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Hofopernsänger Paul Seidler Zu Gast In Innsbruck

Hofopernsänger Paul Seidler zu Gast in Innsbruck

Am 22. Juni 1912 trat Paul Jesco Seidler (1882-1914) – Hofopernsänger am Wiesbadener Hoftheater – bei einem Liederabend im großen Innsbrucker Stadtsaal auf. Die Veranstaltung wurde in den Medien kräftig beworben. Mehrere Veranstaltungshinweise und Artikel zu Paul Seidler und seinem sängerischen Können erschienen in den Innsbrucker Nachrichten: So war in der Ausgabe vom 10. Juni 1912 zum Beispiel folgender Veranstaltungshinweis vorzufinden: „Einem allgemeinen Wunsche nachkommend hat sich Herr Hofopernsänger Paul Seidler entschlossen, einen Liederabend in Innsbruck zu veranstalten und findet derselbe am Samstag den 22. Juni im großen Stadtsaale statt. Die Eintrittskarten sind bereits ab morgen Dienstag schon in der Musikalienhandlung Joh. Groß zu haben.“

In den Innsbrucker Nachrichten vom 19. Juni 1912 wurde nicht nur über den bevorstehenden Liederabend, sondern auch über die Erfolge Paul Seidlers bei verschiedenen Opernaufführungen berichtet: „Hofopernsänger Paul Seidler, des­sen Lieder und Arienabend am kommenden Sams­tag ein vollständiger Genuß zu werden verspricht, hat erst kürzlich wieder in mehreren Partien große Erfolge errungen. So schreibt die Vossische Zeitung vom 23. Mai über die Aufführung des Oberon anläßlich der Wiesbadener Kaiserfestspiele: „Nur der Hüon des Herrn Seidler wirkte im besten Sinne modern: Kein frisierter Heldentenor, sondern ein Menschendarsteller bester Art, ein Ludwig Müller mit Stimme.“ Über eine Aufführung des „Bajazzo“ lesen wir: „Der Canio des illustren Gastes war eine wahre Glanzleistung und riß das zahlreiche, distinguierte Publikum zu einem brausenden Beifallssturm hin. Das ist kein Gelingen, kein aus günstigen Umständen resultie­rendes glückliches Fazit mehr, das ist ein fester Besitz, der jedes Fehlschlagen oder Versagen im voraus ausschließt. Sein Lied, das dem 1. Akt einen fulminanten Abschluß gewährt, war ein schier unübertreffliches Meisterstück in der Darstel­lung des Zwiespaltes zwischen Pflicht und see­lischer Ohnmacht, zwischen dem Alltag mit seinen Obliegenheiten und dem von folternden Zweifeln und Qualen aufgewühltem Herzen eines jäh um alles Glück Betrogenen. Wie Herr Seidler diesen Eindruck überbietend aus der Linie forthastender Steigerung den holden Wahn mit der Wucht des fürchterlichen Verhängnisses verschmolz, wie die an der Verblendung verhallenden Aufschreie ge­knickter Ehre das verratene Selbst aus dem Pfuhl der Rechtlichkeit in die Gasse des Verbrechens peitschen, das sind Momente von einer Tragik, die die innersten Fasern erzittern machen.“

Über den Innsbrucker Liederabend wurde dann in den Innsbrucker Nachrichten vom 26. Juni 1912 ausführlich berichtet: „Hat uns der kgl. preuß. Hofopernsänger Paul Seidler bisher durch seine hervorragenden Lei­stungen als Bühnensänger erfreut, so bot er uns letzten Samstag im großen Stadtsaal die willkommene Gelegenheit, seine bedeutenden Fähigkeiten auf dem Gebiete der Lyrik kennen und schätzen zu lernen. Wiewohl Seidler im Konzertsaal den Bühnensänger nicht vollständig verleugnen konnte, so hinterließ er uns doch einen vornehmen und nachhaltigen Eindruck. Sein seines Empfinden, seine wohldurchdachte Deklamation, seine überaus modulationsfähige Stimme, der man übrigens manchmal eine kleine Übermüdung anmerkte, sein hochentwickeltes Ausdrucksvermögen, seine verständnisvolle Auf­fassung und Wiedergabe der verschiedensten Stilarten bewiesen, daß er auch als Liedersänger auf sehr achtbarer Höhe steht. Beethovens „Adelaide“, mit großer Wärme vorgetragen, leitete den Abend ein. Dann kam Schubert mit „Gute Nacht“ aus der „Winterreise“ und mit dem „Doppelgänger“ aus dem „Schwanengesang“ zu Worte. Besonders interessierte die Wiedergabe des „Doppelgänger“, die, wenn auch vielleicht etwas stark realistisch, von erschütternder Wir­kung war. Den zweiten Teil des Programmes bildeten sechs Gesänge aus Schumanns „Dichterliebe“. Das Zarte, Intime in den Liedern „Im wunderschönen Monat Mai“, „Aus meinen Tränen sprießen“, „Die Rose, die Lilie, die Taube“ und in „Wenn ich in deine Augen seh'“ kam sehr schön zum Ausdruck und „Ich hab‘ im Traum geweinet“ erfuhr eine Wieder­gabe voll Poesie. Ganz prächtig arbeitete Herr Seidler die großangelegte Steigerung in „Ich groll nicht“ heraus. Als dritten Programmab­schnitt bot Herr Seidler drei Lieder von Richard Strauß, das stimmungsvolle „Ich trage meine Minne vor Wonne stumm“, „Freundliche Vision“, dessen unbeschreiblicher Zauber uns ein­dringlich vermittelt wurde und das duftigkecke „Ständchen“, das ziemlich frei im Rhythmus ge­bracht wurde. Nicht recht erklärlich war die Wahl des letzten Programmteiles, drei Arien aus italienischen Opern, die sich schon an und für sich für den Konzertsaal weniger eignen. Der Genuß des Konzertes wäre entschieden noch höher, die Stimmung einheitlicher gewesen, hätte uns Herr Seidler mit einem Liederabend erfreut und uns noch einige Gaben von Robert Franz, Brahms oder Hugo Wolf beschert und uns dadurch die Entwicklung des Liedes lücken­loser vorgeführt. Entschädigt wurde man aller­dings durch die glänzende, meisterliche Wieder­gabe, welche zwei Romanzen („Una surtiva lagrima“ aus Donizettis „L’Elisire d’Amore“ und „Cielo e mar“ aus Ponchiellis „La Gioconda“ sowie besonders Cavaradossis Arie „E lucevan le stelle“ aus Puccinis „Tosca“ erfuhren. Das zahlreich erschienene Publikum spendete dem Künstler wohlverdienten, stürmischen Beifall, der mit vier Zugaben (einem französischen Lied, sowie Arien aus „Bajazzo“, „Afrikanerin“ und „Aida“ quittiert wurde. Am Flügel saß Herr Dr. Karl Senn, der sich wiederum als feinsinniger Begleiter erwies und sich den Intentionen des Sängers auf das gewissenhafteste anschmiegte.“

Das Titelbild und alle weiteren Abbildungen in diesem Beitrag zeigen das Programmheft für den am 22. Juni 1912 im großen Stadtsaal veranstalteten Lieder- und Arien-Abend mit Paul Seidler.

(Stadtarchiv Innsbruck, Div-2429)

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