Die Waggonbewohner:innen #8
A new home
Das Titelbild zeigt das von Frau Stepanek ersehnte Happy End, oder jedenfalls kommt es dieser Bezeichnung schon nahe. Das Foto aus der Sammlung Michlmayr/Kopriunik fiel auf einen Festtag und erklärt so die Dekoration des neuen Schmuckstücks der Eisenbahnwohnsiedlungen: Die neben dem Westbahnhof neu entstandene Ing.-Riehl-Straße, hier die Eingänge zu Nummer 6 und 8, in denen die Kopriuniks ein festes Dach über dem Kopf gefunden hatten. Die Rückseite datiert das Bild mit 1. Mai 1927; da war das Haus erstmals bis oben hin voll bewohnt mit Familien, deren Namen uns aus den vorangegangenen Waggonbewohner:innen Artikeln schon bekannt sind. Links zu sehen die im Adressbuch 1926 genannten Familien, rechts die von 1927 (Reaktionsschluss Ende 1926).


Das haben wir nun die Jäckels, die Kopriuniks, die Kurys, die Stiegs, die Schiegls und die Johns und auch die Rauschers. Und neu: die Ballarinis…

Der Verschubaufseher Johann Ballarini, geboren im Südtiroler Gargazon, wohnte mit seiner Frau Anna geb. Gruber aus Lengmoos am Ritten und den beiden Kindern Anna und Ludwig, die in Meran zur Welt gekommen waren, zunächst auch im Waggon auf dem Westbahnhof. Sie bekamen eine Wohnung in der Ing.-Riehl-Straße 8 und feierten dort im dritten Winter 1928/1929 mit den Hemerkas Silvester. Rudolf nahm die Kamera mit, um das Ereignis zu dokumentieren:

Zurück zum Titelbild: Die Maiumzüge der Sozialdemokraten führten natürlich auch in die Neubauviertel der Eisenbahner. Eine Vorschau auf den 1. Mai 1928 in der Volks-Zeitung nennt ausdrücklich auch die Riehlstraße als Adresse, wo man bei der Vorabend-Demo vom 30. April auf die von den ehemaligen Waggonbewohner:innen solcherart herausgeputzten Fenster traf. Die Vegetation hatte sich in diesem Frühling noch nobel zurückgehalten, man könnte glauben es ist März.
Den Demonstrationsaufruf möchte ich Ihnen auch nicht vorenthalten, weil der weltpolitische Teil 100 Jahre später gar so ähnlich klingt wie die Sorgen von heute: „Demonstriert gegen Militarismus, Imperialismus, Krieg, faschistische Reaktion und kapitalistische Ausbeutung, gegen den Abbau des Mieterschutzes.“ Auch das Selbstbestimmungsrecht für Kolonialvölker wir gefordert, was sich solidarisch und modern liest.

Oh jaa. Das freut uns noch nachträglich für die Familien Kopriunik, Ballarini, Hemerka und Rauscher. Wenn ich mir diese Rückfassade des Hauses ansehe, glaube ich fast, den Grundriß der einzelnen Wohnungen zu kennen – auf der uns zugewandten Seite jeweils (Wohn-)Küche, Speis und „Gabinetto“ (WC! Welch ein Luxus! Kein „Kübel“ mehr „im Eck“) – an der Vorderfront hingegen würden wir wahrscheinlich anhand der Fenster erkennen: Eine Wohnung hatte zwei, die danebenliegende drei Zimmer – über die „Größe“ (!) reden wir nicht. Wenn die Familie nicht zu groß war… Aber ein Dach überm Kopf! Und heizbar im Winter! Und im Sommer sogar Sonne.
Woher ich den Grundriß zu kennen glaube? Egger Lienz Straße 12 – 18!
(Übrigens – Familie Rauscher wohnte 1950 in der Sonnenburgstraße 22. Sobald neu gebaut wurde, übersie- delte die Familie in die Mößlgasse. Die zweitjüngste, die Margit – leider längst verstorben – wurde mir von meiner Mutter stets als Vorbild genannt „Du lasch allweil in Kopf hängen – schau dar die Margit an – de isch allweil fröhlich, wenn ma sie siehgt…!“
Bis ich eines Morgens beim Durchqueren unseres Hofs der Frau Rauscher begegnete und sie grüßte. Und die sagte zu mir „Mädele, guten Morgen! Mädale immär lochen – Morgit immär bäse! Ich sogen zu Morgit: Worum du immär bäse? Schau an Mädale! Worum du nicht lochän wie Mädale….???“ Der Jüngste war der Rauscher Richard.
Ja, sie war Ungarin, die Frau Rauscher – wieviele Kinder sie ihrem Adolf geboren hat, weiß ich nicht mehr – ich glaube sieben – und war Stamm-Mutter der Firma Rauscher in der Leopoldstraße.
Sie war am Schluß des ersten Weltkriegs mit dem Adolf auf einem „Rückzugstransport-Wagen“ in sein heimatliches Wien gefahren. Ihr drittjüngstes von – ich glaube 6 oder 7 – Kindern hat diese Geschichte aufgeschrieben. Auf der letzten Seite der „Wochenpost“ (welche Mittwochs der TT beilag) konnten wir diesen Beitrag in der linken Spalte lesen. Mei- die liebe alte „Wochenpost“ – hab ich mich auf die gefreut –
ein „High light“ der Woche…
Übrigens- die Sonnenburgstraßen-Wohnung bestand – aus Küche, Zimmer, Kabinett. Die Höhe der Räume war „imperial“ . Und WC ? Gemeinsam mit dem ärgsten Trunkenbold des Wohnblocks….