Thomas ließ sich trotz Jahren im Heim und im Jugend-KZ nicht brechen und suchte weiter die Flucht ins Freie.

Beide Beispiele zeigen: Widerstand konnte bei den Jenischen vieles bedeuten. Mal war es ein sichtbares Zeichen, das gegen das Vergessen gesetzt wurde, mal das sture Festhalten am eigenen Weg, selbst unter größtem Druck. Die Familie steht damit stellvertretend für viele jenische Familien in Tirol und anderswo. Ihre Geschichte lehrt, dass Widerstand nicht nur laut und heroisch, sondern oft auch leise, trotzig und unscheinbar daherkommt.

So schließt sich der Bogen von den Votivtafeln auf der Hungerburg zu den Lebensgeschichten dieser Geschwister: Sie machen anschaulich, wie vielfältig sich jenischer Widerstand ausdrücken konnte – und welch große Kraft in kleinen Gesten und alltäglichen Entscheidungen steckte.

Morgen Samstag, 20. September ab 14 Uhr findet im „Reich für die Insel“ vor dem Landestheater der 9. Jenische Kulturtag statt, zu dem die Initiative Minderheiten Tirol und der Verein Jenische in Österreich einladen. Nähere Infos finden sich unter: https://minorities.at/neunter-jenischer-kulturtag/

Michael Haupt

(Foto: Michael Haupt)

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