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Fearless In Innsbruck

Fearless in Innsbruck

Die lässigste Sportveranstaltung Innsbrucks des Jahres 2025 bisher? Auf diese Frage würde man viele verschiedene Antworten bekommen, das ist OK, jeder und jede hat ihre Präferenz, sei es Liebe für Ausflüge zu Unterhausfußballniederlagen in Tarrenz, Skispringerlieder-Grölen im Bierstindlstadion oder ein Faible für die Österreich-Meisterschaften in originellen Randsportarten Marke Tarockieren, Schnitzelwettessen und Rechtswalzer, wie sie bei den Sports Austria Finals kürzlich in die Stadt gekommen sind. Das beeindruckendste und freundlichste Großereignis aus Sicht des Autors dieser Zeilen war der Roller Derby World Cup 2025 in der Olympiaworld letztes Wochenende.

Alle Bekannten, die ich seither auf dieses Ereignis angesprochen haben, hatten von diesem Event und der dort ausgeübten Sportart noch nie etwas gehört. Das liegt natürlich auch daran, dass es kein klassischer Breitensport ist. Darüber hinaus gab es aber eine eigenartige Medienscheu, dort überhaupt hinzugehen, geschweige denn darüber zu berichten. In der Tiroler Tagespresse las man am Montag tiefschürfende Überlegungen der Redaktion, ob bei Regen in Holland beim schnell im Kreis fahren (@Nika Lauda) das Safety Car zu oft eingesetzt wurde – wer den Roller Derby World Cup in Innsbruck vor 4000 begeisterten Zuschauer:innen gewonnen hat, kam mit keinem Wort vor. Im Austrosportfernsehen wurde 10 Stunden live von den Sport Austria Finals berichtet, was zu begrüßen ist. In die Olympiaworld hat es letztes Wochenende niemand aus den nicht mehr ganz so wie in den 1970er Jahren männlich dominierten Sportredaktionen geschafft. Schade für die Reporter und ihre Leserschaft, sie haben etwas versäumt. Wir waren dort.

Es war ja gar nicht so leicht, hineinzukommen. Der einfache Grund: Vier Tage restlos ausverkauft. Das sind also 16.000 Leute, mehr als sich Ende Juli im Tivoli versammeln werden – ich vermute Sie haben schon vom Cupspiel Wacker gegen Rapid gelesen und es werden bis dahin noch gefühlt drei Dutzend Vor- und Nach-Berichte folgen. Über 1100 Athletinnen waren da, in 40 Teams organisiert, mit Betreuer:innen, Kampfrichter:innen, mitgereisten Fans, aus Nord- und Südamerika, Australien, Afrika, ganz Europa und auch noch in unkonventionellen selbstgewählten Zusammenstellungen (Motto: „Skates over States“). Hier kommt schon die außergewöhnliche Qualität des Sports Roller Derby ins Bild: Nationale Vereinigungen sind willkommen, aber Teams können sich auch aus anderen Gruppen bilden. Ein Team Salaam (Friede) repräsentierte Palästina, ein Team Jewish Roller Derby war auch dabei. Ein vorwiegend russisch sprechendes Team Babushka war gekommen, und natürlich das später siegreiche Team USA. Was sie einte, war unter anderem eine klare Haltung zu den durchgeknallten Männern, die ihre Staaten gerade regieren. Dazu ein klares Statement für queeren Sport (was in einigen Ländern lebensgefährlich ist) plus die außergewöhnliche Freundlichkeit zu Trans-Sportlern, eine Gruppe, über die sich gefühlt 99% der Welt aufregt und sie vehement ablehnt, alles natürlich ohne je einem Trans-Sportler begegnet zu sein. Die Ansicht im Roller-Derby, einer sehr körperlichen Sportart, ist die, dass auch jede Frau andere körperliche Voraussetzungen für das Spiel mitbringt. Das klingt nicht nach spalterischer Aufregung sondern nach integrativer Entspanntheit.

