Hundert Jahre Osterweiterung
Vor recht genau 100 Jahren war Innsbruck in einem schlechten Zustand. Die jungen Männer waren an der Front des Ersten Weltkriegs gestorben oder kamen physisch und psychisch verwundet zurück. In Innsbruck standen italienische Besatzungstruppen, Südtirol war nach den Friedensverträgen an Italien gefallen, die Wirtschaft lag am Boden, die Bevölkerung hungerte, Kleinkinder und Alte starben an der Spanischen Grippe.
In dieser Gemengelage ist es nicht leicht, stadtplanerische Visionen zu entwerfen. Einen scheuen Versuch unternahm die Stadt doch, denn ganz ohne Bautätigkeit ist eine Gesellschaft noch viel unmittelbarer mit ihrer Rezession konfrontiert. Also sollte die Stadt ein wenig in die Reichenauer Felder wachsen. Auf dem hier in der interaktiven Version zu sehenden Entwurf wurden 1921 auf dem städtischen Grundstück die neuen Wege und Straßen eingemessen, niemals realisierte Blockbebauungen, ganz in der Nähe umgesetzte Sportplätze und auch ein Volksgarten vorgeschlagen. Bebaut wurde diese Gegend dann eigentlich erst in den späten 1920ern und frühen 1930ern, zunächst mit Reichenauerstraße-Adressen, die bald in Renk-, Lutterotti-, Kravogl-, Mitterhofer- und Maderspergerstraße (alles Herren, Überraschung!) umbenannt wurden. Weil man als zentrumsbewohnender Stadtbewohner recht selten in diese Ecke kam, wurden diese Gassen besonders gerne bei der Stadtplanprüfung des Taxiführerscheins abgefragt. Für diesen musste man, kaum vorstellbar dass das in Navi-Zeiten auch noch so ist, in den 1990ern tatsächlich alle Straßen Innsbruck auswendig lernen, samt Lage auf dem Stadtplan und optimierter Fahrtroute von A nach B. Der Autor dieser Zeilen hat sich den Spaß erlaubt, den Erwerb des Taxischeins als besondere Zusatzqualifikation bei der Bewerbung im Stadtarchiv zu erwähnen… was stimmt: Man kennt die Stadt und ihre Bewohner*innen nach ein paar Jahren und Kilometern am Steuer des nichtlinienmäßigen Personenverkehrs tatsächlich viel besser.
Sehr krass dokumentiert sich der wirtschaftliche Niedergang nach/durch den Weltkrieg auch am anderen Ende der Stadt, wo die einsamen Zacken der handvoll Zinshäuser im Bereich Fürstenweg, Fischnalerstraße etc zu stummen Zeugen einer mutwillig unterbrochenen Zeit der Prosperität wurden. Es dauerte noch bis in die 60er und 70er Jahre, ehe die ganze Straßenzüge nach Pradler und Wiltener Vobild erwartenden fensterlosen Brandmauern Nachbarschaft bekamen.
(Den „Fürstenweg“ dürfen wir als ungegenderten Straßennamen auch als Denkmal etlicher Fürstinnen oder diesen gleich- wenn nicht höhergestellter Influencerinnen annehmen)
An der linken – also südwestlichen – Ecke des Planungsgebietes (in der interaktiven Version anzuschauen!) liegt der Dodl-Hof, an der rechten, nördlich der geplanten Sportplätze, die Dodlkapelle. Der Dodlhof, der einer der über dreißig Pradler Bauernhöfe war und der gegen Osten hin am weitesten entfernt vom Altpradler Dorfkern lag, steht auch heute noch, die Dodlkapelle leider nicht mehr.
Davon war schon in einigen Beiträgen zu lesen, z.B. in https://innsbruck-erinnert.at/wer-mag-seine-erinnerungen-mit-uns-teilen-die-reichenau/
Dieses Siedlungsgebiet (zumindest die hier eingetragenen Häuser) hieß zu meiner Pradler Zeit „die Heimstätten“ – keine Ahnung, ob man das heute auch noch so nennt.
Der Begriff #Heimstätten“ ist interessant und passt zur Zeit. Nach dem 1. Weltkrieg wurden in vielen Städten sogenannte „Kriegerheimstätten“ geplant und – etwa in Wien – auch gebaut. Kann sein, dass es in Innsbruck ähnliche Überlegungen gab. Denke aber, da hatte man andere Sorgen – siehe oben. Der Plan ist übrigens von Jakob Albert unterfertigt. Vizestadtbaudirektor und mit Theodor Prachensky das „Dreamteam“ im kommunalen Wohnbau vor 1933.
Die „Osterweiterung“ begann, so glaube ich, schon früher, und zwar mit den Häusern im Geviert Pembaurstraße / Reichenauerstraße / Mitterhoferstraße / Renkstraße (1910??), ebenso wurden einige Häuser östlich der Mitterhoferstraße bereits schon vor den Dreißigern errichtet.
Zwei von diesen sieht man in https://innsbruck-erinnert.at/wo-sind-wir-denn-hier-gelandet/ (das dritte ganz rechts dürfte noch ein 1910er Haus sein)