Die Cheerleader in diesem Event waren Burschen; über diese vermeintliche „Mann beißt Hund“-Story ist dann doch noch in den Medien berichtet worden. Haha, Männer die in Trikots Showtänze machen, weiter ist man in der Recherche nicht gekommen, ob damit vielleicht traditionelle Rollenbilder in Frage gestellt werden könnten, das passt nicht auf die CIS-Sportseiten. Ausdrücklich ausgenommen: Der schöne Vorbericht und der nachgereichte Finalbericht von Sabine Hochschwarzer-Dampf in der Tageszeitung.

Der Sport Roller Derby selbst ist unterhaltsam und sehr physisch, dafür hat man als alter Fussball-Crack viel Sympathie. Wie immer muss man zwei oder drei Spiele anschauen, um einen Blick für die Regeln und die schnellen Spielzüge zu entwickeln, bei denen zwei 5er-Teams gleichzeitig versuchen das andere Team aufzuhalten und doch selbst Runden in der Laufbahn zu drehen. Leider hatte ich nur mein Handy und kein Tele dabei, wurde jedoch freundlicherweise als Reporter von „Innsbruck-erinnert-sich“ akkreditiert (die Pressechefin arbeitet im Zivilberuf beim Studienverlag und schätzt das Stadtarchiv) und konnte ein paar Schnappschüsse machen.

Wie ist dieses Großereignis nach Innsbruck gekommen? Mit einer Portion Chuzpe und dem guten Auge der Sportstadt Innsbruck, hier ausdrücklich repräsentiert von Stadträtin Elli Mayr und dem angesichts der vielen tausend Besucher:innen aus aller Welt mitveranstaltenden Tourismusverband. Seit bald 30 Jahren zahle ich als Selbständiger dort meine Abgabe mit Zähneknirschen – heuer weiß ich einmal warum. Die Chuzpe bestand darin, dass sich die gut 40 Athletinnen des Innsbrucker Clubs „Fearless Bruisers“ (etwas holprig als „Furchtlose Prellerinnen“ zu übersetzen) die Organisation so eines World Cups zugetraut und dann in unzähligen freiwillig geleisteten Arbeitsstunden durchgezogen haben. Wer einmal einen Bewerb mit 100 Teilnehmer:innen organisiert hat, kann sich vorstellen, was das für über 1000 Mitspielerinnen bedeutet. Die Olympiaworld, die aus allen Nähten geplatzt ist, war der ideale Ort dafür, bis hin zu den Ausklangparties am Sonntag Abend.

Ein wunderbarer Teil des Roller Derby ist auch die Selbstironie. Ein Aspekt, der in fast allen anderen Sportarten völlig fehlt. So wie der scheinbar grobe Name der friedlichen Innsbrucker Sportlerinnen trägt jede Roller Derby Athletin einen Alias-Namen mit augenzwinkernder Brutalität. Ein Wiener Team glänzte mit leicht zu entschlüsselnden Zahlencodes, eine Repräsentantin des Team Salaam wird „Fall Awful“ gerufen – decodiert Falafel. Wer nach dieser Aufstellung sicher ist, sein letztes Stündlein als alter weißer Mann habe geschlagen, der liegt nicht ganz falsch. Die Zukunft ist weiblich und hat Humor.

Ich gratuliere den Fearless Bruisers, der Sportstadt Innsbruck und den siegreichen Teams (Gold: USA, Silber: Australien, Bronze: England) zu dieser schönen Veranstaltung.

Hier noch das schön umgetextete Dankes-Mitgröl-Lied an die Veranstalterinnen (man beachte den nie erschienen Zeitungsartikel „Das Wunder von Innsbruck“)

Für die Qualität der Handybilder habe ich mich schon entschuldigt:

Hier noch ein ausgezeichneter Artikel von Kollegin Laura Wunsch mit Fotos von Janick Rehfeld auf innsbruck.info: https://www.innsbruck.info/blog/de/events/roller-derby-weltmeisterschaft-2025/

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